»Let me call you ›sweetheart‹, I'm in love with you ...«
FRISCH GELESEN: Archiv
Tarzan – Herr des Dschungels
Story: Christophe Bec (nach Edgar Rice Burroughs)
Zeichnungen: Stevan Subic
Splitter
Hardcover | 88 Seiten | Farbe | 19,80 €
ISBN: 978-3-96792-176-2
Genre: Literaturadaption, Abenteuer
Für alle, die das mögen: Conan Newspaper Comics Collection (Panini)
Mit erstaunlicher Regelmäßigkeit erscheinen auf dem (deutschen) Comicmarkt Publikationen mit Geschichten über den Dschungelmenschen. Dabei hat sich seit gut zehn Jahren das Album und hier insbesondere das Hardcoverformat etabliert. Das Heft, jahrzehntelang dominant, scheint die Käufer nicht mehr zu interessieren. Vielleicht ist aber auch die bisherige Leserschaft älter geworden und hat sich an das Albumformat gewöhnt.
Die aktuelle Veröffentlichung erschien im Dezember 2021 beim Splitter Verlag und beinhaltet thematisch eine Neufassung der Ursprungsgeschichte; allein auf Deutsch wohl die fünfte Version (ohne Nachdrucke). Der Untertitel »krönt« Tarzan zum »Herr des Dschungels, nach dem Roman von Edgar Rice Burroughs«. Nun gibt es vom Erfinder des Dschungelmenschen zwar einen derartigen Roman, Tarzan – Lord of the Jungle, aber das ist in der Bibliografie bereits die elfte oder zwölfte Ausgabe, je nach Zählweise, und da ist Tarzan längst erwachsen und seine Herkunft bekannt. In der Splitter-Ausgabe wird also die Origin von Tarzan neu erzählt, wie er in den Dschungel kam, sich dort zurechtfinden und sich seinen Platz erkämpfen musste. Aber Schwamm über diesen inzwischen gebräuchlichen Titel, der Inhalt und der Gehalt in Beziehung zu Burroughs' erstem Roman sowie die Bearbeitung dieses Sujets im Vergleich zu diesen sind hier zu beurteilen.
Ein wilder, unheimlicher Dschungel: Zeichnungen und Kolorierung überzeugen.
Beim ersten Durchblättern und Anschauen des Comics, um zu sehen, ob mich allein die grafische Gestaltung zum Kauf animieren könnte, gewann ich einen durchaus positiven Eindruck. Stevan Subic (Zeichnungen) sowie Hugo Sebastian Facio (Farben) liefern hier ein schönes, ausdrucksvolles Werk ab: Das Artwork in Verbindung mit der Kolorierung zeigen einen wilden, unheimlichen Dschungel des westlichen Äquatorialafrikas um 1888. Die Mangani(1) und Tarzan selbst, die afrikanischen Eingeborenen, die Tierwelt, der Urwald, all das zog mich recht schnell in seinen Bann. Es hatte durchaus den Anschein, eine Erzählung im Sinne Burroughs' in der Hand zu halten.
Der neuste Tarzan beginnt zudem mit einer Besonderheit: Die ersten 20 Seiten kommen im Grunde ohne Text daher. Eine Ortsbestimmung auf der ersten Seite, wenige lautmalerische Geräusche, eine Zeitbestimmung und das war es. Christophe Bec, der Texter, ging zu Recht davon aus, dass die ersten Lebensjahre Tarzans so bekannt sind, dass Worte nicht benötigt werden. Die Geschichte erklärt sich auch so nur aus den Bildern heraus und der Leser kann die Zeichnungen und ihre einfühlsame Farbenflut ohne den unnötigen Leseballast betrachten und genießen. Erst ab der einundzwanzigsten Seite begleiten Texte die Geschichte.
Bemerkenswert ist dann die Seite 22, in der es Tarzan in der Baumhütte gelingt, ein Grammophon in Betrieb zu nehmen und die darauf liegende Schelllackplatte abzuhören. Der Refrain: »Let me call you ›sweetheart‹, I'm in love with you …« macht einen derartigen Eindruck auf das Dschungelwesen, dass dieser in passenden Momenten immer wieder eingespielt wird.
Technik, die begeistert: Tarzan lauscht einer Schelllackplatte.
Im Bezug zum Original zeigen der Text und das Bild dann doch Ungereimtheiten, Fehler sowie Eigenkreationen: Es heißt z.B. John und Alice Clayton, die Eltern Tarzans, schiffen sich in Dover, England, auf der Fuwalda ein, die dann vor der Küste Äquatorialafrikas Schiffbruch erleidet und beide werden als einzige Überlebende an Land gespült. Dort baut John ein Baumhaus, das ihnen ungefähr ein Jahr lang als Unterkunft dient. Tatsächlich besteigen sie die Fuwalda erst in Freetown, Sierra Leone. Es findet eine Meuterei an Bord statt und die Claytons werden an einer damals unbekannten Küste ausgesetzt. Ein Baumhaus haben sie nie bezogen, etwas Ähnliches hat in sehr einfacher Form nur für die ersten Wochen als provisorische Unterkunft gedient, dann baute John Clayton eine Hütte auf der Lichtung am Strand. Das permanent bewohnte Baumhaus ist eine Erfindung der MGM und hat sich sozusagen verselbstständigt.
Als Tarzan älter wird, entdeckt er, nun ja, das Baumhaus, und der Comic scheint dann kongruent mit dem Roman zu laufen. Es ist alles sehr schön gezeichnet, wie er z.B. die Skelette seiner Eltern sieht aber kaum beachtet, einen Dolch findet und seinen Nutzen recht schnell erkennt. Auch Bücher, deren Illustrationen ihn faszinieren und wie er die darunter befindlichen Striche zu verstehen lernt. Allerdings unterläuft dem Szenaristen bzw. dem Übersetzer auf Seite 24 ein Fehler, denn dort steht in einer Textbox: »Tarzan, wie er sich genannt hatte,…«. So hatte ihn natürlich seine Ziehmutter, die Mangani Kala, wegen seiner hellen Haut genannt. Notwendigerweise muss ich jetzt vorgreifen und zwar bis auf die Seite 47, dort stellt ein europäisch/amerikanisches Expeditionsmitglied zur Bedeutung des Namens Tarzan Folgendes fest: »In einem afrikanischen Dialekt heißt das ›weiße Haut‹.« Soll das bedeuten, die Mangani und die dort lebenden afrikanischen Völker haben dieselbe Sprache …?
Aus einem Fell wird Tarzans Lendenschurz.
Ein schwarzer Panther terrorisiert lange Zeit die Mangani, bis ihn Tarzan mit dem Jagdmesser seines Vaters den Garaus macht.(2) Er zieht diesem das Fell über die Ohren und verwendet es als Lendenschurz, damit der Zeichner das Geschlechtsteil Tarzans nicht ständig und umständlich verstecken muss? Burroughs ließ seinen Helden sich ein Bekleidungsstück von dem Eingeborenen nehmen, der kurz zuvor seine Ziehmutter getötet hatte und seinerseits von dem nach Rache dürstenden Tarzan gerichtet wurde.
Während dieser Ereignisse durchpflügt der Flussdampfer Molly-aida einen nahegelegenen Fluss. An Bord befindet sich eine Expedition, die von der Universität von Baltimore ausgerüstet wurde, um das lange durch die Köpfe der Wissenschaft geisternde »fehlende Glied zwischen den Affen und dem Menschen« hier zu suchen. Der eigentliche Grund für Professor Porter, der Vater der jeweils mitreisenden Jane, war wesentlich profaner, ihm war ein altes spanisches Manuskript in die Hände gefallen, das ihn zu einem vergrabenen Schatz führen sollte. Mit dabei sind ein Kollege, William Clayton, ein Cousin Tarzans, der Jane heiraten will und die Dienerin Esmeralda. In der Comicfassung ist außer Jane noch der französische Captain D'Arnot sowie zum Schutz einige belgische Begleiter und die Schiffsmannschaft an Bord. Jane ist deshalb mitgekommen, weil ein Mr. Canler, der zukünftige Erbe eines Industrieunternehmens, sie heiraten möchte – sie ihn allerdings nicht. Captain D'Arnot kommt im Roman ebenfalls vor als späterer enger Freund Tarzans, der ihn in beiden Fassungen in die »Zivilisation« einführt, französisch sprechen lehrt und ihm sein Erbe sichern hilft. Jane sorgt später an Land für erotische Momente, die sehr direkt dargestellt sind.
Erotische Momente an Land: Jane Porter nachts im Zelt.
Bei ihrer Suche nach dem »fehlenden Glied« sehen sie einen großen Affen an Land und beschließen, dessen Spur zu verfolgen, wobei sie die Baumhütte der Claytons finden. Dort entdecken sie am Finger eines der Skelette einen Siegelring, dessen Wappen auf das Haus der Greystokes verweist: Dies muss der verschollene John Clayton sein – Chapeau, beide Fassungen identisch!
Auf dem Rückweg zum Dampfer werden sie von Eingeborenen angegriffen, einige der Weißen sterben, manche entkommen, so auch Professor Porter und Jane, Captain D'Arnot wird gefangen genommen. Im Prinzip ganz originell, nur stößt der französische Marineoffizier erst später zu der Porter-Expedition, aber auch hier Schwamm drüber.
Inzwischen ist Tarzan durch die Schüsse und wohl auch durch das Kampfgetümmel zum Schauplatz des Gemetzels geeilt. Er findet die Spuren der Überlebenden und eilt hinterher. In der Zwischenzeit wird Jane von einem Gorillamännchen entführt; okay, im Roman ist es Terkoz, der aktuelle Chef der Manganiherde. Tarzan folgt dem Geruch und liefert sich einen brutalen Kampf mit dem Gorilla, als er dann den Schrei des Siegers ausstößt, weiß Jane nicht, ob sie sich über diesen freuen soll. Im Baumhaus hatte es Tarzan geschafft, die Schallplatte eines Grammophons abzuspielen. Es war ein Liebeslied, das er durch ständiges Abhören phonetisch nachsingen konnte, ohne den Inhalt zu verstehen. Als er es ihr vorträgt, denkt Jane zuerst, er könne Englisch, aber das erweist sich natürlich als Trugschluss. Ist alles frei erfunden, macht aber Spaß, es anzuschauen.
Bei ihrem Rückweg zur Hütte kommen sie an einen See, der zum Waschen und Schwimmen einlädt. Tarzan springt hinein und zieht Jane hinter sich her. Beide entledigen sich ihrer Kleidung und planschen und tauchen umher, dabei kommt es zum ersten Kuss. Diese Szene steht natürlich so nicht im Buch, auch nicht die ersten Worte, die sie wechseln: »Ich Jane, du Tarzan!« Die Schwimm- und Tauchszene erinnert an einen Akt des zweiten Johnny-Weissmüller-Films Tarzan and his Mate, 1934 (Tarzan und sein Kamerad bzw. Tarzans Vergeltung), in dem in der unzensierten Fassung ein mehr als vergleichbares Badevergnügen zu sehen ist.
Badevergnügen: Wohl vom Film inspiriert.
Tarzan bringt Jane zu den Resten der Expedition zurück und wird vom Janes Vater angeschossen. Darauf verschwindet er allein im Urwald, die anderen gehen zum Schiff zurück, um mit der Besatzung nach D'Arnot zu suchen. Komplett anders, aber trotzdem schön anzusehen und inhaltlich nachvollziehbar.
Derweilen wird D'Arnot im Kral brutalst gepeinigt und gefoltert, alles bildlich und farblich perfekt und ausführlich in Szene gesetzt. Im Roman holt Tarzan D'Arnot allein aus der Gewalt seiner Peiniger, der Comicautor gibt ihm die Manganiherde zu Hilfe. Während Tarzan D'Arnot gesund pflegt, finden die Weißen den Fluss und den Dampfer wieder. Jane schaut lange auf das vorbeigleitende Ufer, aber ihr Tarzan ist nicht zu sehen. Die Expeditionsteilnehmer kehren zurück, Jane und ihr Vater nach Baltimore, die Weißen in ihre jeweiligen Heimatorte.
Inzwischen gesundet D'Arnot langsam und es beginnt ein langer Rückweg zu einer Siedlung an der Küste, in der sie eine Passage auf einem Schiff nach Europa zu finden hoffen. Tarzan äußert den Wunsch, nach Baltimore zu reisen, Janes wegen natürlich. D'Arnot willigt ein, und es beginnt ein langer Rückweg, auf dem, kaum in von Weißen bewohnten Ortschaften angekommen, Tarzan lernen konnte bzw. musste, sich wie ein Mensch zu verhalten.
Zwischen Comic und Roman weitgehend alles kongruent, in der Urfassung fährt Tarzan zuerst mit D'Arnot nach Paris, dann schifft sich Tarzan nach Baltimore ein. Hier im Comic bringt ihn der Franzose erst nach Schottland, wo der Stammsitz der Greystokes liegt. Als sie ankommen, ist der Großvater soeben gestorben. Kurz darauf bringt sie ein Dampfer nach Baltimore. Während der Überfahrt erhält D'Arnot ein Telegramm, dessen Inhalt lautet, das Jane und Robert Canler sich in wenigen Tagen verheiraten werden. Beim Zusammentreffen mit Jane erklärt er sein Verhalten, nämlich Paul D'Arnot erst gesund pflegen zu müssen und dann der Gruppe nach Amerika zu folgen. Als er von Canler gefragt wird, mit wem er die Ehre habe, erwidert Tarzan: »Meine Mutter war ein Affenweibchen, meinen Vater habe ich nie gekannt.«, womit er eine verwirrte Gesellschaft zurücklässt. Jane gegenüber hatte er kurz vorher bezweifelt, ob eine Liaison zwischen ihr, der zivilisierten Lady, und ihm, dem im Urwald aufgewachsenen Affenmenschen, überhaupt möglich sei.
Tarzan reist zurück nach Afrika, in das Dschungelgebiet, in dem seine Herde lebt, in der seine Wurzeln liegen.
Zurück zu den Wurzeln: Tarzan kehrt in den Dschungel zurück.
Die Reisen nach Schottland und mit D'Arnot nach Baltimore sind völlig frei erfunden, dessen Ideen im Film Greystoke – Die Legende von Tarzan, Herr der Affen (1984) mit Christopher Lambert zu finden sind.
Insgesamt habe ich einen Comic gelesen, der mir trotz diverser Unterschiede zum Original gefallen hat, der sich einen Platz in meinen schon überquellenden Bücherregalen ob seiner Qualitäten errungen hat.
Als nächster Comic ist für den Juni 2022 die Geschichte von Tarzan am Mittelpunkt der Erde angekündigt und wir dürfen gespannt sein, denn im Werbetext von Splitter ist Folgendes zu lesen: »Die Suche nach der legendären Stadt Opar und ihren Schätzen führt Tarzan an Bord eines Zeppelins nach Pellucidar, einer unglaublichen, prähistorischen Welt voller Gefahren. Christophe Bec (Olympus Mons, Cixin Liu: Die Wandernde Erde) und das künstlerische Dreamteam De la Torre-Raffaele-Stewart legen eine originalgetreue Adaption des Pulp-Klassikers von Edgar Rice Burroughs vor, die so brutal, düster und kompromisslos ist wie der Dschungel selbst.«
Opar die Stadt im afrikanischen Dschungel und Pellucidar, das Land im Mittelpunkt der Erde haben eigentlich nichts miteinander zu tun, jedenfalls nicht im Roman. Wir sind trotzdem gespannt.
[Detlef Lorenz]
(1) Mangani nennen sich die Affen, die Tarzan adoptierten.
(2) Löwen, Panther, Geparden und andere Großkatzen jagen nicht im Dschungel, sondern in der Steppe und vielleicht noch im Buschland. Diesen Fehler thematisiert Burroughs allerdings ebenfalls gerne in seinen Tarzan-Romanen.
Abbildungen © 2021 Splitter / Christophe Bec, Stevan Subic
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