Frisch Gelesen Folge 278: Hit the Road

»Seinen ersten Tätowierer vergisst man nie ... Man vergisst ihn nie ...«


FRISCH GELESEN: Archiv

Hit the Road

Story: Dobbs
Zeichnungen: Afif Khaled

Splitter
Hardcover | 48 Seiten | Farbe | 16,00 €
ISBN: 978-3-96792-147-2

Genre: Krimi, Thriller, Neo-Western

Für alle, die das mögen: die USA, die 1960er und 1970er Jahre, Roadmovies und New Hollywood


Welcher europäische Erzähler träumt nicht davon, einmal eine Story in den USA anzusiedeln? In diesem Land, das schon aufgrund seiner schieren Weite nach epischen Geschichten, archaischen Figuren und monumentalen Bildern schreit? Olivier Dobremel alias Dobbs und Afif Khaled haben sich diesen Traum in ihrem nur 48 Seiten langen One Shot erfüllt. Ihre Geschichte spielt 1969 in Nevada und bietet uns Anblicke wie diesen:


»Get your motor runnin' / Head out on the highway« (Steppenwolf, 1968)

 

Im weiteren Handlungsverlauf wird es allerdings nicht um diesen Easy Rider und um all die Gegensätze und Widersprüche gehen, die bereits dieses Bild eines Ureinwohners in einer alten Bürgerkriegsuniform in sich vereint. Im Zentrum der Geschichte stehen Vicky und Clyde, ein vorzeitig entlassener Häftling und die Enkelin einer Mafia-Matriarchin aus der Glückspielstadt Reno. Erzählt wird das ohne Umschweife und ohne große Gegensätze, aber nicht ohne Widersprüche. Und ein Soundtrack darf natürlich auch nicht fehlen. Aus den Autoradios und Jukeboxen trällern Songs von Roy Orbison und den Beatles, die das nötige Zeitkolorit besorgen und die Szenen durch ihre Texte kommentieren.


»I shot a man in Reno just to watch him die« (Johhny Cash, 1955)

Warum Dobbs seine Geschichte an der Schwelle zu den 1970er Jahren und nicht in unserer Gegenwart angesiedelt hat, bleibt offen. Vielleicht hätte der Szenarist, Jahrgang 1972, diese Zeit selbst gern als Erwachsener erlebt, vielleicht liebt er aber auch nur die Filme jener Jahre. Anspielungen darauf finden sich in seinem Szenario zuhauf. Vielleicht ist es aber auch nur einfacher, einen Krimi-Plot in einer Epoche spielen zu lassen, in der es noch keine Mobiltelefone gab. (Dass jeder jederzeit erreichbar ist und alles mühelos im Internet recherchieren kann, macht viele Spannungsmomente von vornherein zunichte. Wohin das in zeitgenössischen Erzählungen führen kann, sieht man an den vielen ungelenken Versuchen, die Funktion von Mobiltelefonen einzuschränken oder ganz auszuschalten. Allgegenwärtige Funklöcher und nicht aufgeladene Akkus lassen grüßen.) Die Spannung in seiner Geschichte lebt jedenfalls ganz klassisch davon, dass nicht jede Figur (und mit ihnen auch nicht wir Lesenden) auf demselben Kenntnisstand ist. Leider ist auch der Rest der Handlung recht klassisch, im Sinne von erwartbar geraten.


»Stand, in the end, you'll still be you / One that's done all the things you set out to do« (Sly & the Family Stone, 1969)

 

Clyde ist auf Rache an der Gangster-Omi aus, weshalb er gemeinsam mit seinem Bruder deren Enkelin Vicky in seine Gewalt bringt. Unterwegs setzt das Stockholm-Syndrom ein und Vicky stellt sich gegen die eigene Familie, anstatt die Flucht anzutreten, wozu sie gleich mehrfach die Gelegenheit hat. Zum einen, weil dieser Verbrecher im Kern ein netter Kerl und zum anderen, weil er noch etwas ganz anderes ist, was Vicky zu diesem Zeitpunkt aber noch gar nicht wissen kann. Außerdem wollte sie eh weg von Mami und Omi, dem Drogenhandel und der Gewalt. Hach, wenn's nur so einfach wäre, wie es sich Dobbs mit diesem Szenario macht.


»I see the bad moon rising / I see trouble on the way« (
Creedence Clearwater Revival, 1969)

Hit the Road ist kein schlechter Comic, aber eben auch keiner, der vergleichbare Comics überragt. Afif Khaleds Zeichnungen können sich sehen lassen. Es sticht aber sofort ins Auge, dass es in einem Comic, dessen Handlung in den Weiten Nevadas über die Bühne geht, kein einziges Splashpanel und keine einzige Doppelseite gibt, die die atemberaubende Landschaft adäquat in Szene setzt.

Was dem Comic erzählerisch fehlt, sind Ideen, die über den reinen Genre-Baukasten hinausreichen. Dobbs denkt zu wenig out of the box. Seine Geschichte steckt voller ordentlicher Versatzstücke, die sich nicht recht zu einem stimmigen Ganzen fügen, weil die Motivation seiner Charaktere nie vollends nachzuvollziehen ist. Dafür bleiben ihm schlicht zu wenige Seiten für zu viele Figuren und Handlungsstränge. Als Zwei- oder gar Vierteiler hätte Hit the Road sicherlich besser funktioniert.

Am Ende verschwindet eine der zwei Hauptfiguren genauso geschwind, wie sie aufgetaucht ist und fährt dem Sonnenuntergang entgegen.


»Hit the road Jack and don't you come back / No more, no more, no more, no more« (Ray Charles, 1961)

Abbildungen © 2022 Splitter / Dobbs, Afif Khaled


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