Frisch Gelesen Folge 342: Kaputt in der City

»Ich war so zwischen 20 und 30, und obwohl ich schwer trank und nichts aß, war ich noch ganz gut beieinander, und das ist schon eine Portion Glück, wenn man sonst nicht viel zu lachen hat.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Kaputt in der City (Kolorierte Neuausgabe)

Story: Charles Bukowski
Zeichnungen: Matthias Schultheiss

Splitter
Hardcover | 160 Seiten | Farbe | 35,00 €
ISBN: 978-3-98721-185-0

Genre: Graphic Novel, Literaturadaption, Kurzgeschichten

Für alle, die das mögen: J.D. Salinger, Arthur Miller ...



Ich war wohl etwa 17 oder 18 Jahre alt, als in unserer Schule ein Buch kursierte, das gut zum spätpubertierenden Verhalten des gesamten Jahrgangs passte. Es war Der Mann mit der Ledertasche von einem gewissen Charles Bukowski. Zu der Zeit hatten wir keinen Gedanken daran verschwendet, dass es sich um Literatur handeln könnte, wir waren eher angetan von Sätzen wie »Ich drückte mich an ihren warmen Arsch und war in 45 Sekunden eingeschlafen«.

Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass diese erste Begegnung zu einer langandauernden – literarischen – Beziehung werden sollte. Dreh- und Angelpunkt waren damals die Veröffentlichungen aus dem Verlag Zweitausendeins, Romane, Kurzgeschichten und eine als LP herausgebrachte Lesung in Hamburg von 1978 mit dem Titel Hello it´s good to be back. Der Titel bezieht sich offensichtlich auf Bukowskis deutsche Herkunft (geboren in Anderlecht, aber sehr früh mit seinen Eltern ausgewandert). Das zugehörige Poster mit Bukowski am Kühlschrank (der auch legendär bei der Lesung auf der Bühne – gefüllt mit Müller Thurgau – stehen musste) durfte dann auch in keiner WG-Küche fehlen.


Der Protagonis in Henry Beckett wacht morgens mit goldgelber Farbe und grünen Punkten auf der Haut auf.


Mittlerweile auch zum Comicfan und -sammler mutiert, kam es dann 1984 für mich zur ultimativen Erfüllung. Der Heyne Verlag veröffentlichte zwei Comicbände mit Kurzgeschichten von Bukowski – gezeichnet von dem damals vielleicht eher bei Insidern bekannten Matthias Schultheiss – Der lange Job und Kaputt in der City. Die Geschichten stammen aus den Büchern Anmerkungen eines Dirty Old Man und Das ausbruchsichere Paradies, die in unterschiedlichen Verlagen und Formaten erhältlich sind.

Nach den Veröffentlichungen von Playboys Little Annie Fanny und Robert Crumbs Fritz, the Cat hatte sich der Heyne Verlag im nur langsam wachsenden deutschen Comicmarkt mit Autor und Zeichner damit wohl auf ein schwieriges Terrain begeben – um so mehr konnte man sich darüber freuen.

Die Geschichten sowieso (für die Bukowski auch das Copyright für die Comicbearbeitung hatte), aber auch die zeichnerische Umsetzung von Matthias Schultheiss waren aus meiner Sicht gigantisch.


Auszug aus New York für 95 Cents pro Tag.


Henry Beckett
, der morgens mit goldgelber Farbe und grünen Punkten auf der Haut aufwacht, New York für 95 Cents pro Tag, in der der Protagonist dem unaufhaltsamen sozialen Abstieg nur noch durch Flucht entrinnen kann, Zwei Trinker, Kid Stardust im Schlachthof (schon autobiografisch), Die Killer oder Die Drei-Zentner-Hure – immer geht es in Bukowskis Geschichten um soziale Randgruppen, Außenseiter, Trinker und Lebenskünstler, die die Härten des Lebens mit einem Augenzwinkern meistern oder sich final ergeben – oder schlichtweg um das Leben in Amerika in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an sich.

Je nach Geschichte sind die Erzählungen mal obszön, mal zärtlich, mal böse, schmutzig oder witzig, doch wer darauf setzt, vermehrt unter Röcke schauen zu können, wird dann doch enttäuscht. Ganz ohne ein bisschen Pornografie kommen die Geschichten nicht aus (Die Drei-Zentner-Hure), aber verglichen mit Bukowskis früherem Ruf, der ihm meines Erachtens zu Unrecht angedichtet wurde, um ihn in eine ganz bestimmte Ecke der Literatur zu manövrieren, ist das letztendlich harmlos. Möglicherweise hat sich aber auch einfach die Welt so geändert, dass man Bukowskis Inhalte heute gar nicht mehr als so extrem wahrnimmt.

Vergleicht man Kaputt in der City mit seinen aktuelleren Bänden der Haie von Lagos, dann erkennt man auf Anhieb, wie Matthias Schultheiss seinen Zeichenstil weiterentwickelt hat. Auch wenn diese Entwicklung natürlich schon in den zwei Zyklen der Haie nachvollziehbar ist (nicht zuletzt erschien der erste Band der zweiten Trilogie knapp 25 Jahre nach Abschluss des ersten Zyklus und langer Schaffenspause), der Unterschied zwischen den derben, fast schon aggressiven und schraffierten Schwarzweißzeichnungen der ursprünglichen Fassung der Bukowski-Geschichten und den Aquarellfarben und der digitalen Farbgebung späterer Zeichnungen ist schon krass.


Bukowski zeigt immer auch ein Stück Leben in den USA im 20. Jahrhundert, hier in Zwei Trinker.


Und da kommen wir dann auch zu dem Hauptunterschied zwischen der früheren Heyne-Ausgabe und der Neuauflage des Splitter Verlages. Neben Hardcover und der Veröffentlichung als Gesamtausgabe ist der wesentliche Unterschied die Farbe. Nun lassen sich farbige Geschichten sicherlich besser verkaufen als schwarzweiße, den aufsässigen Erzählungen von Bukowski wird das aber nur zum Teil gerecht und wirkt schon beinahe verharmlosend und weichgespült.

Bleiben noch zwei Bemerkungen: Erstens wurden die Geschichten damals von Carl Weissner übersetzt, der für fast alle deutschsprachigen Texte von Bukowski verantwortlich zeichnete (und unter anderem auch Übersetzer von William S. Burroughs und Allen Ginsberg war); das lässt sich im Impressum nicht finden. Die zweite Bemerkung betrifft das Lettering von Dirk Schulz. Auch wenn ich textlich keinerlei Unterschiede gefunden habe, das ursprüngliche Lettering von Michael Hau in den Heyne-Ausgaben war deutlich besser.


Auszug aus Die Drei-Zentner-Hure.


Bleibt, ein Fazit zu ziehen. Ich finde es super, dass Bukowski – und die alten Comics – wieder Aufmerksamkeit bekommen. Bei eBay sind die alten Ausgaben zwar noch erhältlich, aber die Gesamtausgabe zollt dem Schriftsteller jetzt den gebührenden Tribut. Vielleicht hätte man auf die Farbgebung verzichten können, aber das ist letztlich Geschmackssache. Für meinen Geschmack sind die alten schwarzweißen Geschichten deutlich intensiver und ausdrucksstärker.

So oder so ist die Neuauflage von Kaputt in der City eine schöne Erinnerung und Anlass, mal wieder in den alten Büchern zu schmökern, die auch nach so vielen Jahren nichts von ihrer Intensität und der ihr eigenen Poesie verloren haben.

[Stephan Schunck]

Abbildungen © 2023 Splitter / Matthias Schultheiss


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Oder beim Verlag: Splitter