Frisch Gelesen Folge 96: Das Herz der Amazonen

Das Herz der Amazonen

»Alle stimmen darin überein, dass sich Wölfinnen, wer immer sie sind, gewöhnlich nicht erweichen lassen.«
»Halbgötter übrigens auch nicht. So erzählt man es sich jedenfalls.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Das Herz der Amazonen Titelbild

Das Herz der Amazonen

Story: Géraldine Bindi
Zeichnungen: Christian Rossi

Splitter
Hardcover | 160 Seiten | Farbe (Monochrom/Sepia) | 29,80 €
ISBN: 978-3-36219-215-0

Genre: Abenteuer

Für alle, die das mögen: griechische Mythologie, Amazonen, starke Frauen


 

Hat eine Amazone ein Herz? Aber sicher doch: zumindest für Frauen und Tiere. Für Kinder nur, wenn sie NICHT männlich sind. Babys mit »Schniedel« werden nämlich direkt nach der Geburt mehr oder weniger zügig entsorgt. Zumindest in der Legendenwelt von Géraldine Bindi, einer aufstrebenden Szenaristin aus Frankreich, die sich neulich mit der griechischen Mythologie befasste.

Dort fand sie den Stoff, aus dem der uralte »Krieg der Geschlechter« gewebt ist, oder besser einen alten Teppich, gefertigt aus wundersamen Blüten, den sie kräftig ausklopfte und mit der Sage von Achilles verknüpfte.

Man merkt schon: Ich bin noch berauscht von der Lektüre von Das Herz der Amazonen, dem voluminösen Comicalbum, das Ende 2018 bei Splitter erschienen ist. Oder ist es eher von den opulenten Zeichnungen von Christian Rossi, der die Geschichte mit einem gnadenlos schönen Pinselstrich grafisch umgesetzt hat?

Wie dem auch sei … Wir halten fest: Mann und Frau sind grundsätzlich verschieden. Und das ist gut so. Dennoch sind sie in vielem ebenbürtig und möglicherweise austauschbar. Und auch das ist völlig okay. Doch bis es soweit war, musste ein langer Weg der Emanzipation beschritten werden. Und, wenn man aktuellen Statistiken in Wirtschaft und Politik Glauben schenken darf, sind wir noch nicht am Ende. Und dann ist da noch diese augenöffnende MeToo-Debatte gewesen …

Das Herz der Amazonen Leseprobe

In den Wald gelockt: Wenn Männer zu Opfern werden, es aber noch nicht wissen

 

Aber zurück zur Französin Géraldine Bindi und ihrem alten Stoff in neuem Lichte. Es sind Sagen überliefert, die von Frauen handeln, die wie Männer in den Krieg zogen. Diese sogenannten Amazonen-Völker sollen in einer Stadt namens Themiskyra gelebt haben. Bei langjährigen Comicleserinnen und -lesern dürfte bei der Nennung dieser Stadt die »Da-war-doch-was?!-Lampe« hell aufleuchten. Denn in der Tat ist das auch der Name der Inselnation von Prinzessin Diana, der Tochter der Hippolyte, jeder DC-Leserin besser bekannt als Wonder Woman.

Das Herz der Amazonen Leseprobe

Atmosphärisch: Christian Rossi kann alles gut zeichnen, aber besonders Menschen in der Natur

 

In Bindis Das Herz der Amazonen leben diese Frauen, die sehr gut mit Pfeil, Bogen, Speer und weiteren selbst gemachten Todeswaffen umgehen können, in einem dichten Wald, in den man gelockt werden oder sich hinein verirren kann, aber nicht wieder alleine herausfindet. Das wird diversen Männergruppen immer wieder zum Verhängnis, denn sie werden für das Blumenfest der Amazonen benötigt und dafür zunächst gewaschen (»Aber zuerst nehmt ihr ein Bad. Wir mögen hier nur saubere Männer.«), danach hergerichtet und zugeritten; und schließlich hingerichtet. Amazonen hassen nämlich Männer und brauchen sie nur zur Fortpflanzung. Diese Schwarzweißwelt, augenbetörend von Rossi mit sepiafarbenem Pinselstrich auf die Comicseiten gebannt, gerät jedoch ins Wanken als das Konzept der Liebe ins Spiel kommt. Diese uralte Kraft der Gefühle lässt sich nämlich nicht für alle Zeiten bändigen und als sogar die Amazonenkönigin Penthesilea bei der Konfrontation mit dem scheinbar unbesiegbaren Halbgott Achilles schwach wird, fangen die alten ungeschriebenen Gesetze an zu bröseln …

Das Herz der Amazonen Leseprobe

Vorbereitung für das Blumenfest:Spaß unter Amazonen, auf Kosten der Männer

Während die Autorin Géraldine Bindi hierzulande noch ein unbeschriebenes Blatt ist, kennen wir Christian Rossis Comickunst von Westernserien wie Der Planwagen der Thespis, Jim Cutlass oder W.E.S.T. Aber auch von Tiresias und Hera zum Ruhm, beide entstanden nach Szenarien von Serge Le Tendre, und mit denen hat sich Rossi bereits vor Jahren in die Welt der griechischen Sagen und Mythen gewagt. So ist Das Herz der Amazonen fast eine Art Rückkehr Rossis in bekanntes Terrain, welches der 1954 geborene Franzose mit traumwandlerischer Sicherheit und seinen begnadet guten Zeichnungen durchschreitet.

Christian Rossis hinreißend wunderschöne Zeichnungen von Flora und Fauna der alten Griechen sind alleine das Geld des Comicalbums wert. Dazu gibt es vorwiegend natürlich belassene nackte und halbnackte Menschen, eine mehr oder weniger vorhersehbare Geschichte und als »Bonus« eine Orgie und jede Menge Tote. All diese Zutaten machen Das Herz der Amazonen zu einem in sich stimmigen Comicalbum für Freunde der griechischen Mythologie und solche, die gerne antike Abenteuer mit leicht bekleideten Menschen goutieren.

Welches Geschlecht am Ende die Oberhand hat, das kann auch dieser Band nicht klären. Schließlich hat der Geschlechterkampf die alten Griechen überlebt und dauert noch an. Am Ende landen wir hoffentlich bei einem salomonischen Unentschieden …

[Matthias Hofmann]

Das Herz der Amazonen Leseprobe

Abbildungen © 2018 Splitter / Géraldine Bindi / Christian Rossi


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