Kolumne
House of Heroes: Staro talks about US Comics
→ von Stefan Immel
Folge 3: Träumen Androiden von digitalen Comics?
Die Tatsache, das DC ab September alle Titel zeitgleich mit der gedruckten Ausgabe auch digital anbietet wird als große Revolution angesehen und überall heiß diskutiert. Doch ist es wirklich eine so große Revolution wie man meinen mag? Ich schaue hier zunächst auf die digitale Komponente des DC Relaunchs und vergleiche diese mit bestehenden Angeboten und gehe danach noch ein wenig auf das Für und Wider von digitalen Comics ein.
DC bedient sich der App von comiXology, bzw. einem Ableger davon, wo die DC Hefte exklusiv verfügbar sein werden. Der große Vorteil davon ist, dass comiXology der Marktführer bei diesen Apps ist und sehr viel Erfahrung hat. Wenn ich also ein Heft mit der DC-App kaufe, kann ich es kostenlos in der Comixology-App runterladen. Dieses Konzept funktioniert übergreifend über alle Apps und alle Plattformen.
Das sogenannte »day-and-date«, also das zeitgleiche Erscheinen der Hefte in digitaler und gedruckter Form, ist sicherlich ein großer Schritt der den Fachmarkt, also die »kleinen« Comichändler, potentiell stark trifft. Welche Auswirkungen wirklich zu erwarten sind, weiß jedoch keiner so genau. Allerdings ist hier DC nicht der erste Verlag, der diesen Weg geht. Archie Comics veröffentlicht bereits seit 1. April 2011 sein komplettes Programm zeitgleich. Dass dies den Fachhandel und die einschlägige Comicseiten nicht so stark interessiert, liegt freilich daran, dass Archie Comics in den Comic-Shops kaum vertreten sind, dafür aber umso stärker im Zeitschriftenhandel oder in kleinen Ständern an den Supermarktkassen. Im Pressegrosso allerdings ist der Transfer zur digitalen Distribution schon sehr viel länger ein Thema, da Zeitungen nicht erst seit dem iPad Anteile an das Internet verlieren.
Die Auswirkungen auf den Comic-Fachmarkt sind zudem noch völlig unklar, was sich auch in den sehr unterschiedlichen Meinungen dort widerspiegelt. Zum einen beträgt das Volumen des digitalen Marktes im Vergleich zum traditionellen Print-Markt etwa nur 2 % und es sieht zur Zeit nicht so aus als würde die befürchtete Kannibalisierung stattfinden (siehe hierzu diesen Artikel auf ICv2), zum anderen kommen dieses Jahr noch einige billigere Tablets auf den Markt, die dem iPad Konkurrenz machen werden und auf denen die App von Comixology ebenfalls läuft. Außerdem ist die Verfügbarkeit aller Serien eines Verlages immer noch ein Unsicherheitsfaktor.
Was auch gerne bei der aktuellen Diskussion vergessen wird, ist die Tatsache das DC bereits vor der Ankündigung des Relaunchs seine Beteiligung am comiXology »Digital Storefront Affiliate Program« bekannt gegeben hat. Hiermit wird es Comic-Shops, die eine eigene Webseite betreiben (und wer tut dies heutzutage nicht), ermöglicht, digitale Comics zu verkaufen. Für alle Comics, die über die Plattform von einem lokalen Comic-Shop verkauft werden, bekommt dieser 15 % des Verkaufspreises, bei einer Teilnahme am DC-Programm sogar noch mehr. Somit hat jeder Händler zumindest die Möglichkeit eventuelle Verluste, die durch Abwandern der Kunden entstehen würden, durch digitale Verkäufe und somit eine fortgesetzte Kundenbindung teilweise aufzufangen.
Marvel bietet bereits seit 2007 seinen Dienst »Marvel Digital Comics Unlimited« an. Hier hat man für 9,99 US-Dollar pro Monat (oder 59,88 US $ im Jahr) Zugriff auf ca. 8000 Marvel Comics. Diese Comics sind mindestens ein Jahr alt und nur online verfügbar. Zudem wird ein flashfähiger Browser benötigt, so dass ein iPad als Lesegerät ausscheidet. All dieser Nachteile zum Trotz ist das Angebot doch mehr als günstig für jemanden der sowieso oft am Rechner sitzt und viel von Marvel liest. Ich selbst habe in eineinhalb Jahren mittlerweile jenseits von 300 Comics darüber gelesen und bei Gesamtkosten von unter 100 Euro für zwei Jahre (es gibt immer mal wieder Sonderangebote) ist das ein sehr gutes Angebot. Wenn man sich näher mit Comics beschäftigt und auch mal etwas recherchieren möchte, ist das Angebot fast schon ein Muss. Man hat sehr viel schneller hierüber in einem Comic etwas durchsucht, als man das mit gedruckten könnte.
Einen großen Nachteil hat das Angebot aber neben den oben erwähnten noch: Die Serien sind zum Teil unvollständig und im schlimmsten Fall fehlen ein oder zwei Hefte mitten in einer Geschichte, besonders dann, wenn die Geschichte sich über unterschiedliche Serien oder Sonderhefte streckt. Zum einen ist das sicher dadurch bedingt, dass die Leute, die diese Comics online stellen nicht notwendigerweise die Fachkenntnis haben, zum anderen aber auch dadurch, dass man trotzallem noch die Sammelbände im Buchhandel verkaufen will. Dieser Umstand hat sich aber rein gefühlt in den letzten Monaten gebessert. Es kommen täglich neue Comics hinzu und es sind auch relativ aktuelle dabei (zwölf Monate und älter).
Weiterhin werden über diesen Kanal zudem einige »digital exclusive« Hefte vertrieben. Das ist besonders zu Filmen immer wieder ein beliebter Versuch, um Kinogänger zum Comiclesen zu verführen. Es bleibt dennoch abzuwarten wie das Angebot weiter ausgebaut wird, gerade im Hinblick auf die digitale Initiative, die DC gerade startet.
Natürlich ist Marvel auch mit einer eigenen iPad App und seit neustem mit dem damit verbundenen comiXology-Webshop vertreten und hat dort schon diverse »day-and-date« Testballons gestartet. Seit kurzem stehen alle Spider-Man Titel zeitgleich mit der Druckausgabe digital zur Verfügung und die X-Men werden Ende November nachziehen. Hier bietet Marvel aber seit neustem auch eine Serie zuerst digital und später erst in Druckform an. Die Fortsetzung der Adaption von Raymond E. Feists Fantasy-Serie um den Riftwar erscheint aktuell in digitaler Form und wird dann nächstes Jahr als Sammelband gedruckt.
Auch Dark Horse hat vor kurzem seine eigene App gestartet und Image ist schon seit einiger Zeit mit einem Ableger bei der comiXology-App vertreten. Daneben gibt es auch noch weitere Anbieter wie z.B. Graphic.ly, die aber weder den Umfang, noch die Angebote des Marktführers haben.
Genau diese Angebote sind es aber, die von Interesse sind und hier bietet Comixology gerade mit den beiden großen Verlagen viel an. Montags ist beispielsweise »Marvel Monday« und aktuell gibt es den »Flashpoint Friday«. Und immer wieder werden neue Aktionen gestartet, die drei Tage dauern. In dieser Zeit gibt es Hefte für nur 99 Cents, was sich beim Kauf über den Apple Store in 0,79 Euro umrechnet. Für verschiedene Klassiker ist dies ein hervorragender Preis. So gab es neulich bei einem »Superman 101 Sale« die Superman-Geschichte aus Action Comic #1 für diesen Preis.
Im deutschsprachigen Raum ist man noch nicht ganz so weit, doch Mosaik hat sich mit einer eigenen App für die iOS Geräte etabliert und so kann man auch die Abenteuer der Abrafaxe digital lesen.
Doch bei all den Möglichkeiten digitale Comics zu kaufen und zu lesen besteht auch immer die Frage: Warum? Welchen Vorteil haben digitale Comics? Welchen Nachteil?
Da ich mich bereits eine Zeitlang mit dem Thema beschäftige, habe ich schon viel an teils extremen Meinungen und Vorstellungen gehört, finde mich selbst da aber eher in der Mitte wieder.
Geht es um das pure Lesen der Geschichten, so ergeben sich schon einige Unterschiede wenn man ein iPad oder ein anderes Tablet benutzt. Comics werden oftmals mit der Seite oder gar der Doppelseite im Auge geschrieben und gezeichnet, auch wenn man meistens mit einer Aufteilung in einzelne Panels arbeitet. Daran wird sich auch nichts ändern wenn DC ab September sein komplettes Programm sofort digital anbietet; soviel hat Jim Lee bereits verlauten lassen. Da kein Tablet die Auflösung bietet, um eine Comic-Doppelseite verlustfrei anzuzeigen und zudem die Größe nicht ausreicht und ein PC-Bildschirm zu unflexibel ist, bleibt ein gedruckter Comic als das optimalste »Lesegerät«. Mit Apps versucht man zwar Abhilfe zu schaffen, indem man einen geführten Lesemodus einschalten kann, bei dem man von Panel zu Panel blättern kann oder auch mal abwechselnd eine Doppelseite sieht und dann auf einen Ausschnitt oder Text zoomt, aber in letzter Konsequenz ist dies nur eine Notlösung. Solange der Comic nicht speziell hierfür produziert wurde. Ganz spezielle Effekte wie z.B. das Möbiusband in Promethea #15 sind so kaum sinnvoll umzusetzen.
Ein viel größerer Nachteil digitaler Comics ist die nicht vorhandene Möglichkeit, diese weiter zu verkaufen. Genau genommen erwirbt man hier auch keine Comics, sondern nur eine Lizenz diese zu lesen, bzw. sie auf ein mobiles Gerät herunter zu laden und dort zu lesen. Solche Lizenzen sind fest an ein Konto gebunden und dieses Konto wiederum an eine Email-Adresse. Einzelhefte können nicht »verkauft« oder sonst wie weiter gegeben werden. Es wäre vorstellbar, dass man sein Konto einer anderen Person überträgt, aber es ist rechtlich zumindest nicht ganz geklärt, ob dies legal ist.
Große Vorteile sind jedoch die Mobilität sowie der nicht benötigte Lagerplatz. Wenn ich die Comics, die ich auf meinem iPad habe, ständig mit mir herumtragen würde, benötigte ich einen Rollkoffer. Zudem sind weitere, bereits gekaufte Comics nur eine WLAN- oder UMTS-Verbindung und einen »Klick« weit entfernt. Es ist schon extrem verlockend, seine Comicsammlung immer unterwegs dabei haben zu können. Meine Sammlung nimmt zurzeit ca. ein Drittel meines Arbeitszimmers ein und wird naturgemäß nicht kleiner. Da ist die Verlockung, alles nur noch digital anzuschaffen schon groß. Für einen Amerikaner, die noch etwas mobiler sind was das Zuhause angeht, dürfte dies ein noch größerer Anreiz sein. Es wird mühsam, bei jedem Umzug die unzähligen Longboxen voller Hefte mitschleppen zu müssen. Im Zeitalter der zunehmenden Digitalisierung und Mobilität, wo alles nur noch in der »Cloud« gespeichert wird, ist natürlich der Gedanke verlockend, das auch mit Comics machen zu können.
Aber man muss berücksichtigen, dass Comics nicht nur Kunst und Literatur sind, sondern auch Sammlerobjekte. Mehr noch als bei Musik-CDs oder Schallplatten und Büchern ist es bei Comics »normal«, dass man versucht eine Serie zu komplettieren, nicht selten sogar auch ohne diese kompletten lesen zu wollen. Da man bei digitalen Comics kein wirkliches Eigentum erwirbt und eine virtuelle Sammlung sowieso nicht den Reiz einer echten Sammlung ausübt, ist dies sicher einer ihrer großen Nachteile.
Natürlich kann man ein solches Thema nicht ansprechen, ohne das große Problem der Raubkopierer zu erwähnen. Digitale Comics gab es schon sehr viel länger, nur sind dies dummerweise illegal eingescannte Versionen, die auf diversen Seiten zur Verfügung gestellt werden. Wenn man heute an einem beliebigen Erscheinungstag die einschlägigen Seiten nach den Neuerscheinungen durchsucht, ist es erschreckend, wie schnell und ausführlich man fündig wird. Hier bleibt eigentlich nur zu sagen, dass dies ein großes Problem für die gesamte Branche darstellt und Künstlern wie Fans nur schadet. Je mehr sich diese »Ich kann das ja kostenlos bekommen«-Mentalität verbreitet, desto weniger Kreative werden ihrer angemessen honorierten Arbeit nachgehen können. Autoren und Zeichner wollen auch bezahlt werden und wenn sich dies nicht durch die Verkäufe von Heften, Alben oder Sammelbänden (in welcher Form auch immer) finanzieren lässt, so müssen sie wohl stattdessen Pommes verkaufen oder Taxi fahren.
Besonders schlimm sind die Ausreden bzw. das Schönreden derjenigen, die diese Raubkopien nutzen. Da wird davon erzählt, dass dadurch das Interesse angekurbelt würde oder man ja nur die Serien herunterlädt, die man sich anderweitig sowieso nicht kaufen würde. Es wird gemutmaßt, dass der Verlag die Sachen selbst einstellen würde oder es werden ähnlich abwegige Theorien über einen fadenscheinigen Ehrencodex postuliert, der die Fans vier Wochen warten lässt bis eingescannte Comics online gestellt würden.
Niemand, der sich als echten Fan bezeichnet, kann diese Praktiken auch nur ansatzweise nutzen oder unterstützen.
Abschließend bleibt zu sagen, dass digitale Comics eindeutig auf dem Vormarsch sind und man sich dem weder als Fan noch als Verlag total verschließen sollte. Es lohnt in jedem Fall, ein Auge auf das zu haben was sich in diesem Bereich tut und da (wie so oft) die USA hier Vorreiter sind, kann man am Erfolg dort sehen was uns erwarten wird.
Abbildungen © Archie Comics, Dark Horse, DC Comics, Marvel Comics
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Über den Autor
Stefan »Starocotes« Immel, geboren 1968, liest seit über 20 Jahren US-Superhelden-Comics der großen Verlage und beschäftigt sich mit den Autoren und Künstlern, Redakteuren und Verlegern. Seit vier Jahren betreibt er ein Blog, das sich primär um Comics dreht.
Glücklicherweise wird von seiner Frau dieses Hobby nicht nur geduldet, sondern auch unterstützt und seine beiden Kinder kennen ebenfalls schon mehr Superhelden als der durchschnittliche Deutsche.