Kolumne
House of Heroes: Staro talks about US Comics
Folge 4: Supergods – Grant Morrison erklärt die Welt
→ von Stefan Immel
Ich war nie ein Fan von Grant Morrison, so wie ich es z.B. von Steve Gerber immer noch bin. Ich war noch nicht einmal ein sonderlicher Fan seiner Arbeiten, so wie ich nahezu alles mag, was Alan Moore schrieb. Arkham Asylum war meine erste Begegnung mit dem schottischen Autor und obwohl ich durchaus den künstlerischen Wert erkannte, hat mich das Werk eher verstört als unterhalten. Auch seine New X-Men waren damals zu weit von dem entfernt, was ich von den X-Men erwartete und an den Arbeiten, die wohl zu seinen besseren gehören, wie Animal Man und Invisibles, hat mich nie etwas genug fasziniert, als das ich damit angefangen hätte. Ein Umstand, den ich zu ändern gedenke.
Final Crisis hat mir dann fast den Rest gegeben. Zu Metafiktional, zu weit entfernt vom dem, was ich von Superhelden lesen will und in der Erzählstruktur zu lückenhaft. Trotzdem habe ich mich dann noch an Batman & Robin gewagt, was wiederum solide war. Alles in Allem gute Gründe, Grant Morrison aus dem Weg zu gehen. Doch dann kam der DC Relaunch und damit auch eine Menge an Interviews, die mich alle eher mehr interessierten. Trotz der Tatsache, dass sein Glasgower Akzent jedes Interview zu einem Höllentrip macht, habe ich durchgehalten und einen neuen Respekt für den Autoren gefunden. Daher war es auch schon bald klar, dass ich unbedingt sein Buch lesen wollte.
Supergods ist eine durchgeknallte Mischung aus Autobiographie, Streifzug durch die Geschichte der Superhelden-Comics, Religionsführer und Drogenberater. All das ist aber sehr vermischt und auch nicht immer chronologisch korrekt. Da wird eine persönliche Drogenerfahrung schnell als religiöses Ereignis gedeutet, das zu einem neuen Comic verarbeitet wird. All dies lässt mich vermuten, dass man selbst nach dem dritten oder vierten Lesen nicht alles verstanden haben kann und dass dies sicher auch gar nicht die Intention des Autors ist. So möchte ich dann auch meine Leser vorwarnen, dass diese Kolumne vielleicht etwas chaotisch wirkt und weder chronologisch ist, noch der Struktur des Buches folgt. Das liegt schlicht und ergreifend an in der Quelle.
Morrison beginnt das Buch mit einer Beschreibung, wie er in der Nähe eines Stützpunktes für Atom-U-Boote aufgewachsen ist und das seine Eltern, besonders sein Vater, Anti-Atomaktivisten waren. So wurde er früh mit der Angst vor der Bombe konfrontiert, aber auch mit Superman, einer Idee die stärker war als die Bombe. Er hatte somit schon früh gelernt, das Superhelden mehr waren als bunte Bilder, sondern Konzepte die selbst eine Macht besitzen und diese auch in die Realität übertragen können. Diese Erkenntnis, die Auswirkung auf sein Leben und seine Weltanschauung, sowie was das alles mit seinen und Comics im Allgemeinen zu tun hat, ist dann auch der Inhalt des Buches. Selbst seine eigenen Drogenerfahrungen beeinflussen seine Ansichten bzw. werden davon beeinflusst.
Er postuliert hierbei zunächst die recht einfache und wohl hinreichend bekannte Maxime, dass Comics und Superhelden im Besonderen die Wünsche und Träume der jeweiligen Zeit darstellen. So entstand Superman aus der Rezession und dem Bestreben, der Korruption der wachsenden Industrialisierung wieder etwas Menschlichkeit entgegen zu setzten. Nach und nach beschreibt er die einzelnen Zeitalter der Comics und sieht dabei immer die Quellen in der aktuellen Kultur. So wird das Silver Age geprägt vom Aufbruch der Wissenschaft und der Popularität von Science Fiction. Das was er als Dark Age beizeichnet, wird beherrscht von dem Versuch »relevant« zu sein und Themen aufzugreifen die »erwachsen« sind.
Bei all dem bleibt er natürlich in keinem Fall objektiv, doch auch seine subjektiven Eindrücke haben etwas erfrischend ehrliches. Watchmen sieht er aufgrund der Erzählstruktur sehr wohl als Meilenstein der Comic-Geschichte an, wundert sich aber über die Aussage die dort präsentiert wird. Für ihn wäre es viel logischer gewesen, wenn Ozymandias und Dr. Manhattan sich zusammen geschlossen und eine bessere Lösung für das Problem gefunden hätten. Für ihn hat der Meilensteincharakter von Watchmen auch viele negative Seiten. Da nach dem großen Erfolg der Serie viele Autoren versuchten, den Erfolg und leider auch das Konzept zu kopieren. Die Comics wurden zunehmend düsterer und dystopischer.
Ebenso findet er selbst in der Image-Zeit Vorzüge. In dieser Phase ging es vor allem um stylische Comics und die Story wurde mehr als notwendiges Übel angesehen. Nach all den Moore-Nachahmern wurde nun auch wieder versucht, ein Publikum neben den ganzen Pseudointelektuellen zu erreichen. Diejenigen Leser und Autoren, die einen Anspruch in den Comics nur brauchten, um ihre eigene Lust an »Kinderliteratur« zu rechtfertigen, wurden nun um diejenigen ergänzt, denen Artwork und Action wichtiger waren als Anspruch und Charakterentwicklung. Sowieso findet Morrison oftmals passende, aber nicht wirklich verletzende, Worte für die unterschiedlichen Leser und deren Motivation. Absolut kein Verständnis hat er jedoch für diejenigen, die immer wieder den Tod der Superheldencomics voraussagen.
Ein großes Thema ist bei ihm immer wieder der sogenannte Zirkelbezug du das in vielerlei Hinsicht. Die Gesellschaft bringt Geschichten über Superhelden hervor. Diese Geschichten schaffen oder beeinflussen eine Kultur. Diese Kultur wird erwachsen und beeinflusst die Gesellschaft und daraus entstehen dann wieder neue Geschichten für Comics. Diesen Zirkelbezug und die Beeinflussung gingen für ihn dann so weit, dass es zu einer grundsätzlichen Weltanschauung wurde. Sind wir nicht auch Teil einer Geschichte, egal von wem sie geschrieben wurde? Kann man unsere Realität durch Geschichten verändern? Mit dieser Idee hat er zunächst in Animal Man gespielt und danach berichtet er davon, wie die Tatsache dass King Mob, ein Charakter in der Serie Invisibles der nach Grant Morrison selbst gestaltet wurde, krank wurde, und das dies auch ihn selbst krank werden ließ. Hier unterstützte er die »Heilung« durch einen Pakt mit einem Bakterium und einem Voodoo-Ritual.
Überhaupt nehmen Voodoo, Magie und Drogen einen relativ großen Platz in seinem Leben ein, all das wird in dem Buch zwar relativ oft, aber nicht sonderlich predigend erwähnt. So wird der Drogenkonsum nicht sofort als negativ dargestellt, aber er erwähnt zumindest auch die negativen Seiten und vor dem Missbrauch von Magie und Voodoo warnt er sogar ausdrücklich, gibt aber auf der anderen Seite wieder Tipps was funktioniert und was nicht.
Man kann sicher auch das einschneidende Ereignis in Katmandu als einen Drogentrip abtun. Auch wenn sich Morrison selbst sicher ist, dass es das nicht war. Hier beschreibt er ein Treffen mit Aliens aus der 5. Dimension, die ihm die Funktion des Universums erklären. All das in der bereits von ihm postulierten Idee, dass auch wir nur Teil einer Geschichte sind und das diese »Aliens« in unserer Geschichte »blättern« können wie in einem Comic.
Das wichtigste Fazit, das er für sich selbst aus all dem zieht, ist die Herangehensweise an Superhelden. Die Tatsache, dass man immer wieder versucht Superhelden »realer« zu machen, indem man sie mit menschlichen Schwächen ausstattet und die Geschichten darauf ausrichtet, dass der »Held« an diesen Schwächen scheitert, hält er für falsch. Da die Storys auch immer Einfluss auf die Gesellschaft nehmen, sollten Superhelden trotz ihrer Schwächen alle Widrigkeiten übersehen und das Richtige tun. Daher auch sein Problem mit Watchmen, wo ein Held zu einer viel zu drastischen Maßnahme greift und am Ende der Schurke ist. Für ihn haben Helden mit ihren Kräften immer die Möglichkeit über sich hinaus zu wachsen und stellen somit ein Ideal dar, was gerade in dem von ihm beschriebenen »Dark Age« nicht der Fall war.
Supergods enthält daneben noch so viele kleine Ideen, Anekdoten und Comicreferenzen, dass es zu weit führen würde all diese hier detailliert aufzuführen. Er erwähnt einen 11-jährigen Zyklus, bei dem die Jugendkultur zwischen Punk und Hippie wechselt, außerdem Treffen mit Robbie Williams, Weltreisen, Conventions und unheimliche Begegnungen mit sehr seltsamen Nerds.
Ich bin immer noch kein Grant Morrison Fan, verstehe jetzt aber seine Ansichten etwas besser. Mein größtes Problem ist aber, wie immer, dass die Zahl der Comics, die ich gerne lesen würde, mal wieder gewachsen ist. Animal Man und Invisibles sind jetzt auf meiner »muss Lesen«-Liste gelandet.
Abbildungen © Siegel & Grau, DC Comics, Marvel Comics
Supergods:
What Masked Vigilantes, Miraculous Mutants, and a Sun God from Smallville Can Teach Us About Being Human [Hardcover]
Spiegel & Grau, Hardcover, 464 Seiten, Englische Sprache, ISBN: 978-1400069125
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Über den Autor
Stefan »Starocotes« Immel, geboren 1968, liest seit über 20 Jahren US-Superhelden-Comics der großen Verlage und beschäftigt sich mit den Autoren und Künstlern, Redakteuren und Verlegern. Seit vier Jahren betreibt er ein Blog, das sich primär um Comics dreht.
Glücklicherweise wird von seiner Frau dieses Hobby nicht nur geduldet, sondern auch unterstützt und seine beiden Kinder kennen ebenfalls schon mehr Superhelden als der durchschnittliche Deutsche.