Relaunch, Reboot, Restart. Während die deutschen Panini-Ausgaben gerade bei den Fans gehörig für Diskussionsstoff sorgen, sind in den USA die »New 52« inzwischen auch schon rund ein Jahr alt. Jetzt kommt Marvel mit seiner Antwort namens »Marvel NOW!« aus dem Busch.
Alles neu? Das ist es nicht wirklich. Staro erklärt mit seiner neuen Kolumne, dass sich die ganze Aufregung nicht lohnt. Das ist wie in Irland mit dem Wetter ... Passt jemand die aktuelle Handlung nicht? Dann möge er ein paar Monate warten, denn es kommt bestimmt ein Relaunch daher.
House of Heroes: Staro talks about US Comics
Folge 8: The Same Old Same Old
VON STEFAN IMMEL
Warum der Drang, sich immer wieder neu zu erfinden, eine Chance ist
Nun ist er auch in Deutschland angekommen, der Reboot mit den »New 52«. DC hat so ziemlich alles auf null gedreht (mit Ausnahme von Batman und Green Lantern), die 2. Weltkriegshelden der JSA ausradiert, Superman zu einem sozialistischen Kämpfer für die Unterschicht erkoren und sonst so einiges geändert bzw. andere Änderungen wieder rückgängig gemacht. So ist Superman nicht mehr verheiratet und Barry Allen war bisher der erste und einzige Flash.
Nun liest man in den diversen Foren und Blogs das Gestöhne über wieder einen Reboot, wieder einen Neustart und die damit verbundene Tatsache, dass man zum einen all die alten Geschichten zunichtemacht und zum anderen diese Neustarts nur dazu dienen, mehr Comics zu verkaufen. Letzteres kann man nur mit einem deutlichen »JA!« beantworten, ich werde aber im Weiteren noch genauer darauf eingehen. Dass jedoch die alten Geschichten zunichte gemacht werden ist lächerlich. Man kann all die alten Comicgeschichten immer noch lesen. Keiner nimmt von diesen Storys etwas weg oder verändert sie. Das »Vernichten« der alten Geschichten passiert ausschließlich im Kopf einiger Leser, die vergessen zu scheinen, dass all diese Geschichten erfunden sind und jedweder Zusammenhang letztendlich bedeutungslos ist. Die alten Comics mit all ihren Verwicklungen und Bezügen sind immer noch vorhanden und können gelesen und geschätzt werden.
Ein weiteres Argument war ebenfalls, dass nur DC ständig solche Neustarts macht und die Marvel Charaktere eine durchgängige Chronologie haben. »Marvel NOW!«, die kürzlich in den USA angekündigte Initiative, bei der eine Menge Serien neu gestartet werden, ist hier ein gutes Bespiel, weil die Verantwortlichen hier nicht aufhören zu betonen das es kein Relaunch ist, sondern alle Geschichten ihre Gültigkeit behalten. Das ist aber nur bedingt richtig. Marvel hat zwar nie sein komplettes Universum neu gestartet und das alte »sterben« lassen, aber auch hier werden Charaktere immer wieder neu gestartet, angepasst und Verstorbene kommen wieder zurück. Der Unterschied zu DC besteht darin, dass Superman, Batman und Konsorten meistens zur gleichen Zeit Ihre Runderneuerung bekommen. Da gibt es dann »Events« wie Flashpoint / New 52, Infinite Crisis oder Crisis on Infinite Earth, die allen Charakteren einen mehr oder weniger neuen Startpunkt geben. Etwas ähnlich Umfangreiches gab es bei Marvel so nicht. »Heroes Reborn« nahm nur einen Teil der Charaktere aus dem »normalen« Marvel Universum heraus und war auch nur temporär angedacht. Und das »Ultimative Universum« ist getrennt vom normalen Marvel-Universum angesiedelt und hat selbst schon »Mini-Reboots« über sich ergehen lassen müssen.
Doch was soll das nun mit den Rundumerneuerungen? Warum werden Helden »neu gestartet« und zum Teil vergangene Geschichten als nicht mehr gültig erklärt?
Ein Argument, das die Fans oft anbringen und zum Teil den Verlagen als Vorwurf machen, ist die Tatsache, dass eine zu komplexe Hintergrundgeschichte, die zum Teil Jahrzehnte umfasst, zu kompliziert für Neuleser wäre und daher die Verlage kurzerhand den Helden wieder auf eine überschaubare Geschichte zurecht stutzen wollen. Ich denke, dass dies nur eine untergeordnete Rolle spielt. Schaut man sich jedoch Batman und Green Lantern an, also die beiden Serien, die man mit den »New 52« nahezu unberührt belassen hat, stellt man fest, dass gerade hier die lange Geschichte ein Erfolgsrezept zu sein scheint. Grant Morrison hat das bei Batman zum Teil schon zelebriert und die Verkaufszahlen sowohl der Hefte, aber insbesondere der Sammelbände im Buchhandel scheinen ihm dort recht zu geben. Hier hat DC offensichtlich erkannt, dass eine lange und zum Teil komplexe Geschichte eher hilft, Hefte zu verkaufen.
Ist es vielleicht die Idee, eine neue Nummer 1 auf den Markt zu bringen? Das geht ganz offensichtlich auch ohne, dass man den Charakter verändert, was Marvel schon mehrfach bewiesen hat und mit »Marvel NOW!« wieder tut. Zudem ist eine neue Nummer 1 keinesfalls ein Garant für mittel- oder gar langfristig gute Verkaufszahlen (siehe blog.comichron.com/search/label/Relaunches). Wenn man es genau betrachtet, gibt es auch Serien, die ohne eine neue Nummer eins »neu« gestartet wurden, so wurde Superman nach der Crisis on Infinite Earths zwar in Adventures of Superman umbenannt, man behielt aber die Nummerierung bei. Adventures of Superman #424 folgte auf Superman #423.
Was ist es also denn das die Verlage dazu führt Charaktere, Teams und ganze Universen immer wieder neu zu starten? Wie bereits zuvor erwähnt sollen mehr bzw. neue Leser gefunden werden, schlicht um mit neuen Kunden mehr Geld zu verdienen. Dazu versucht man Charaktere und Themen wieder aktueller zu gestalten, Konzepte, die vielleicht schon seit zehn Jahren existieren, mögen überholt sein oder die potentiellen Neuleser nicht ansprechen. Ein aktueller Held, der sich nicht das Internet zu Nutze macht, ist unglaubwürdig und wenn heutzutage Helden zu sehr auf die Motivation 2. Weltkrieg aufbauen, ist dies auch nicht besonders verkaufsfördernd.
Schaut man sich einen der ersten größeren »Relaunches« an, versteht man das sehr viel besser. Green Lantern war nicht immer der Weltraumpolizist, dessen Ring ein Wunderwerk außerirdischer Technologie ist. Alan Scott, die Green Lantern des Golden Age der Comics, fand in den 1940ern eine magische Laterne und schmiedete sich daraus einen Ring. Man machte sich 1959 die wachsende Begeisterung für Science Fiction, den Weltraum und alles was damit zu tun hatte zu nutzte und passte den Comic-Charakter mit einem Silver Age-Revival entsprechend an. Solche Adaptionen ziehen sich durch nahezu alle Verlage und alle Charaktere. Sei es der ständig wechselnde Krieg in dem Tony Stark seine Verletzung beigebracht wurde (vom Vietnam Krieg, über den ersten Golfkrieg bis hin zu Afghanistan), die zum Teil rapide schwankenden Kräfte von Superman oder auch seine kürzliche Rückkehr zu den eher sozialistischen Wurzeln.
Immer haben die Verlage einen Blick darauf, was die potentiellen Leser interessieren könnte, und wenn für die angepeilte Neuausrichtung alte Geschichten im Weg sind, werden diese kurzerhand ignoriert. Nicht nur die Verkaufszahlen geben ihnen hier recht, man muss auch bei genauerer Betrachtung einsehen, dass eine seit 70 Jahren fortlaufende Geschichte nur bedingt Sinn macht. Bei Captain America mag es ja noch funktionieren, den Zeitpunkt seines Auftauens fliessend zu verlagern, aber bei der großen Anzahl der Helden wird das schwierig. Ein neuer Leser will ebenfalls Tony Stark als Iron Man sehen, so wie sich das seit vielen Jahren eingeprägt hat und so steht auch das Weiterentwickeln (inkl. Kinder und Nachfolger), das bei her unabhängigen Comics (z.B. Savage Dragon) möglich ist, vollkommen außer Frage. Hier würde man vielleicht einige wenige Fans zufrieden stellen, die sich genau so etwas wünschen, aber die Masse der Leser sehr wahrscheinlich verschrecken.
Und so muss man sich entweder damit abfinden, dass Charaktere sich ständig im Kreis drehen, dass es Zyklus um Zyklus um einen Neustart, zum Teil dieselben Entwicklungen und Lernmechanismen der Helden geht und immer wieder Geschichten als »nicht passiert« deklariert werden, oder aber man sieht das Ganze als neue Kunstform an, als zyklische Geschichten, die in all ihren Wiederholungen immer wieder Variationen zeigen. Die modern sind, obwohl sie sich auf Jahrzehnte alte Konzepte beziehen. Es gibt sonst kein Medium, wo man dieselben Charaktere in solch unterschiedlichen Rollen, Zeitaltern und Umständen sehen kann. Die Charaktere sind immer noch erkennbar, auch wenn Autoren ihnen oftmals einen eigenen Stempel aufdrücken.
Wer also Marvel oder DC Comics liest sollte sich genau damit abfinden. Auch die »New 52« werden in zehn Jahren nicht mehr »new« sein. Und wenn Matt Fraction mit seiner aktuellen Iron Man Story fertig ist und das Zepter weiter reicht (an Kieron Gillen?) wird es auch hier erhebliche Änderungen geben. Wenn man das nicht mag, sondern eine Geschichte lesen will, die sich ständig weiter entwickelt, ist man vielleicht bei anderen Verlagen und Serien besser aufgehoben. Der bereits erwähnte Savage Dragon ist seit 20 Jahren aktiv und mittlerweile ist der Sohn des ursprünglichen Helden der Protagonist der Serie.
Für mich betrachte ich auch jedes Mal einen Reboot mit einem lachenden und einen weinenden Auge. Ich war ein großer Fan der »alten« JSA, und an die neuen Helden der »Earth 2« muss ich mich zunächst gewöhnen, aber gerade das macht auch irgendwie den Reiz der Comics für mich aus. Ich möchte entdecken was den neuen Alan Scott ausmacht, wie der neue Jay Garrick seine Kräfte entdeckt und vielleicht auch wie ein neuer Dr. Fate den Helm des Nabu in Besitz nimmt.
Auch bei »Marvel NOW!« weine ich jetzt schon Fractions Iron Man hinterher, freue mich aber gleichzeitig auf das, was Kieron Gillen mit dem Eisernen anstellen wird.
Abbildungen © DC Comics, Marvel
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Über den Autor
Stefan »Starocotes« Immel, geboren 1968, liest seit über 20 Jahren US-Superhelden-Comics der großen Verlage und beschäftigt sich mit den Autoren und Künstlern, Redakteuren und Verlegern. Seit vier Jahren betreibt er ein Blog, das sich primär um Comics dreht.
Glücklicherweise wird von seiner Frau dieses Hobby nicht nur geduldet, sondern auch unterstützt und seine beiden Kinder kennen ebenfalls schon mehr Superhelden als der durchschnittliche Deutsche.