In der neuen Folge seiner US-Kolumne beschäftigt sich Stefan Immel mit dem sanften Relaunch bei Marvel unter dem Label »Marvel NOW!«. Anders als DC Comics, startet der große Konkurrent Marvel Monat für Monat einige seiner Superheldenserien neu.
House of Heroes: Staro talks about US Comics
Folge 10: DCs »New 52« waren gestern, jetzt kommt »Marvel NOW!«:
VON STEFAN IMMEL
Der große Vorwurf, der an die beiden großen Verlage geht, ist dass sie immer nur kopieren. Sei es dass die Zombies in Blackest Night nach denen in Marvel Zombies kamen oder das ein Heroic Age kurz nach dem Brightest Day ausgerufen wurde. Immer wieder wird der Ruf laut, dass man ja keine eigenen Ideen mehr hätte und der Eine dann vom anderen »abkupfert«. Als Marvel NOW! in diesem Frühjahr angekündigt wurde, war mal wieder klar dass dies nur eine Kopie von DCs New 52 sein konnte. Dieser Neustart der im letzten Jahr nicht nur für Furore, sondern auch für eine Erstarkung des gesamten Marktes sorgte, ganz zu schweigen von den Umsatzgewinnen, die DC erzielen konnte.
Ein kleine Randbemerkung: Der Anstieg an Verkäufen ist sicher nicht nur den New 52 zu verdanken. Da spielen unter Anderem TV- und Filmerfolge wie The Walking Dead oder Dark Knight Returns ebenso eine Rolle, wie die Erstarkung der Creator Owned Comics.
Ist Marvel NOW! also nur eine Kopie von DCs New 52? Und überhaupt, ist das denn so schlecht? Grundsätzlich sollte erstmal nichts schlecht sein, was dem gebeutelten Comicmarkt in den USA hilft (ob es denn »gut« ist, steht auf einem anderen Blatt). Wenn also Marvel NOW! einen ähnlich positiven Einfluss auf die gesamten Verkaufszahlen hat, kann das nur allen dienen. Zudem ist es gerade Marvel, das wohl am wenigsten vom allgemeinen Boom der Comicindustrie profitieren konnte und das trotz des Riesenerfolges der Avengers.
Also schnell eine Kopie des DC Relaunchs aus dem Hut gezaubert und alles wird gut? Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Interessanterweise bestand Marvel von Anfang an darauf, dass es kein Relaunch ist, so wie das bei DC der Fall war. Die Continuity läuft weiter wie bisher, alles was in den letzten 50 Jahren Marvel-Geschichte passiert, ist bleibt soweit bestehen (sofern es nicht vorher schon anderweitig umgeschrieben wurde), nur die Serien werden neu gestartet und die Kreativteams neu zusammen gestellt.
Wobei NUR hier doch eine Untertreibung ist, immerhin verlässt Brian Michael Bendis, der seit acht Jahren die Geschicke der Avengers bestimmt und für deren großen Erfolg verantwortlich ist, diese Serien und wechselt zu den X-Men. Die Avengers werden dafür von Jonathan Hickman übernommen der dafür die Fantastic Four verlässt, die jetzt von Matt Fraction geschrieben werden usw. In einigen Fällen wechseln Zeichner mit den angestammten Autoren, in anderen wird auch hier neu gewürfelt. Was sich auf den ersten Blick wie ein wildes Durcheinander anhört, ist auf den zweiten Blick zum Einen durchdachter und zum Anderen mutiger als das, was DC getan hat.
DC hat augenscheinlich alles auf null gedreht, so wurde das zumindest am Anfang verkauft. Fakt ist jedoch, dass man nur ca. die Hälfte der Geschichte wirklich zurück gedreht hat, wenn überhaupt. Animal Man und Swamp Thing, zwei der hochgelobten Serien bedienen sich heftig aus der fast schon verstaubten Vertigo-Kiste. Viele andere Serien ignorieren einfach die Vergangenheit und Green Lantern läuft weiter wie bisher. Alles rund um Gotham ist mittlerweile in einem Kontinuitätstrudel versunken, von dem das Debakel um Tim Drake und seine nicht vorhandene Tätigkeit als Robin nur ein kleiner Ausläufer ist. Der unsägliche Abgang von Rob Liefeld war sicher zu gutem Teil seinem schwierigen Charakter zu schulden, aber auch hier konnte man sehen, dass DC an vielen Dinge ziemlich ad hoc herumdreht und es keinen echten »Masterplan« gibt. Auch die vorsichtigen Äußerungen von Grant Morrison, nachdem er seinen Abschied von Action Comics verkündet hat, lassen so etwas vermuten. Marvel NOW! Hingegen verzichtet auf eine Umstrukturierung der Geschehnisse und daher weiß auch jeder Autor wo er dran ist. Zudem hat Marvel schon seit Jahren das Konzept, dass auf größeren Meetings Meilensteine festgelegt werden, die alle Autoren als Anhaltspunkte nehmen und die Handlungsstränge nicht zu sehr divergieren zu lassen.
Ein weiterer interessanter Punkt bei den New 52 war die Tatsache, dass man bei DC scheinbar äußerst vorsichtig war. Die Serien, die gut liefen wurden, bis auf die Tatsache das man eine neue Nummer 1 davor stellte, nicht angepasst, sondern alles drum herum, allem voran Green Lantern, wo der Neuanfang fast schon voraussetzte, dass man seit fünf Jahren intensiv verfolgt, was denn nun um das Corps herum vorgeht. Auch hier geht Marvel einen komplett anderen Weg. Gerade die erfolgreichen Serien wie Avengers oder Spider-Man bekommen eine Komplettüberholung, letzteres so stark das der Autor, Dan Slott, mal wieder unter eine Lawine von Hassmails, -tweets und sonstigem sozialem Netzwerkmüll erstickt.
Viele der angekündigten Serien und Neuigkeiten sind wirklich frisch (ich scheue mich in diesem Zusammenhang das Wort »neu« zu verwenden) und nicht so ausgetreten wie manches, was man die letzten Jahre präsentiert bekam. Der Spider-Man wird ein neuer sein, die Avengers werden New Mutants als Mitglieder bekommen und die Gegner hören sich ebenfalls neu an, Iron Man verschwindet mit den Guardians of the Galaxy ins All und die Fantastic Four begeben sich auf einen Familientrip und werden daher auf der Erde durch ein ganz wildes Team ersetzt.
In meinen Augen war das, was DC gemacht hat aus Marketing Sicht sicher genial. Alles auf Anfang, alles mit einer neuen Nummer 1, alles digital, das konnte man schön in den Medien ausrollen und hat viel Aufmerksamkeit bekommen. Der GANZ große Run ist aber ausgeblieben. Marvel hat sich das in Ruhe angeschaut und versucht jetzt auf seine Art von all dem zu profitieren. Es ist strukturierter und in meinen Augen sowohl für Neuleser als auch für alte Fans sehr viel geschickter. Im letzten Jahr bekam ein Neuleser 52 neue DC Serien vor die Nase und das war einfach zu viel. Marvel NOW! streckt das ganze über mehrere Monate und man kann sich aussuchen wo und wann man einsteigt. Langjährige Leser werden nicht vor den Kopf gestoßen, in dem man ihnen sagt das die alten Geschichten nun keine Auswirkungen mehr auf die neue »Kontinuität« haben und trotzdem hat man neue Serien am Start die keine intime Kenntnis der gesamten Vorgeschichte bedürfen.
Daher würde ich jetzt mal sagen, dass diesen Kampf in jedem Fall die Leser gewinnen werden, da uns (soweit man das absehen kann) neue und frische Geschichten präsentiert werden. Ich jedenfalls freue mich auch hier auf die Marvel NOW! Sachen. Ob Marvel nun wirklich so stark davon profitiert wie sie vielleicht erwarten, steht dann auf einem anderen Blatt.
Abbildungen © Marvel, diverse Autoren/Zeichner
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Über den Autor
Stefan »Starocotes« Immel, geboren 1968, liest seit über 20 Jahren US-Superhelden-Comics der großen Verlage und beschäftigt sich mit den Autoren und Künstlern, Redakteuren und Verlegern. Seit vier Jahren betreibt er ein Blog, das sich primär um Comics dreht.
Glücklicherweise wird von seiner Frau dieses Hobby nicht nur geduldet, sondern auch unterstützt und seine beiden Kinder kennen ebenfalls schon mehr Superhelden als der durchschnittliche Deutsche.