Lachwitz liest: Webcomics - Ouvertüre

Abt: Webcomics

Heute startet eine neue Kolumne, die sich mit Webcomics auseinandersetzen wird. Alexander Lachwitz wird regelmäßig für CRON über diesen Bereich schreiben, der für viele Leser gedruckter Comics noch ein Buch mit sieben Siegeln ist. Jede Kolumne wird mit unserem Forum verlinkt, damit ein hoffentlich reger Meinungsaustausch stattfinden kann.

Lachwitz liest:

Streifzüge durch die Wunderbare Webcomics Welt

Folge 1: Neunte Kunst im Netz anno 2011

→ von Alexander Lachwitz

Wir sollten jubeln, eine Feier schmeißen und uns generell freuen! Warum? Na, schaut euch  auf dem deutschen Webcomic-Verzeichnis um. Ein Dutzend neue Einträge oder mehr pro Tag, wöchentlich neue Webcomicseiten, die das Licht der Welt erblicken. Alle Zahlen gehen stetig nach oben! Was will man mehr?

Wie wäre es mit weniger Stigmatisierung und mehr Anerkennung durch die Allgemeinheit? Machen wir uns nichts vor, Webcomics führen weiterhin ein Nischendasein in der Comic-Szene, welche ihrerseits in Deutschland noch immer ihre liebe Mühe hat. Es wäre naiv anzunehmen, dass Webcomics bald eine feste Größe darstellen werden. Mehr als in anderen Ländern gilt in Deutschland doch leider, »wat der Bauer nicht kennt, frisst er nicht«. Doch die Entwicklung geht zweifellos in die richtige Richtung. Sowohl bei den Zeichnern, als auch den Lesern wächst das Interesse und die Bereitschaft sich mit diesem Medium mehr und mehr auseinanderzusetzen. Anstatt nun also zu jammern, was nie schwer fällt, wollen wir doch lieber einmal schauen was bisher geschafft ist und was noch auf uns zukommen wird.

Neunte Kunst im Netz anno 2011

Endlich  haben wir  die technische Grundlage, die für Webcomics nötig ist: DSL, diverse Blogsysteme, dank UMTS auch den Zugriff von unterwegs und günstige Hard- wie Software. All das war in den 1990ern noch nicht gegeben und steht seit einigen Jahren endlich flächendeckend zur Verfügung.

Dass der eigentliche Boom dennoch erst vor zwei bis drei Jahren begann, ist wohl der zweiten Entwicklung zu verdanken: dem wachsenden generellen Bewusstsein für Comics in Deutschland. Dies ist vor allem dem Siegeszug eines Begriffs zu verdanken, welcher zu oft genutzt wird, um Comics als Nahrung für das anspruchsvolle Bildungsbürgertum zu verkaufen: Graphic Novel.

Inzwischen haben selbst die großen Verlage verstanden dass sich mit einer  »Graphic Novel« durchaus Geld verdienen lässt, während ein »Comic« weiterhin meist ignoriert wird. Ergo wird hier gerade ordentlich Geld ins Marketing gesteckt und natürlich müssen auch Zeichner unter Vertrag genommen werden.

Insgesamt wird dabei die Aufmerksamkeit der Verlage nicht bloß auf die etablierten Zeichner gelenkt, sondern auch auf das Gros der Webcomiczeichner, wächst hier doch eine ganz neue Generation von Autoren und Zeichnern heran.

Natürlich hat auch der allgegenwärtige Like-Button seinen Teil daran. Ohne Facebook-Account ist man ja heute kein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft mehr. Allerdings ist der Anteil an durch Facebook generiertem Leserzuwachs zumindest nach Aussagen einiger Zeichner doch deutlich geringer, als man gemeinhin erwarten würde. Der Großteil des Besucherstroms wird durch klassische Verlinkung generiert, besonders unter den Webcomiczeichnern selbst. Ein Hoch auf die gute alte Mundpropaganda!

Eine lebhafte Szene

Was kann man in Sachen Webcomics in Zukunft erwarten?

Ob sich der Webcomic je von seinen gedruckten Kollegen emanzipieren kann, ist fraglich. Genaugenommen lassen sich Webcomics nämlich gar nicht in ein Genre pressen, nicht einmal ansatzweise. Das einzige verbindende Attribut bleibt die Präsentation über das Internet. Ob das reicht, um als eigenständiges Label zu bestehen wird die Zeit zeigen.

Interessant ist ein Blick auf die Musikbranche und die Blütezeit von MySpace. Als Musiker war es nicht bloß chic auf MySpace vertreten zu sein, sondern schon fast existenziell nötig. Nur so erreichte man eine größere Zuhörerschar und konnte den Plattenlabels zeigen, dass man Potenzial hat.

Ähnlich läuft es momentan in der Webcomicszene. Man sehe sich die letzten Buchveröffentlichungen einzelner Autoren an. Wer es schafft, mit seinem Comic eine größere Leserzahl an sich zu binden, hat es bei der Suche nach einem Verlag deutlich leichter, als wenn man nur mit einer Mappe von Skizzen und Zeichnungen Klinkenputzen geht. Aber ein Webcomic ist keine  Pflicht für einen aufstrebenden Zeichner. Dies  würde heißen, dass auch Zeichner, die sich nicht für Webcomics  begeistern können, dennoch irgendwas in dieser Richtung machen müssten, um bei Verlagen Beachtung zu finden. Nein, hier sollte ein gesundes Mittelmaß gefunden werden, von althergebrachten Zeichnern und denjenigen, die sich über das Web ihre ersten Sporen verdienen.

Auch die wachsende Beachtung bei Preisverleihungen spricht deutlich für den Webcomic. Allerdings kann man nicht zuletzt bei den Querelen um die Zulassungslimitierungen für den diesjährigen Sondermann sehen wie schwer man sich selbst innerhalb der Branche noch mit diesem Medium tut.

Mit dem Begriff »Webcomic« ist leider noch nichts konkretes gesagt. Ist es ein biographischer Comic, ein rein fiktiver mit durchgehender Handlung, ein spontaner Kommentar zur Tageslage, Slapstick? Diese Reihe ließe sich beliebig fortführen.

Sind Webcomics die Graphic Novels des weltweiten Netzes?

Jetzt könnte man sagen, dass Graphic Novels den Sprung geschafft haben, decken doch auch sie einen großen Bereich ab. Das stimmt zwar, aber nur mit Einschränkungen. Zum einen wird Graphic Novel momentan auf fast alles geklatscht, das man verkaufen will, unabhängig davon ob es wirklich eine Graphic Novel oder doch eher ein Comic oder Cartoon ist. Zum anderen traut man auch in den großen Verlagen der steigenden Nachfrage nicht ganz. Wenn ein Manager eines großen Verlags in der von mir sehr geschätzten Sendung »Kulturzeit« schwadroniert, dass man mit Klassikerumsetzungen in Form von Graphic Novels neue Leser an Klassiker der Weltliteratur heranführen kann, dann wird da das Pferd aber so was von weit hinten aufgezäumt, da fragt der Reiter am Ende nur noch wo er das Ross jetzt hinschleppen darf! Kann eine Graphic Novell nur überzeugen wenn es sich um eine Adaption eines existierenden Werkes handelt?

Mir ist klar dass dies ein Einzelfall war, und womöglich war der betreffende Manager einfach nur schlecht informiert. Aber man sieht daran leider zu deutlich welche grundlegenden Hürden noch zu bewältigen sind.

Es wird noch viel Wasser den Rhein hinabfließen bis der Webcomic eine feste Größe wird und man sollte sich als Freund der Szene, und erst recht als Schaffender, ein sehr dickes Fell zulegen, um mit der steten Irritation und dem Unverständnis der restlichen Kulturlandschaft klarzukommen.

Was bleibt? Viele Fragen, viel Ungewissheit. Aber kein Grund, sich wegen all dem zu große Sorgen zu machen. Unbestritten ist die Webcomic-Szene äußerst vital und sehr kollegial. Ein Konkurrenzdruck ist nicht vorhanden und offene Anfeindungen wie in anderen Kulturbereichen gibt es bis jetzt ebenfalls nicht. Kurzum, die Szene strotzt vor Kraft und Energie, genug jedenfalls um weitere Hürden zu meistern! Schauen wir also positiv auf das zurück, was hinter uns liegt und freuen uns auf die Herausforderungen vor uns.

Abbildungen:
Foto © Alexander Lachwitz,
Webcomics © Johannes Kretzschmar (Beetlebum); Asja Wiegand (Gestern noch)


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Über den Autor
 
 
Alexander Lachwitz (Jahrgang 1982) studiert derzeit Medientechnik auf Bachelor in Emden. Nach einer Ausbildung zum Fachinformatiker (Systemintegration) entschied er sich, das digitale Know-How mittels eines Studiums auf den Medienbereich auszuweiten.
Neben der freien Beschäftigung im Bereich Webdesign und Layout schreibt er regelmäßig für verschiedene Webmagazine über Videospiele, Comics, Filme und Bücher. Webcomics haben sich dabei durch ihren starken Boom der letzten Jahre zu einem persönlichen Favoriten in der bunten Kulturlandschaft entwickelt.