Lachwitz was on tour. In der neuen Folge der Kolumne unseres Webcomics-Experten Alexander Lachwitz berichtet er unter anderem von seinen Erlebnissen auf der ComicAction 2013 in Essen. Dabei hat er einige interessante neue »gedruckte« Comics entdeckt.
Lachwitz liest:
Streifzüge durch die Wunderbare Webcomics Welt
Folge 9: ComicAction Nachlese alt & neu
VON ALEXANDER LACHTWITZ
Mit kleinen Änderungen ging dieses Jahr die fünfzehnte ComicAction an den Start. Die Begleitveranstaltung der weltgrößten Brettspielmesse SPIEL ist seit jeher, verglichen mit den größeren Events wie dem Erlangener Comic-Salon oder dem Münchner Comicfestival, zwar nur ein Nebenschauplatz, dennoch bleibt sie weiterhin für eingefleischte Comicfans eine Reise wert und zwar nicht nur wegen der diversen Händler, in deren Angebot sich das eine oder andere Sammlerstück finden lässt.
Aufgrund von Umbauarbeiten auf dem Messegelände wurde die Messeveranstaltung dieses Jahr in andere Hallen verlagert. Die daraus entstandene Skepsis bei den ausstellenden Zeichnern, besonders nach der relativ schlechten Standpositionierung im letzten Jahr, erwies sich zum Glück als unbegründet. In nur drei großen Hallen waren alle Aussteller untergebracht und die ComicAction war erneut nahe den Bereichen Tabletop, LARP und Rollenspiel angesiedelt. Doch dieses Jahr gab es keine klare räumliche Trennung, so dass die Besucher fließend von einem Bereich zum anderen gelangten und somit auch viel Laufkundschaft die ComicAction besuchen konnte, die eigentlich gar nicht explizit für diese gekommen waren. Die Zeichnerallee war zwar weiterhin ein wenig abgesetzt, aber auch hier gab es dieses Jahr einen viel besseren Durchfluss an Zuschauern und Kundschaft.
Von links nach rechts:
Leander Aurel Taubner (mit Schluderie-Puppe), TeMeL, David Malambré, Michael Roos und Max Vähling
Trotz der latenten Vermischung der Comic Action mit den Ausstellern der Messe SPIEL, gab es nur selten überfülltes Gedrängel. Man kam stets gut durch und hatte Zeit und Platz, um sich alles anzusehen. Selbst die Menschenschlangen bei Panini, die auch dieses Jahr wieder Zeichner aus Übersee geladen hatten (unter anderem Bill Morrison, Nei Ruffino und Phil Noto), verstopften nicht die Gänge und es blieb ausreichend Platz, um den diversen Interviews auf der MyComics-Tribüne zuzuhören. Zu Gast waren unter anderem Marvin Clifford, Felix Mertikat und Max Vähling; eine Übersicht aller Interviews sowie die zugehörigen Videoaufzeichnungen gibt’s direkt bei MyComics, eventuell noch fehlende Interviews werden dieser Tage gerade nach und nach hochgeladen.
Eine kleine Überraschung war tatsächlich die Horror-Anthologie ANDERS (eine ausführliche Rezension gibt’s hier), die sowohl am Kwimbi-Stand als auch bei den beteiligten Zeichnern auf der Zeichnerallee eine sehr gute Resonanz erzeugte. Das Heft mit dem prägnanten Cover stach aus dem bunten Sammelsurium an Comics deutlich hervor und verkaufte sich ausgesprochen gut. Doch auch andere Neuerscheinungen aus der Webcomicszene konnte man auf der Messe finden. Wie schon in der letzten Kolumne erwähnt, gab es fast ein halbes Dutzend neue bzw. deutlich überarbeitete Heftchen/Bücher, dazu kommen kleine und größere Werke weiterer Zeichner. Volker Dornemann, Michael Holtschulte und David Malambré gehören inzwischen quasi zum festen Inventar der Zeichnerallee.
Am Stand von Kwimbi war meist ordentlich was los.
Von links nach rechts: Max Vähling, Jörg Faßbender, Marvin Clifford und Mario Bühling
Die Manga-Szene war dank der Anwesenheit von Kamineo nicht gänzlich abstinent, auch wenn ansonsten wieder fast nur Nachwuchstalente vor Ort waren. Apropos Nachwuchs; auch wenn der Name anderes vermuten lässt, der Verein »Watashi Wa Manga« bietet für Zeichner und Autoren aller Stilrichtungen eine kollaborative Plattform für die ersten Gehversuche an. Im Jahre 2007 gegründet, bietet er neben diversen Workshops auch die Möglichkeit eigene Werke zu veröffentlichen, inklusive Lektorat, Prüfungen und was sonst alles dazugehört. Ich werde versuchen, in zukünftigen Kolumnen ein Auge auf die Aktivitäten des Vereins zu halten.
Der Stand von MyComics/Panini war durch die diversen Signierstunden Hauptanziehungspunkt der ComicAction
Thomas Walterscheid war leider nur am Donnerstag zugegen, so dass ein persönliches Treffen nicht mehr möglich war. Wer den Schöpfer vom Muhtiger, der nicht ungefährlichen Schafdame Lady Grey sowie deren WG nicht kennt, sollte sich seine Webseite Schwarze Tage definitiv einmal ansehen. Auf dieser findet man auch seine Cartoons aus der Reihe Vaterfreuden. Nicht erst seit dem mehrteiligen Gastcomic für Sarah Burrini gehört Walterscheid zu einem der interessantesten deutschen Webcomicleute. Sein Stil funktioniert sowohl im Cartoon wie im Strip, ist ansprechend und um Details bemüht und gleichzeitig wagt er sich auch regelmäßig an delikatere Themen ran oder lässt den Humor auch mal gezielt auf kleiner Flamme köcheln, denn es muss ja nicht immer ein Schenkelklopfer sein.
Ebenfalls einen Blick wert sind die Arbeiten von Olga Hopfauf und Steffen Elbing, die sich nicht als Lehrlinge von Herrn Holtschulte verstecken müssen. Zwar auch klar auf Cartoons fokussiert, sprüht einem hier ein frischer, manchmal fast schon unbequem provokanter Humor entgegen, ohne den sich aber in der Szene auf Dauer auch nicht mehr viel bewegen würde. Kostproben von ihnen und weiteren Cartoonisten findet man im Cartoonsammelband Jesus, der zusammen von Rudi Hurzlmeier und Michael Holtschulte veröffentlicht wurde und Cartoons von fast 40 verschiedenen Zeichnern beinhaltet.
Und sonst so?
Mit Survivor Girl startete vor kurzem ein neuer beachtenswerter Webcomic. Ingo Römling und Christopher Tauber haben schon für die Anthologiereihe Die Toten mehrmals zusammengearbeitet. Dem Titel entsprechend werden in ihrem neuen Projekt die großen und kleinen Slasher- und Horror-Klassiker der Prä-DVD-Ära zitiert, garniert mit entsprechenden Einblicken in die persönlichen Präferenzen der beiden Köpfe dahinter. Dazu Christopher Tauber: »Konkrete Vorbilder: Jack Davis, Mort Drucker und wie sie alle heißen. Natürlich Carpenter und Craven, wenn sie mal einfach Kack machen würden und last but not least wir selbst, weil wir einfach nur Spaß haben wollen, zwischendurch, während wir mit all unseren ernsten Jobs die Welt sprich unser Bankkonto retten.«
Survivor Girl © Christoph Tauber & Ingo Römling
Bei Ingo Römling merkt man zwar eine gewisse Nervosität, aber auch viel Vorfreude auf das, was aus diesem Projekt im Laufe der Zeit werden könnte. »Es ist mir vollkommen bewusst, dass wir, sobald wir auch nur einen einzigen Strip verpassen, von der Netzgemeinde sofort hinter einem Jeep aus der Stadt geschleift, enthauptet, gepfählt und unter Elektroschocks ohne Abendessen ins Bett geschickt werden. Aber ich sehe das locker. Solange es keinen Shitstorm gibt... Beinahe wäre gar nichts draus geworden, weil ich nicht aus dem Schrank raus wollte. Oh Gott, dieses riesige, weite Internet... und wir mittendrin... nein, im Ernst. Ich glaube, wir haben da was Lustiges am Start, das sich seine Fanbase mit der Zeit erarbeiten wird. Vorbild sind ganz klar die älteren Ausgaben des MAD-Magazins, als es noch schwarzweiß gedruckt wurde und phänomenale Künstler wie Angelo Torres, Mort Drucker und Jack Davis Filmparodien zeichneten.«
Ähnlich wie schon bei Schisslaweng von Marvin Clifford arbeitet Survivor Girl auf erwartungsgemäß hohem Niveau und mit viel Erfahrung, was aber weniger eine Konkurrenz, denn mehr eine natürliche Erweiterung der Webcomicszene darstellt und nur belegt: Es gibt im deutschen Webcomic noch viele Bereiche, um sich als Zeichner frei austoben zu können.
Und da es nur ein paar Tage hin ist, bis wieder fleißig Geschenke verteilt werden, noch kurz ein paar Geschenkempfehlungen und sonstige Tipps, was in der Weihnachtszeit auf den interessierten (Web)Comicleser zukommt.
Ganz vorne Weg geht ein Tipp, der vermutlich leider kaum noch zu bekommen ist, aber spätestens für nächstes Jahr vorgemerkt werden muss! Die Rede ist vom (nicht vom Titel erschrecken lassen) Fuck Yeah-Kalender, einer weiteren Kollaborationsidee von Schlogger. Nachdem in der ersten Ausgabe für 2013 schon stolze 26 Webcomiczeichner partizipierten, ist deren Zahl für 2014 auf ganze 57 gewachsen. Die gute Nachricht; sowohl auf Twitter wie auf Facebook, ist der Kalender in der Szene ein großes Thema gewesen. Die schlechte Nachricht lautet, da es sich um ein von den Zeichnern selbst finanziertes Projekt in eng abgestecktem Rahmen handelte, sind die meisten Kalender inzwischen schon vergriffen. Man darf aber hoffen, dass die Auflage für nächstes Jahr deutlich erhöht wird. Wer noch einen ergattern will, sollte sich die Mühe machen, und die Liste der Beteiligten Zeichner durcharbeiten, Facebook & Twitter sind hier meist das schnellere Medium als eMail.
Plüschpuppen von Comicfiguren sind keine Seltenheit mehr. Auch bei Kwimbi gibt es inzwischen schon zwei Figuren aus Sarah Burrini's Das Leben ist kein Ponyhof-Webcomic. Leander Aurel Taubner hat mit seiner Schluderie-Puppe dennoch einen etwas anderen Weg beschritten. Besagter Schluderie ist ein meist unsichtbarer Mitbewohner, der in seinen Comics schon länger für das reinste Chaos im Haus sorgt und zum 1. April sogar gleich den ganzen Blog kaperte. In sehr kleiner Auflage ist Schluderie nun als Puppe zu haben und mit 30€ (zuzüglich 5€ für Verpackung & Versand) auch noch vergleichsweise günstig.
Ob es darüber hinaus dieses Jahr wieder eine »Comiczeichner-Schneeballschlacht« geben wird, ist noch unklar. Letztes Jahr ist diesbezüglich nicht wirklich etwas passiert, man darf aber noch hoffen. Ebenfalls unsicher ist, ob es erneut eine Webcomic-Allstar-Adventspodcast-Reihe von David Malambré geben wird. Wer definitiv sicher gehen will, sollte seinem Blog und der zugehörigen Facebook-Seite folgen. Comic-Adventskalender gibt es dieses Jahr unter anderem bei Regenmonster und David Fülekis »Studieren mit Rind«. Spiegel Online widmet sich indes jedem Adventssonntag einer anderen bekannten Comicreihe unter dem Weihnachtsaspekt, den Anfang machen die Peanuts.
Und damit verabschiede ich mich auch schon mal in die lauschige Weihnachtszeit und wünsche allen Lesern viel Vergnügen mit ihrem (hoffentlich gut aufgestockten) Comicvorrat sowie einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Fotos © Oliver Graß
Die Meinung der Leser interessiert uns! Diskutiert diesen Beitrag im Forum (klicken):
Lachwitz liest: Streifzüge durch die Wunderbare Webcomics Welt
Über den Autor
Alexander Lachwitz (Jahrgang 1982) studiert derzeit Medientechnik auf Bachelor in Emden. Nach einer Ausbildung zum Fachinformatiker (Systemintegration) entschied er sich, das digitale Know-How mittels eines Studiums auf den Medienbereich auszuweiten.
Neben der freien Beschäftigung im Bereich Webdesign und Layout schreibt er regelmäßig für verschiedene Webmagazine über Videospiele, Comics, Filme und Bücher. Webcomics haben sich dabei durch ihren starken Boom der letzten Jahre zu einem persönlichen Favoriten in der bunten Kulturlandschaft entwickelt.