Robert Louis Stevensons Erzählung Der Selbstmörderclub als Graphic Novel bei Splitter, der Start der Rick Master Gesamtausgabe bei Kult Editionen und Jogis Löwen bei Piper. Das sind die Comics, die Matthiaz in der neuen Folge seines Blogs bespricht.
Comic heut' nich', Comic morg'n …
Rapid Comicz Commentz von Matthiaz Hofmann
2012/KW35 - Folge 8: Robert, Rick und Joachim
Dilemma! Bedingt durch die längere Pause meines Blogs gibt es so viel vorzustellen, das ich in den letzten Wochen … was schreib ich da? … eher in den letzten Monaten! … gelesen habe, da fällt mir die Auswahl schwer. Ich nehme einmal mal einen Comic, den ich gerade erst gelesen habe (Der Selbstmörderclub von Baloup und Vaccaro, Splitter) und eine der Gesamtausgaben, die in der letzten Zeit erschienen sind (Rick Master Intégral von Duchâteau und Tibet, Kult Editionen). Als Bonus-Track stelle ich noch aktuell zum Start der neuen Bundesliga-Saison einen Fußball-Comic von Piper vor.
Viktorianisches »Three-in-One«
Baloup/Vaccaro: Der Selbstmörderclub
Habe ich schon geschrieben, dass ich die alten phantastischen Klassiker mag? Ich hatte mal eine Phase, da habe ich sie mir alle zugelegt. Natürlich Mary W. Shelleys Frankenstein oder Bram Stokers Dracula oder die Kurzgeschichten von Edgar A. Poe, also viele der Must-Haves. Es waren aber auch nicht so bekannte Werke dabei, wie der Begründer des Schauerromans, Das Schloss von Otranto von Horace Walpole.
Beschäftigt man sich mit dem Genre, dann kommt man an Robert L. Stevenson nicht vorbei. Der Schotte hat Die Schatzinsel geschrieben, eines der wohl bekanntesten Bücher der Abenteuerliteratur, aber auch Gruselstoffe wie Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Und nicht zu vergessen: Stevenson hat die Novelle Der Flaschenkobold verfasst, die an Dramaturgie kaum zu überbieten und eine meiner »All-Time-Favorites« ist.
Im Sommerprogramm von Splitter finden sich zwei Comics nach Literaturvorlagen, die als »Splitter Book« im kleineren Buchformat mit Schutzumschlag erschienen sind. Nach Fjodor Dostojewskis Der Spieler im Mai ist im August der Titel Der Selbstmörderclub nach Motiven von Robert Louis Stevenson erschienen.
Die Ausgangssituation der Geschichte ist krass: Was wäre, wenn es einen geheimen Club gäbe, für Menschen, die keine Lust mehr auf Alltag haben und für den letzten Kick sogar den Tod in Kauf nehmen? Einer von ihnen ist Prinz Florizel, der mit seinem Oberstallmeister Geraldine stets auf der Suche nach aufregenden und gefährlichen Abenteuern ist. Eines Abends treffen diese beiden in einem Gasthaus auf einen lebensmüden Typen, der ihnen verschwörerisch und geheimnisvoll von dem Selbstmörderclub erzählt. Die Männer geben vor, ebenfalls den Freitod zu suchen und finden Einlass in eine exzentrische Runde von Männern, die mit einem Kartenspiel bestimmen, wer den Tod findet. Wer Pik Kreuz zieht, wird zum Vollstrecker und wer Pik Ass zieht, der wird ermordet.
Was der Klappentext verschweigt, ist die Tatsache, dass Stevensons Selbstmörderclub eine Erzählung mit drei Episoden ist, die nur lose durch drei Protagonisten (Prinz Florizel, Geraldine und der Präsident des Selbstmörderclubs) verbunden ist. Die zweite Episode erzählt von Silas Scuddamore, einem jungen Amerikaner, der in einem Pariser Hotel wohnt und Opfer einer Verschwörung wird, welche ihm in seinem Bett die Leiche eines Mannes »beschert«, den er zuvor noch quicklebendig gesehen hat. In der dritten Episode steigt Leutnant Brackenbury in eine Droschke ein und wird vom Fahrer zu einem unbekannten Ziel befördert, von dem es heißt, es sei der perfekte Ort, um den Abend glänzend beschließen zu können. Er landet in einem Haus, in dem eine merkwürdige Party stattfindet, die von einem mysteriösen Gastgeber veranstaltet wird.
Der Leser wird an keiner Stelle auf den Umstand vorbereitet, dass es sich bei der Geschichte um ein »Three-in-One« handelt. Da die Handlung von Clément Baloup unvermittelt zwischen den Episoden springt und auch in den Zeichnungen von Eddy Vaccaro keine Hinweise zu finden sind, wird die Lektüre zu einem etwas konfusen Genuss. Stellenweise ertappt man sich dabei, dass plötzlich der Sinn und der Zusammenhang abhanden gekommen sind, bis einem klar wird, dass man unvermittelt in einer neuen Handlung gelandet ist. Wer die Vorlage nicht kennt, dem wird dieser stilistische Kniff eher missfallen, weil man laufend hin- und her blättert und versucht, sich einen Reim auf das gerade Gelesene zu machen. Die Tatsache, dass die Figuren stellenweise nicht leicht auseinanderzuhalten sind, ist außerdem nicht gerade förderlich für eine große »Reading Satisfaction«.
Die Zeichnungen von Vaccaro sind für sich genommen gelungen. Schön atmosphärisch bildet er die Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts, des Viktorianischen Zeitalters, mit einem Stilmix aus Aquarell und Tusche ab, das angenehm auf die Augen wirkt. Das kleinere Format schadet der Zeichenkunst Vaccaros nicht, im Gegenteil, es lässt sie kompakter erscheinen.
Das Gesamturteil fällt unterm Strich nur »passabel« aus, weil Der Selbstmörderclub durch seine unmotivierte Struktur einigen Lesegenuss und damit Kredit verspielt. Auch wünschte man sich, dass Baloup und Vaccaro Stevensons Triplett nur als Inspiration genommen und aus dem massiv vorhandenen Storypotential etwas Eigenes geschaffen hätten, aber so ist »nur« eine nette Nacherzählung herausgekommen, die zumindest Fans der damaligen Zeit mit ihren Edelmännern, der altbackenen Sprache, Sherlock Holmes’schen Mysterys und einem Hauch von Fight Club ansprechen dürfte.
Mit Porsche und Rollkragenpullover
Duchâteau/Tibet: Rick Master Integral Band 1
Rick Master ist einer der Helden der inzwischen gründlich glorifizierten Koralle-Ära der ZACK Magazins, der vielen in guter Erinnerung geblieben ist. Im Zuge der anhaltenden »Gesamtausgaberitis«, die den ehemaligen ZACK-Clubmitgliedern, die heutzutage gut betucht sind, das Geld aus der Tasche zieht und die weniger gut betuchten Leser mit den Zähnen knirschen lässt, waren die detektivischen Meisterleistungen des Pariser Journalisten Rick, neben den Sci-Fi-Abenteuern von Luc Orient, über einige Jahre die am stärksten geforderten Kandidaten für eine ordentliche Gesamtausgabe.
Journalist und Privatdetektiv Rick Master debütierte 1955, wie sollte es auch anders sein, im französischen Magazin Tintin und zwar mit einer vierseitigen Kurzgeschichte. Das erste längere Abenteuer, das in Deutschland unter dem Titel Das Chamäleon erschien, wurde in Frankreich 1961 serialisiert und zwei Jahre später zusammen mit der zweiten längeren Story im ersten Comicalbum 1963 veröffentlicht.
Wie viele andere klassische frankobelgische Serien erschien die Serie in Deutschland erstmals Ende der 1960er Jahre in der Heftserie MV Comix. Später war Rick Master Stammgast im ZACK Magazin des Koralle Verlags, der außerdem Geschichten im Rahmen der Albenserie Zack Box und der Taschenbuchserie ZACK Parade veröffentlichte. Nach einem kürzeren Intermezzo bei Bastei, nahm sich 1987 der renommierte Carlsen Verlag der Serie an und veröffentliche bis 1994 immerhin 25 Alben dieser langlebigen Serie. Drei Jahre später führte Kult Editionen Rick Master fort und brachte bis dato alle weiteren Alben als Hardcover auf den Markt.
Wie jede langlebige Serie hat auch Ric Hochet, wie der Titelheld im Original heißt, ihre guten und schlechten Momente. Die ersten Stories sind noch etwas unbeholfen auf den Beinen, lassen eine eigene Identität und einen unfertigen Charakter erkennen. Wie ein Mensch werden sie mit der Zeit reifer und erwachsener, um sich dann in der Spätphase qualitativ wieder zurück zu entwickeln, wie ein Greis, der im hohen Alter mehr und mehr unselbstständig wird.
Jetzt geht es aber erst einmal wieder von vorne los mit den ersten langen Kriminalfällen. Als ZACK-Leser haben mich die Comics der Hochphase der Serie damals begeistert. Aus mir nicht mehr erklärbaren Gründen hatte ich mir nach ZACK aber weder die Alben von Bastei, noch die von Carlsen besorgt. Und schließlich waren so viele Bände erschienen, und einige davon längst vergriffen, dass ich mich stets davor scheute, mir alles umständlich und teuer zusammenzukaufen. Und so wie mir ging es vielen.
Die im ersten Integral-Band abgedruckten drei Frühwerke von Tibet und Duchâteau sind solide Unterhaltung. »Entführt!«, »Die geheimnisvolle Insel« und »Gefährliche Herausforderung« sind Kinder der Sixties und man merkt es ihnen an. Leute verschwinden, mutmaßliche Täter haben wasserdichte Alibis, Rick wird als Verbrecher beschuldigt. Die Fälle, die es zu lösen gilt, sind entweder völlig konstruiert und mit großen Logiklöchern angereichert, durch die der junge Rollkragenträger mit seinem gelben Porsche bequem durchfahren könnte, oder sie sind zu »solala«. Wer damals kein ZACK-Leser war, der könnte sich bei diesen ersten Abenteuern fragen, warum die Serie so beliebt war. Dennoch kann man den Charme der Serie erahnen und sollte sich nicht irritieren lassen, denn die Folgebände bringen spannende Krimikost mit sich.
Die Gesamtausgabe ist im Format etwas kleiner als die der regulären Einzelbände von Kult Editionen. Das hat bei den Hardcore-Sammlern starken Brechreiz ausgelöst, weil die Gesamtausgabe wider Erwarten nicht zu der normalen Serie passt. Da es im Vorfeld noch von Seiten des Verlags hieß, dass das Format übereinstimmen werde, ist das ein klarer Fall von »dumm gelaufen« und passt dazu, dass Band 1 nicht rechtzeitig zum Comic-Salon in Erlangen vorlag, weil man vergessen hatte, rechtzeitig bei der Druckerei das spezielle Papier vorzubestellen.
Ungeachtet dieser Spitzfindigkeiten, die den wahren Comicfreund nicht tangieren, ist der erste Band eine schöne Ausgabe geworden. Vom Papier über die Verarbeitung bis zum Bonusmaterial passt alles wunderbar zusammen. Und das meine ich nicht, weil die Bonusseiten von ALFONZ-, COMIC REPORT- und REDDITION-Macher Volker Hamann stammen, sondern, weil sie mit ihrem Text und dem ausgesuchten Bildmaterial den runden Gesamteindruck mustergültig komplettieren.
Laut Verlagsangaben wurde die Integral von Rick Master vom Markt gut aufgenommen und es scheint, dass wirklich eine Mehrheit darauf gewartet hat. Mich persönlich hat es gefreut, dass nach langem Zaudern diese Sammelbände gestartet wurden. Schließlich komme ich endlich in den kompletten und chronologischen Genuss dieser klassischen frankobelgischen Krimiserie.
Mein Freund ist aus Leder
Mathesdorf/Gabriel: Jogis Löwen – Ich will
Frauen und Fußball. Das sind sicherlich zwei der Top-Themen, die Männer beschäftigen. Aber sprechen wir über das Runde, das ins Eckige soll.
Die 1. Bundesliga startet an diesem Wochenende in ihre 50. Saison und die deutsche Fußball-Nationalmannschaft nimmt am 7. September 2012 die erste Hürde in der Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Gegen die Färöer Inseln, ein Klacks, sollte man meinen. Aber die Nationalelf hat bekanntlich nicht nur einen Trainer namens Joachim Löw, sondern gleich Tausende, ich korrigiere, Millionen im Hintergrund, die genau wissen, wie die Mannschaft aufgestellt werden soll.
Die EM 2012 in Polen und der Ukraine ist inzwischen Geschichte. Immer wenn solche Großereignisse anstehen, gibt es Bücher, Filme, Dokumentationen und ähnliches, die die Gunst der Stunde nutzen. Rechtzeitig zur EM kam auch ein Comic auf den Markt: Jogis Löwen von Lutz Mathesdorf und Gabriel. Da der Ball bekanntlich rund und nach dem Spiel vor dem Spiel ist, schauen wir uns einmal an, ob der Comic auch noch nach der EM und zum Start der neuen Bundesliga-Saison einen gewissen Mehr- und Unterhaltungswert hat.
Der Band besteht nicht, wie man vielleicht erwartet hätte, aus einer Aneinanderreihung von kurzen Gag-Strips, sondern aus einer durchgängigen Handlung. Diese beginnt mit dem Endspiel: Deutschland gegen Spanien. Das Spiel endet 9:0. Leider entpuppt sich das Ganze als Traum von Jogi Löw, denn die Mannschaft befindet sich erst in der Qualifikationsphase. Wichtige Fragen werden gestellt und beantwortet: Warum muss Neuer immer zwei Gegentore kassieren? Wie kommt es, dass Gomez plötzlich trifft? Was ist das Boateng-Geheimnis? Und wo ist Michael Ballack?
Lutz Mathesdorf hat schon in den 1990er Jahren lustige Sportcomics kreiert. Bei Rowohlt erschienen zum Thema »Fußball« Bertis Buben, Ribbecks Racker und Ruuudi und auch in der SportBILD war er regelmäßig vertreten. Mit dem Zeichner Gabriel erschuf er Formel-1-Comics über Michael Schumacher (Unser Schumi).
Mathesdorf ist ein Fußball-Fan, der sich bestens auskennt. Es ist nicht so, dass man mit Tränen in den Augen und weichgeklopften Schenkeln das Buch nach beendeter Lektüre völlig von Spaßkrämpfen ausgelaugt zuklappt. Aber die Details stimmen und lassen mit wohldosiert platzierten Running Gags und einigen ganz passablen Witzeleien den Comic zu vergnüglichem Lesestoff werden. Natürlich ist es riskant, wenn man die Story auf ein aktuelles Ereignis ausrichtet, denn bekanntlich ist nichts älter als die Zeitung von gestern. Aber der Comic lässt sich auch jetzt noch gut lesen und lebt nicht von der Spannung und der Frage, wer denn nun Europameister wird, sondern durch die dargestellten Charaktere, die im Bezugsrahmen eines Funny-Comics ganz glaubwürdig und damit nachvollziehbar inszeniert sind.
In Analogie zu einer bekannten Sepp Herberger Weisheit ist der nächste Fußball-Comic immer der schwerste, aber nach dem Gesetz der Serie wird es wahrscheinlich spätestens 2014 ein weiteres Kapitel von Jogis Löwen im Kampf um den Titel geben. Das Spiel ist noch lange nicht aus.
Die Daten
Der Selbstmörderclub (Originaltitel: Le Club du Suicide)
Text: Clément Baloup (nach Robert Louis Stevenson), Zeichner: Eddy Vaccaro
Splitter Verlag GmbH & Co. KG, Bielefeld
Aus dem Französischen von Tanja Krämling
Hardcover mit Schutzumschlag, Farbe, 96 Seiten, 19,80 Euro
ISBN: 978-3-86869-507-6
Rick Master Integral Band 1 (Originaltitel: Ric Hochet Intégrale)
Text: André-Paul Duchâteau, Zeichnungen: Tibet
Kult Editionen, Wuppertal
Aus dem Französischen von Peter Daibenzeiher
Hardcover, Farbe, 192 Seiten, 29,95 Euro
ISBN: 978-3-943960-01-3
Jogis Löwen – Ich will! (Originalausgabe)
Text: Lutz Mathesdorf, Zeichnungen: Gabriel
Piper Verlag GmbH, München
Softcover, Farbe, 96 Seiten, 9,99 Euro
ISBN: 978-3492300-414
Abbildungen:
Der Selbstmörderclub © 2011 MC Production/Baloup/Vaccaro, 2012 Splitter
Rick Master Integral © 2004 Editions du Lombard/Duchâteau/Tibet, 2012 MSW
Jogis Löwen © 2012 Mathesdorf/Gabriel/Piper
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Weiterführende Links
Homepage von Splitter: Der Selbstmörderclub
Homepage von Kult Editionen: Rick Master Integral
Homepage von Piper: Leseprobe Jogis Löwen
Über das Blog
Mit »Comic heut' nich', Comic morg'n …« räumt Matthiaz [sic!] auf, denn jede Woche flattern ziemlich viele Comics auf seinen Redaktionstisch. Nicht alles eignet sich für lange Abhandlungen, aber vieles ist es wert, dass man ein paar Worte darüber verliert. Also macht er es sich bequem und schreibt darüber. Und manchmal auch darüber hinaus …