Die Rückkehr des Schnellgetippten. Matthiaz und Volker waren in Fronkreisch. Noch unter dem Rausch des kürzlich Erlebten hat Matthiaz einige Eindrücke vom Internationalen Comicfestival von Angoulême in seinem Blog festgehalten. Und wundert sich über den Gewinner des »Grand Prix«.
Comic heut' nich', Comic morg'n …
Rapid Comicz Commentz von Matthiaz Hofmann
2013/KW06 - Folge 9: Angoulême 2013
Sacre Bleu!
Angoulême 2013. Was für ein Fest! Was für eine pulsierende, irgendwie richtig berauschende Atmosphäre!
In der Tat, es war fast schon unheimlich. In diesem Jahr lief unser gesamter Trip nach Frankreich nämlich wie geschmiert. Flieger, Mietwagen, Hotel oder Akkreditierung. Alles »très bien«. Und dann vor Ort … die ultimative »BD Infusion«. Über drei Tage. Direkt in die Hauptschlagader. Und genau so (verzeiht mir den Ausdruck) »geil« wie letztes Jahr, nur noch beschwingter. Aber dann dies ...
Am letzten Tag des Festivals wurden die diesjährigen Preisträger (»Bester Comic« & Co.) bekanntgegeben, inklusive natürlich der Name des Künstlers, der mit dem »Grand Prix« ausgezeichnet und mit diesem Akt automatisch zum Präsident des nächstjährigen Festivals ernannt wird. Nach Bekanntwerden des Namens des Gewinners des »Großen Preises 2013« konnte man wirklich nur noch mit den Worten von Kapitän Haddock reagieren. »Hunderttausend Höllenhunde!«. Oder einfach nur: »Sacre Bleu!«. Doch der Reihe nach …
Uderzo meets Micky and Donald
Warum reist der oder die Comicinteressierte mitten im Winter in das beschauliche Städtchen Angoulême in die Präfektur Charente? Zum einen, um Gleichgesinnte zu treffen, sich auszutauschen, sich mit Autoren, Zeichnern und Verlagsvertretern zu treffen, zum anderen aber auch, um die ein oder andere Ausstellung zu besuchen und sich von der Strahlkraft der Neunten Kunst betören zu lassen. Ein Riesenfestival wie das in Angoulême bietet einmal im Jahr exzellent gemachte Werkschauen oder Expositionen von Material zu speziellen Bereichen; es ist jedes Mal faszinierend, was es alles zu betrachten und entdecken gibt.
Dem Werk des großen Albert Uderzo war eine der Top-Ausstellungen in diesem Jahr gewidmet. Zelebriert wurde der weltberühmte Asterix-Zeichner wie ein großer Staatsmann. Die Presse bekam einen genauen Tagesablauf gemailt, der alle wichtigen Stationen von Monsieur Uderzo am 31. Januar festhielt, darunter so Aktionen wie diese:
- 11:30 Uhr: Ankunft am Bahnhof von Angoulême
- 12:00 – 13:00 Uhr: Offizieller Besuch der Ausstellung »Uderzo in Extenso« in Begleitung der Kulturministerin Aurélie Filippetti
- 14:30 – 15:00 Uhr: Treffen mit der Delegation der Schule, die den Namen Uderzos tragen wird, im Bürgermeisteramt
- 17:55 Uhr: Abgabe des Stimmzettels für die Wahl des »Grand Prix«
Das zweite große Ausstellungsthema waren Walt Disneys Helden Micky und Donald. Die dauerhaft gut besuchte Ausstellung schilderte die Geschichte der Disney-Comics. Der Verlag Glénat, der in Frankreich die Disney-Lizenzen hat, flog dazu Don Rosa aus den USA ein. Der stets gut gelaunte rüstige Rentner aus Kentucky war erst Ende 2012 auf großer Signiertour in Deutschland und hat sichtlich Spaß am Weltenbummeln.
Und natürlich war auch der Jurypräsident und Grand-Prix-Gewinner vom letzten Jahr mit einer Ausstellung präsent. Mehr als 150 Originale von Jean-C. Denis gab es zu bestaunen. Sein französischer Verlag Futuropolis hatte erst Ende des letzten Jahres eine Gesamtausgabe seiner Serie Luc Leroi publiziert. In Deutschland liefen die Abenteuer unter dem Titel Luc Lamarc bei Carlsen Ende der 1980er und zu Beginn der 1990er Jahre.
Sehr gelungen waren auch die Expositionen zum Comicschaffen des deutschen Zeichners Andreas und des Belgiers Didier Comès.
Fabriqué en Allemagne
Auf den ersten Blick schien es nicht so, aber die Deutschen waren recht gut vertreten. Reprodukt und Carlsen hatten einen Stand im »Rights & Licencing Market«“. Im Zelt »Espace BD Alternative« konnte man einen Stand von Rotopolpress sehen. Und im para-BD-Zelt hatte der Schweizer David Boller seinen Zampano/Virtual Graphics-Stand aufgeschlagen und präsentierte französischsprachige Versionen seiner Titel.
Vertreter von fast allen wichtigen Verlagen liefen uns über den Weg - oder zischten mit uns ein Bierchen oder zwei. Neben Sabine Witkowski und Ralf Keiser von Carlsen sowie einer recht großen Reprodukt-Crew (Dirk Rehm, Michael Groenewald, Sebastian Oehler, Jutta Harms, Filip Kolek) sichteten wir Vertreter von Ehapa (Wolf Stegmaier), Philipp Schreiber (Schreiber & Leser), Johann Ulrich (avant), Eckart Schott (Salleck), David Basler (Edition Moderne) und einige andere, die mir jetzt nicht mehr einfallen.
Vor Ort waren auch die Organisatoren der beiden deutschen großen Festivals wie Bodo Birk (Comic-Salon Erlangen) und Michael Kompa und Heiner Lünstedt (Comicfestival München) aktiv, um weitere wichtige Weichen für erfolgreiche Comicveranstaltungen zu stellen. Und natürlich tummelten sich auch viele deutschsprachige Comicjournalisten in Angoulême, ob Horst Berner, Cuno Affolter oder Thomas Hummitzsch, um nur einige zu nennen.
Deutsche bzw. deutschsprachige Zeichner wurden ebenfalls gesichtet. Reinhard Kleist signierte fleißig bei Casterman. Thomas von Kummant packte bei Paquet gleich einen ganzen Aquarellfarbkasten aus und malte in die französischen Ausgaben seiner Chronik der Unsterblichen und der neuen Serie Gung-Ho. Sascha Hommer, Aisha Franz, Ulrich Schröder, Henning Wagenbreth oder Nicolas Mahler sollten ebenfalls erwähnt werden.
Hagel und Granaten: Der Grand Prix Preisträger 2013
Besonderes Highlight des Festivals ist stets die Bekanntgabe der Preisträger in Kategorien wie »Das beste Album« oder »Bester Kindercomic« und natürlich des »Großen Preises der Stadt Angoulême«. Den gibt es für Autoren bzw. Zeichner, die besonders bedeutende Comics hervorgebracht haben oder allgemein für deren Lebenswerk.
Nachdem es stets Querelen innerhalb der Jury bei der Ermittlung des Preisträgers gab, hatte man das Prozedere geändert. Dieses Jahr gab es 16 Nominierte, von denen die Comicschaffenden drei Namen per Stimmzettel und geheim wählten. Von den drei Künstlern mit den meisten Stimmen wählte die Jury schließlich den Gewinner.
Nominiert waren:
- Pierre Christin
- Cosey
- Nicolas de Crécy
- Hermann
- Manu Larcenet
- Lorenzo Mattotti
- Alan Moore
- Katsuhiro Otomo
- Marjane Satrapi
- Joann Sfar
- Posy Simmonds
- Jirô Taniguchi
- Akira Toriyama
- Jean Van Hamme
- Chris Ware
- Willem
Im Vorfeld tippten Volker und ich, wer denn wohl den Preis bekommt.
Ich sagte: »Larcenet.«
Und Volker sagte: »Larcenet.«
Daraufhin sagte ich: »Den habe ich schon genommen. Das ist langweilig, nimm einen Japaner.«
Darauf sagte Volker: »Stimmt. Dann nehme ich Taniguchi.«.
Dann sagte ich noch: »Alles, nur nicht die Marjane Satrapi. Die macht ja gar keine Comics mehr. Oder noch schlimmer: Willem. Dann falle ich vom Glauben ab.«
Am Sonntag erfuhren wir die Gewinner.
Volker sagte: »Matthias, ich glaube du fällst vom Glauben ab.«
Ich sagte: »Scheiße, echt die Satrapi?«
Volker sagte: »Nein.«
Ich sagte: »Mach mich nicht schwach.«.
Volker sagte: »Willem.«
Warum ein recht unbekannter Zeichner, der eher als »Enfant Terrible« berüchtigt ist und vor allem Cartoons zeichnet, mit dem Großen Preis ausgezeichnet wurde, war mir ein Rätsel. Inzwischen wurde klar, dass diese Vergabe den Hauch eines Skandals hat. Bis zum Donnerstag hatten nur eine Handvoll Wahlberechtigte ihre Stimme abgegeben. Bis zum Schluss kam nur knapp ein Drittel aller möglichen Wahlzettel zusammen. In den sozialen Medien wurde über die strikte Vorgabe von 16 Nominierten als eine Schwachsinnsaktion gesprochen.
Die Verleihung des Preises an Willem scheint eine Protestaktion zu sein. Der Niederländer darf's ausbaden. Ob nächstes Jahr viele Leute an ihm interessiert sein werden, darf man bezweifeln.
Da capo! Encore une foi!
Rund 200.000 Besucher sollen dieses Jahr wieder nach Angoulême gepilgert sein. Auch wenn die Zahl stets hinterfragt wird, weil sie von den Veranstaltern genannt wird und keiner sie so richtig überprüfen kann und will, die Stadt war voll.
Es hat wieder mächtig Spaß gemacht. Bei der Heimreise waren die Koffer zum Bersten voll. Statt Füße hatten wir »blutige Stumpen« (ein Running Gag, weil sich am Samstagabend meine Flossen in der Tat mal fast komplett verabschiedet hatten vom vielen Herumlatschen). Aber natürlich nimmt man das im Auftrag der Neunten Kunst alles in Kauf.
Angoulême sehen und sterben –Nur wer einmal im Leben auf dem »Festival International de la Bande Dessinée d'Angoulême« gewesen ist, kann von sich behaupten ein echter Comicfan zu sein. Au revoir!
HINWEIS: Eine Foto-Galerie mit vielen weiteren Motiven vom Festival folgt!
Abbildungen:
Fotos © Edition Alfons
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Und zwar hier in unserem Forum: Comic Report Forum
Weiterführender Link
Homepage des Festivals: Internationales Comicfestival von Angoulême
Über das Blog
Mit »Comic heut' nich', Comic morg'n …« räumt Matthiaz [sic!] auf, denn jede Woche flattern ziemlich viele Comics auf seinen Redaktionstisch. Nicht alles eignet sich für lange Abhandlungen, aber vieles ist es wert, dass man ein paar Worte darüber verliert. Also macht er es sich bequem und schreibt darüber. Und manchmal auch darüber hinaus …