Das »Goldene Zeitalter« von DC Comics, die 1950er Jahre in den USA, einer der besten »Good-Girl-Art«-Zeichner aller Zeiten und ein Buch über die Atomkraft in den populären Medien, das sind die Themen der Comics und Bücher, die Matthiaz in der neuen Folge seines Blogs bespricht.
Comic heut' nich', Comic morg'n …
Rapid Comicz Commentz von Matthiaz Hofmann
2013/KW09 – Folge 10: Golden Age, Horror, Good-Girl-Art und Retrofuturismus
Ich lese nicht nur Comics. Ich lese auch anderen Stoff, wie zum Beispiel, ähem, Bücher über, räusper, … Comics.
Als Mitherausgeber des COMIC REPORTs und des Comicfachmagazins ALFONZ - Der Comicreporter liegt es nahe, dass ich auch mit Begeisterung Sekundärliteratur zur Neunten Kunst goutiere. Es erscheint nicht viel auf diesem Gebiet in deutscher Sprache und oftmals muss man auf ausländische Veröffentlichungen zurückgreifen, wenn man mehr über die Hintergründe von Comics und Comicgeschichte erfahren will.
Drei Sekundärtitel und als Bonus-Track ein Buch, das nichts mit Comics zu tun hat, möchte ich heute vorstellen.
Zurück auf Null: Die Anfänge der Superheldencomics
The Golden Age of DC Comics: 1935-1956
Abbildung ™ & © DC Comics. All Rights Reserved / TASCHEN
Es war wohl unvermeidbar. Das 2010 erschienene Standardwerk »75 Years of DC Comics: The Art of Modern Mythmaking« von Paul Levitz wird zweitverwertet. Und das ist keinesfalls verkehrt, denn die Originalausgabe erschien nur in englischer Sprache mit einem deutschsprachigen Booklet als Beilage.
Ich hatte das monströse Buch damals begeistert für Splashcomics rezensiert und das Ganze noch mit einem Special und vor allem mit einem völlig exaltierten Erlebnisbericht (»Optische Orgasmen«) flankiert.
Abbildung ™ & © DC Comics. All Rights Reserved / TASCHEN
Jetzt ist der erste Band einer fünfteiligen Neuedition erschienen, die zum größten Teil auf dem Jubiläumsbuch von Levitz basiert. Allerdings hat man bei der segmentierten Version den gesamten Textteil übersetzt und noch einmal viele hundert Bilder neu aufgenommen. Das Werk wurde von Levitz leicht aktualisiert und zusätzlich gibt es ein Interview mit Joe Kubert über DCs Goldenes Zeitalter.
Wie von Taschen gewohnt, ist auch diese Edition hervorragend editiert. Das Format ist zwar immer noch sehr groß (23,8 x 32,4 cm), aber immerhin kann man diesen Brummer für ein paar Minuten ganz normal lesen, ohne dass während der Lektüre plötzlich ein Arm abbricht.
Abbildung ™ & © DC Comics. All Rights Reserved / TASCHEN
Für alle, die sich für die Historie von US-Comics (nicht nur Superhelden) interessieren, ist diese Reihe ein absolutes Muss. Es wird eine scheinbar unerschöpfliche Datenfülle geboten, zum Auftakt über die Jahre 1935 bis 1956, von den Anfängen der Groschenheft-Ära bis hin zu den Comicverbrennungen unter McCarthy und Wertham. Alleine das exquisite Bildmaterial ist sensationell, da nicht nur unzählige seltene Motive darunter sind, sondern viele Bilder auch großformatig oder ganzseitig reproduziert wurden.
Abbildung ™ & © DC Comics. All Rights Reserved / TASCHEN
Paul Levitz, The Golden Age of DC Comics: 1935-1956
Taschen GmbH, Köln
Aus dem Amerikanischen von Thomas J. Kinne
Hardcover mit goldenem Schutzumschlag, Farbe, 416 Seiten, 39,99 Euro
ISBN: 978-3-8365-3575-5
Link: Homepage des Verlags
Als Comics die Jugend auf Abwege brachten
The Ten-Cent Plague: The Great Comic-Book Scare and How It Changed America
Copyright © 2008 David Hajdu / Farrar, Straus and Giroux, LLC. All rights reserved.
Wo wir gerade bei den Fünfzigerjahren sind … schon vor ein einiger Zeit, anno 2008, erschien ein Buch, welches ich aber erst kürzlich gelesen habe. Es geht um David Hajdus exzellente Untersuchung der Crime- und Horrorcomics der Fifties in den USA mit dem Titel »The Ten-Cent Plague«, die mir viele Stunden faszinierender Lektüre bereitete.
Hajdu erzählt in seinem Werk die Geschichte der Comics in den USA von den Anfängen bis zu ihrer Implosion in den 1950ern, als sie im Zuge der Ächtung durch Leute wie Fredric Wertham und seinem Buch »Seduction of the Innocent« ihre Unschuld verloren.
Hajdu hat für sein Buch fast hundert Interviews geführt, u.a. mit Künstlern, die damals regelmäßig Comics gezeichnet haben und dann regelrecht aus der Branche hinaus gezwungen wurden, weil Comics in der öffentlichen Meinung die Jugend verdarben. In den Anhängen des Buchs ist eine 14-seitige Liste von rund 430 (!) Namen von Zeichnern, Autoren und anderen Comicschaffenden zu finden, die nach dem Crash der 1950er nie wieder im Medium Comic aktiv waren.
Fast jeder hat schon einmal von den Horrorcomics von EC gehört, die Titel wie Tales from the Crypt, Weird Science oder Shock Suspenstories trugen, oder die brutalen Kriminalcomics mit Namen wie Crime Does Not Pay, aber dieses Buch geht viel weiter, denn es beleuchtet die Hintergründe wie diese Comics populär wurden und was genau zu ihrer Verbannung geführt hat. Zum Beispiel ist dem Anklageverfahren um EC-Comics-Chef Bill Gaines ist ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem wortwörtlich aus dem Gerichtssaal zitiert wird. Am Ende steht die Gründung des Comic Codes und dessen absurdes Schalten und Walten.
Das Buch ist nicht nur packend geschrieben und liest sich stellenweise wie eine kongeniale Mischung aus investigativem Journalismus und Belletristik, es ist auch sehr fundiert und damit als Recherchewerkzeug gut geeignet. Alle Informationen, ob Zitate aus zeitgenössischen Zeitungsartikeln oder Auflagezahlen, werden mit einer Fußnote belegt. Im Anhang gibt es fast 40 Seiten Anmerkungen und weiterführende Quellennachweise. Für Comicforscher ist das Buch eine richtige Offenbarung.
Bildmaterial ist auch vorhanden, aber relativ spärlich und auf nur acht Seiten im Innenteil sehr kompakt platziert. Man hätte sich sicherlich mehr Abbildungen gewünscht, aber das tut dem Lesegenuss keinen Abbruch.
Ich habe die US-Originalausgabe von Farrar, Straus and Giroux als Hardcover gelesen. 2009 ist das Buch auch als Softcover bei Picador erschienen und auch problemlos über deutsche Buchhandlungen bestellbar.
Wer sich für das Golden Age der US-Comics und besonders Crime- und Horrorcomics interessiert, für den ist auch dieser Titel unerlässlich. Man sollte aber gut Englisch lesen können.
David Hajdu, The Ten-Cent Plague: The Great Comic-Book Scare and How It Changed America (Originalausgabe, First Edition, 2008)
Farrar, Straus and Giroux, New York, NY
Hardcover mit Schutzumschlag, s/w, 436 Seiten, 26.00 $
ISBN: 978-0-374-18767-5
Nachdruck als Trade Paperback (Softcover, 2009):
Picador, s/w, 464 Seiten, 18.00 $
ISBN: 978-0-312-42823-5
Link: Homepage des Verlags
Der farbige »Good-Girl-Artist«
Matt Baker: The Art of Glamour
Alle guten Dinge sind drei. Auch dieses Buch dreht sich um die Fünfzigerjähre. Und auch hier muss man Englisch lesen können.
Das von Jim Amash und Eric Nolen-Weathington zusammengestellte Kompendium im Bildbandformat ist der Versuch einer Biografie eines der enigmatischsten Künstler des US-Golden Age. Dieses Buch war vor über zwei Jahren angekündigt worden und wurde mehrfach verschoben. Im November 2012 lag es endlich vor. Der Verlag TwoMorrows ist bekannt für seine fundierten Sekundärtitel und bringt auch Magazine wie Alter Ego oder Back Issue heraus.
Matt Baker startete seine Karriere in den frühen 1940er Jahren und war damit, was seine Leser nicht wussten, einer der ersten afro-amerikanischen Comiczeichner in den Staaten.
Baker beeindruckte mit seinen prächtigen Darstellungen von Frauen, die, ohne billig zu wirken, aufreizend und aufregend in Szene gesetzt wurden. Sein flüssiger Stil ließ ihn schnell zu einem der beliebtesten Zeichner werden. Seine Karriere endete allerdings viel zu früh und zu abrupt, denn er starb bereits 1959 im Alter von nur 38 Jahren.
© 2012 TwoMorrows
Heutzutage ist Bakers Name und seine Kunst nur noch Kennern des Mediums und den Sammlern von Golden-Age-Comics bekannt. Über sein Leben wusste man bislang recht wenig. Matt Baker war ein extrem gut aussehender und stets gut gekleideter Mann, der ein Herzproblem hatte. Was dieses Buch auch offenbart, ist die Tatsache, dass Baker homosexuell war.
© 2012 TwoMorrows
Rekonstruiert und erörtert wird das Leben von Baker in diesem Buch mit Hilfe verschiedener Artikel und Interviews mit Freunden, Kollegen und Verwandten. Herzstück ist der umfangreiche Text »Baker of Cheesecake« des italienischen Comichistorikers Alberto Becattini.
Darüber hinaus gibt es einen großen Farbteil mit Comics von Matt Baker, wie z.B. Phantom Lady oder Canteen Kate. Viele seltene Fotos und eine umfangreiche Comicografie von Bakers Werk machen das Buch zum Nonplusultra für Fans von Good-Girl-Art und Romance-Comics.
© 2012 TwoMorrows
Jim Amash/Eric Nolen-Weathington, Matt Baker: The Art of Glamour (Originalausgabe, First Edition, 2012)
TwoMorrows Publishing, Raleigh, NC
Hardcover, Farbe und s/w, 192 Seiten, 39.95 $
ISBN: 978-1-60549-032-8
Link: Homepage des Verlags
Link: Ausführliche Leseprobe (38 Seiten, PDF)
Unser Freund, das Atom
Fehlstart ins Atomzeitalter
Nichts mit Comics zu tun hat ein Buch, welches ich abschließend vorstellen möchte. Im Verlag von Dieter von Reeken ist im Januar ein neues Sekundärwerk von Heinz J. Galle erschienen, das etwas aus der Reihe schlägt. Galle, bekannt als eine der größten Koryphäen auf dem Gebiet der Trivialliteratur, widmet sich in seinem Buch »Fehlstart ins Atomzeitalter« dem heiklen Thema Atomkraft. Allerdings auf eine ganz andere Art wie man es vermuten würde, nämlich aus Sicht eines Science-Fiction-Fans der ersten Stunde, der die Zeit der 1950er und 1960er Jahre live miterlebt hat; und damit auch den Umschwung in der Öffentlichkeit in der Wahrnehmung von Kernenergie vom Segen zum Fluch.
Der Untertitel beschreibt den Inhalt des Bändchens treffend: »Die strahlende Zukunft der fünfziger Jahreim Spiegel der deutschsprachigen populären Medien«. Es geht also nicht um die Entwicklung der Kernenergie und wie die Menschen damit umgehen, sondern um die Spuren der Thematik in Büchern, Zeitschriften oder Filmen und sogar, schluck, Sammelbildern. Durch diesen Kniff, der das Buch von allen drögen Abhandlungen massiv unterscheidet, wird die Lektüre zu einer wahren retrofuturistischen Zeitreise. Was durch die gelungene Illustrierung durch zum Teil sehr seltenes Bildmaterial unterstrichen wird.
© 2013 Dieter von Reeken
Galles Betrachtung in sieben Kapiteln beginnt am 6. August 1945, als der US-Bomber »Enola Gay« die erste Atombombe über Hiroshima abwarf und setzt sich mit der teilweise extrem blauäugigen Rezeption auseinander. Gar unglaubliches wird vorgestellt, u.a. Bücher aus jener Zeit wie »Woher kommt das Atomwetter?« oder das lustige Bilderbuch »Die Atomfibel« von Hubert Friedel (mit beinharten Texten wie diese: »Halb gelähmt vor lauter Schreck, warf der Japs die Waffe weg, damit diese Teufelsbomben, wenigstens sein Land verschonten.«
© 2013 Dieter von Reeken
Danach gräbt Galle in den weiteren Kapiteln in unterhaltsamer Manier ein ums andere Mal Beispiele aus, die zeigen wie weltfremd und naiv und blind fortschrittsgläubig mit »Unserem Freund, das Atom« umgegangen wurde. Der Autor kennt sich in trivialen Gebieten aus, in die sich kein Literat freiwillig mit einem Strahlenschutzanzug begeben würde.
Seine Untersuchung erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und bleibt bewusst eine subjektive Auswahl. Aber so kommen alle ein bisschen auf Ihre Kosten, denn es gibt viel Nostalgisches für Science-Fiction-Fans, wenn alte Romanheftserien (Terra, Utopia, etc.) oder Leihbücher besprochen werden, darüber hinaus klassische Atom-, Endzeit- und Katastrophenfilme von Invasion gegen USA, Formicula, Panik in New York bis zu Dr. Seltsam von Stanley Kubrick.
»Fehlstart ins Atomzeitalter« ist ein gelungener Rundumschlag, gewohnt anschaulich und durchaus kritisch. SF-Fans ist dieses Buch unbedingt zu empfehlen, weil es nicht nur viele Erinnerungen wachruft, sondern auch blendend unterhält. Ein vorbildlicher Anhang mit Quellen-, Sekundärliteratur-, Zeitschriften-, Internet-, und Film-Verzeichnis rundet das Bild ab.
© 2013 Dieter von Reeken
Heinz J. Galle, Fehlstart ins Atomzeitalter (Originalausgabe)
Dieter von Reeken Verlag, Lüneburg
Softcover, s/w, 152 Seiten, 103 Abbildungen, 15,00 Euro
ISBN: 978-3-940679-71-0
Link: Homepage des Verlags
Ältere Folgen des Blogs: Comic heut' nicht, Comic morg'n
Kommentar abgeben? Kein Problem!
Und zwar hier in unserem Forum: Comic Report Forum
Über das Blog
Mit »Comic heut' nich', Comic morg'n …« räumt Matthiaz [sic!] auf, denn jede Woche flattern ziemlich viele Comics auf seinen Redaktionstisch. Nicht alles eignet sich für lange Abhandlungen, aber vieles ist es wert, dass man ein paar Worte darüber verliert. Also macht er es sich bequem und schreibt darüber. Und manchmal auch darüber hinaus …