Seit dem Comicfestival 2013 sind fast drei Wochen vergangen. In seinem Blog zieht Matthiaz ein Fazit und überlegt, wie das Festival im Jahre 2015 aussehen könnte.
Comic heut' nich', Comic morg'n …
Rapid Comicz Commentz von Matthiaz Hofmann
2013/KW25 – Folge 25: Comicfestival München - Nicht alle Wege führen nach Rom
WARNUNG: Die nachfolgenden Sätze sind die reine Privatmeinung des Autors. Sie dienen nicht der Wahrheitsfindung und sie mögen daher nicht jedem gefallen. Wer sich schnell aufregen lässt oder generell eine dünne Haut hat, der möge bitte auf eine andere Webseite klicken, z.B. auf diese.
Also mir hat das Comicfestival in München gefallen. Es hat mir sogar sehr gut gefallen. Ich bin aber auch nicht typisch, weil ich viele Leute kenne, mit denen es was zu besprechen gab, und bei uns am Stand auch immer was los war. Mir war also in keinster Weise langweilig, schon alleine, weil ich am Samstag und Sonntag ziemlich mit der Betreuung der beiden italienischen Künstler Laura Zuccheri und Federico Bertolucci eingespannt war.
Die Auswahl der Programmpunkte war enorm: Die, die ich besucht habe (z.B. das Künstlergespräch mit Spirou-Zeichner Yoann), waren gut besucht. (Fast) alles was Rang und Namen in der Szene hat, war in München anwesend. Sah man einmal vom fürchterlichen Wetter ab, war die Stimmung gut. Eine Umfrage unter den teilnehmenden Verlagen, deren Ergebnis als Feedback direkt ans Organisationskomitee ging, bestätigte dies und ergab, dass die Umsätze bei vielen sogar besser waren als 2011.
Man könnte das noch weiter ausführen und betonen, dass ein Comicfestival in dieser Größe in der Innenstadt einer Weltstadt wie München grundsätzlich schwierig ist. Dass Michael Kompa und Heiner Lünstedt ziemlich viel geleistet und bewegt haben. Und so weiter … wäre da nicht die Zweiteilung des Hauptgeschehens gewesen, die vor und nach dem Festival (und eigentlich noch immer) für Zwist sorgt.
Wir haben bei CRON bereits beide Seiten zu Wort kommen lassen (Interview Festivalleitung und die Sicht der Independent-Verlage).
Eine Stadt, zwei Festivals …
Klar ist, dass diese Zweiteilung für zwei konträre Sichtweisen und als Resultat in der Wahrnehmung für so manche Anwesenden für zwei verschiedene Festivals gesorgt hat. Ich war ursprünglich ebenfalls skeptisch, als ich hörte, dass die Kleinverlage ins Alte Rathaus ausquartieren werden sollen. Als ich aber die Münchner Gegebenheiten verinnerlicht und das mit einem internationalen Großfestival wie in Angoulême verglichen habe, hat sich dies alles schnell wieder relativiert. Das könnte man so machen …dachte ich.
Allerdings muss ich inzwischen sagen, dass dieses Konzept gescheitert ist. Ich selbst bin das beste Beispiel. Selbst mit den besten Vorsätzen habe ich es in vier Tagen nicht ins Alte Rathaus geschafft. Hätte ich mich auf den Weg gemacht (bei dem Dauerregen), hätte ich mindestens zwei bis drei Stunden einplanen müssen. Und diese hatte ich aufgrund der Vernetzung meiner sonstigen Termine zu keiner Zeit zur Verfügung. Und so verging Tag um Tag, und am Sonntag hörte ich, dass verschiedene Standbetreiber bereits abgebaut hätten. Und wenn es mir so erging, dann ging es anderen auch so. Möglicherweise vielen anderen …
Schlegelgate
In dem Interview, welches wir auf CRON veröffentlicht hatten, stellte ich den Festivalleitern durchaus kritische Fragen. Michael Kompa hat sie beantwortet, so wie er es für richtig hielt (und seine Antworten waren mit Heiner Lünstedt abgesprochen). Dass dies einigen Parteien, besonders den Independent-Ausstellern im Alten Rathaus, übel aufstoßen könnte, hat man bewusst in Kauf genommen. Ebenso einen Shitstorm durch die Kritik an Gerhard Schlegel.
Hat sich schon einmal jemand übererlegt, dass dies kein »Normaler« machen würde, wenn er nicht zumindest einen guten Grund dafür hätte? Ich habe Heiner und Michael erlebt. Sie haben wirklich viel geleistet und sind sicher keine Menschen, die anderen böswillig etwas unterstellen. Auf der anderen Seite halte ich sehr viel von Gerhard, nicht nur als Künstler (er ist u.a. verantwortlich für die kongenialen Kolumnen-Header von ALFONZ), sondern auch als guten Charakter (ich war vor rund einem Jahr live als dritte Partie in eine Nickeligkeit von Gerhard verwickelt, und da hat er wahre Größe gezeigt und auch, dass er kein nachtragender Mensch ist).
Bei einem solchen Festival muss man so viele Dinge beachten. Da ist es kein Wunder, wenn einem so manches über den Kopf wächst. Es ist durchaus der Eindruck entstanden, dass die Kombination aus Kritik, Wetter und FCB-Feier zu viel des Guten für die Hauptakteure war. Die Festivalleitung will sich natürlich kein im Grunde wirklich gelungenes Festival schlecht reden lassen und demonstriert übertriebene Stärke, wo vielleicht ein einfühlsamer Ton sinnvoller gewesen wäre.
Und schon spricht die eine Seite von »Schlegelbashing« und »Schlegelgate«, übersieht aber völlig den eigentlichen Effekt, den der Schuss vor den Bug in Richtung Laska hatte. Es hat Gerhard in keinster Weise geschadet. Im Gegenteil, wenn das so weitergeht, dann nennen wir ihn alle nur noch den »Heiligen Gerhard«. Denn auch Gerhard hat viel geleistet. Ebenso wie andere aus München, die in die Organisation involviert waren, wie z.B. Markus Gruber. Und die ganzen Helferlein, die da versucht haben die Abläufe reibungslos zu gestalten.
Heiligt der Zweck die Mittel?
Seit vorgestern kursiert dieser Offene Brief, von dem ich mir nicht sicher bin, ob der irgendetwas bringt, außer, dass er nicht nur die aktuelle Situation verschlimmert, sondern auch das CFM dauerhaft beschädigt.
Man will erzwingen, dass das Festival Schadensersatz leistet und droht mit einem Fernbleiben im Jahre 2015, falls die Forderung nicht eingelöst wird. Die Argumentationskette kann man als Außenstehender nachvollziehen. Das Hauptproblem, nämlich die mangelnde und frühzeitige Kommunikation der diversen Widrigkeiten, wird man im Nachhinein schwer aufdröseln können. Ich will mich da gar nicht in Vermutungen ergehen, aber ich habe natürlich sowohl mit Michael und Heiner, als auch mit Gerhard kommuniziert, sowie mit einem Haufen anderer Leute. Alle für sich machen Sinn. Wer wem was wann übertragen hat und wer sich wann um was kümmern sollte, ist aber nicht mehr klar zu eruieren. Im Gegenteil, es wird irgendwann widersprüchlich. Deshalb ist es wirklich müßig, sich da den Kopf zu zerbrechen, denn das wissen nur die direkt Beteiligten.
Die deutsche Comicszene hat bislang funktioniert, weil Enthusiasten am Werk waren. Vieles basiert auf Goodwill oder mündlichen Abmachungen. Es gab Erfolge und es gab Misserfolge. Es gab Stress und mitunter drohte man sich gegenseitig mit einem Anwalt. Aber es hielt sich im Rahmen und beschränkte sich auf persönliche Geplänkel. Dieser Offene Brief jedoch hebt die aktuellen Misstöne auf ein neues Niveau der Auseinandersetzung, die einem Flächenbrand gleich kommen könnte.
Wie sollen Heiner, Michael & Co. reagieren? Etwa wirklich Geld zurückzahlen (was sie sowieso nicht haben, denn ein Festival kostet höchstens viel, aber erzielt keine nennenswerten Gewinne)? Glauben das die betroffenen Independents allen Ernstes? Wenn das passieren würde, hätten die Organisatoren einen saftigen Präzedenzfall. Dann würden sie ein Fass aufmachen, welches nicht mehr geschlossen werden kann. Das wäre die Öffnung der berühmten Büchse der Pandora, und wer diese Story kennt, der weiß Bescheid. Dann würden weitere Parteien kommen, die Forderungen stellen …
Und wie soll die Stadt München reagieren? Hätte sie dem FCB die Feier in der Innenstadt beschränken oder gar verbieten sollen, weil das CFM das Alte Rathaus zuerst gemietet hatte? Und was für negative Konsequenzen hätte eine Auseinandersetzung mit der Stadt für die Vergabe des CFM 2015?
Ich sehe beim besten Willen keine Chance dafür, dass hier irgendwelche Regresszahlungen geleistet werden. Das bedeutet wiederum, dass automatisch »aus betriebswirtschaftlichen Gründen« die Mehrheit der Aussteller aus dem Alten Rathaus an dem CFM »nicht mehr teilnehmen kann«.
Mal ganz naiv gefragt: Schneidet man da sich nicht ins eigene Fleisch? Und seit wann agieren Independent-Comicverlage nach betriebswirtschaftlichen Gründen? Es mag sein, aber dann wäre das bei Kwimbi und Jörg Faßbender ein paradiesischer Zustand für Indie-Künstler. Jörg macht auf mich einen sehr soliden, kompetenten, gut organisierten und glaubwürdigen Eindruck. Aber ist das nicht absoluter Luxus, wenn in dem Bereich Fahrt- und Hotelkosten gezahlt werden, die man u.a. erstattet haben will? Die deutsche Comicbranche abseits der großen Verlage hat solche Ausgaben nicht einmal im Budget, und wenn, dann nur in Ausnahmefällen und falls es gut gelaufen ist.
Es ist eine vertrackte Situation, die durch die Aussage aus Festivalkreisen, dass »Angebot und Nachfrage« ebenfalls einen Einfluss auf den Umsatz eines Kleinverlags haben, verstärkt wurde. Kann es aber sein, dass die Festivalbesucher den Overkill an internationalen Stars nicht verkrafteten und deshalb die Independents und ihre Zeichner links liegen gelassen haben? Oder war das Angebot wirklich nicht interessant genug? Ich kann das leider nicht richtig beurteilen, da ich nicht im Alten Rathaus war. Ich weiß jedoch, dass eine Zeichnerin wie Sarah Burrini sicherlich genug Anhänger hat und ihre Comics international locker mithalten können. Wenn da wenig Interesse gewesen sein soll, wo man doch nach eigener Aussage in den sozialen Medien kräftig die Werbetrommel gerührt hat, so kann ich mir das nicht sinnvoll erklären. Schließlich gab es auch im Alten Rathaus durchaus Aussteller, die insgesamt zufrieden waren. Als Gilbert Shelton bei U-Comix am Stand war, war offenbar sehr viel los, und diese Leute haben das Alte Rathaus auch ohne Beschilderung gefunden.
Grundsätzlich sollte man als Independent Verleger aber damit rechnen, dass es viele Comicfans gibt, die kein Interesse an einem alternativ aussehenden Angebot haben. Und ja, diese Leute bleiben nicht einmal stehen und nehmen auch die Comics, die da so ausliegen, nicht in die Hand. Wahrscheinlich hat Michael Kompa dies gemeint. Dass man den Ball flach halten sollte und bei einer großen Auswahl sich die Masse der Besucher eher nach ihnen bekannten Namen, Verlagen und Marken umsieht.
Der Offene Brief zwingt die Festivalleitung in eine Situation, in der sie keine wirkliche Option haben. Er zwingt ferner die Independents dazu, 2015 München fern zu bleiben, wenn sie glaubwürdig sein wollen. Wahrscheinlich tun sie der Leitung dann sogar einen Gefallen, wenn Ihre eigene Argumentation stimmt, nämlich dass sie den Organisatoren eher unwichtig seien. Will man das wirklich? Will man sich ausgrenzen?
An der Korrespondenz zwischen Festivalleitung und Kwimbi, die zusammen mit dem Offenen Brief veröffentlicht wurde, kann man nicht nur sehr viele positive Ansätze erkennen, sondern auch sehr schön die verschiedenen Sichtweisen ablesen und nachvollziehen. Darauf sollte man aufbauen.
Meine Vorschläge wären:
VERANSTALTUNGSORT
Ein gemeinsamer Hauptveranstaltungsort muss her. Ein Festival im Zentrum der Stadt ist was Ultrafeines, aber wenn es keine geeignete größere Location gibt, muss man auch einen Ort außerhalb des Stadtkerns in Erwägung ziehen.
Die Independents gehören zu einem solchen großen Festival dazu. Unbedingt. Und ohne wenn und aber.
ORGANISATION
Gründet ein richtiges Komitee. Rechtzeitig. Macht nicht alles selber. Ein Festivalleiter, der mehrere Programmpunkte leitet, ist eigentlich ein No-Go. Im Komitee sollten Verantwortliche sein für (kein Anspruch auf Vollständigkeit): Programm, Publikationen, Werbung/Presse, Ausstellungen, Verlage/Aussteller, Liaison zur Stadt, Ehrengäste, Comicbörse, Preisverleihung. Das sollten pro Posten verschiedene Personen sein und nicht die gleichen! Diese müssen nicht alle aus München sein. Warum nicht externe Leute aus anderen Städten ins Boot holen, die über Erfahrung und Kontakte verfügen?
AKTUELLE KRISE
Spaltet die Szene nicht. Arbeitet zusammen. Legt den Offenen Brief zu den Akten. Trefft Euch persönlich in einem Biergarten eurer Wahl. Versucht über eure Schatten zu springen. Versucht die jeweils andere Seite zu verstehen. Scheißt euch nicht gegenseitig an. Scheißt aufs Wetter und den FCB. Lasst fünf gerade sein.
VERLUSTE DER INDEPENDENTS
Ich habe einen kuriosen, weltfremden Vorschlag. Nennt mich naiv, aber wieso nicht die Wut und Enttäuschung für eine Art Hilfsaktion bündeln? Wieso nicht Geldsammeln für die notleidenden Independent-Aussteller aus dem Alten Rathaus? Oder zumindest, weil das mit dem Geld immer so eine schwierig zu quantifizierende Angelegenheit ist, bei den Betroffenen ein paar Comics einkaufen?
Die Standmiete für einen Tag betrug 100 Euro im Alten Rathaus. Wenn nur 50 Leute, die sich solidarisch zeigen möchten, für 50 Euro einkaufen, dann haben wir schon 2500 Euro Umsatz zusammen. Das könnte zumindest diesen Posten kompensieren.
Ich würde mit gutem Beispiel voran gehen und die Comics kaufen, die ich mir am Sonntag mitgenommen hätte, wenn ich es ins Alte Rathaus geschafft hätte.
- Das Leben ist kein Ponyhof 2 (15 €)
- Jazam! 8 (14 €)
- Die Toten 4 (15 €)
- Monster Allergy 2 (14 €)
- U-Comix 183 (5 €)
Das U-Comix-Heft habe ich inzwischen von Steff Murschetz geschickt bekommen (heißen Dank!), aber auch ohne diesen Titel sind das 58 Euro, die ich gerne überweisen würde.
FAZIT
Viel Licht, trotz Regen, und wo Licht ist, ist auch Schatten. Es gibt eine lange Liste von Vorschlägen und Änderungen, die von den meisten teilnehmenden Verlagen eingegangen sind.(Nur Reprodukt, die einzigen, die an beiden Orten vertreten waren und ziemlich viel dazu hätten sagen können, halten sich bislang bedeckt und wollen aber den Veranstaltern noch direkt die Meinung sagen). Darauf kann man aufbauen. Ich könnte mir vorstellen, dass ein CFM in zwei Jahren, gemeinsam veranstaltet von Leuten wie Heiner, Michael und Gerhard, alle Streitigkeiten von 2013 vergessen macht.
Das CFM darf nicht kaputt gemacht werden. Bei aller Kritik, lasst Heiner und Michael die Luft zum (Über-)Leben. Undank ist der Welt Lohn, könnte man meinen. Man darf sich aber auch nicht wie Ikarus benehmen und meinen, man könne fliegen.
CFM 2015! Wo muss ich mich anmelden? ☺
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Über das Blog
Mit »Comic heut' nich', Comic morg'n …« räumt Matthiaz [sic!] auf, denn jede Woche flattern ziemlich viele Comics auf seinen Redaktionstisch. Nicht alles eignet sich für lange Abhandlungen, aber vieles ist es wert, dass man ein paar Worte darüber verliert. Also macht er es sich bequem und schreibt darüber. Und manchmal auch darüber hinaus …