Auch bei Schreiber & Leser gibt es 2018 reichlich Nachschub für Lesehungrige. Von Februar bis Oktober bringen die Hamburger 16 Titel auf den Markt, starten neue Serien und Gesamtausgaben oder führen alte fort. CRON bat Verlagsleiter Philipp Schreiber zum Gespräch, der zu tierischen Feinschmeckern, derben Cowboys, besonderen Geschichten für Erwachsene und einer Zufallsentdeckung Stellung bezieht.
Schreiber und Leser:
Interview mit Philipp Schreiber
Einer der Höhepunkte des kommenden Programms dürfte Pascal Rabatés Der Schwindler sein. Bislang war Rabaté (Bäche und Flüsse, Die Plastikmadonna) in Deutschland bei Reprodukt und Carlsen zu Hause. Wie ist dessen Romanadaption bei euch gelandet? Und was erwartet die Leser?
Wir sind eher zufällig über dieses Schwergewicht gestolpert. Auf einer Messe sahen wir das Buch, haben es gelesen und die Rechte waren frei. Es ist ein sehr reizvolles Thema, die Handlung basiert auf einem Roman von Alexej Tolstoi, einem Verwandten des großen Leo Tolstoi. Im Jahre 1917 ist Semjon Newsorow ein kleiner Buchhalter in Petersburg und lebt ein langweiliges Leben. Er träumt von Abenteuer und Reichtum. Eine handlesende Zigeunerin prophezeit, dass für Semjon ein solches Leben beginnt, sobald die Welt ins Chaos stürzt. So kommt es dann auch und Semjon Newsorow erlebt mehr als nur ein Auf und Ab in den Nachwehen des Ersten Weltkriegs.
Mit mehr als 500 Seiten, einem schweren Thema und einem Preis von knapp 40 Euro ist sein Werk sicherlich kein Comic für Einsteiger oder Kurzentschlossene. Wie hoch ist da das verlegerische Risiko?
Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, ab und zu einen Platz für eine gewichtige Graphic Novel im Hardcover zu reservieren. Das begann mit Mister X von Dean Motter, später kam Ikarus von Mœbius und Jirô Taniguchi, zuletzt erschienen die Titel Stupor Mundi von Néjib und Affendämmerung von Krassinsky. Das Risiko erscheint uns daher überschaubar, aber letztlich muss man sehen, wie das Buch ankommt. Die Presse hat schon reges Interesse bekundet, das ist zumindest vielversprechend.
Etwas leichtfüßiger und äußert tierisch geht es bei Henri Reculé und Stephen Desberg zu. Vielschreiber Desberg, von dem ihr bereits I.R.$ im Katalog habt, lässt in Jack Wolfgang einen Wolf als Restaurantkritiker und Spion von der Leine. Die Mischung aus Krimi und anthropomorphen Tieren erinnert auf den ersten Blick an Blacksad. Trägt der Vergleich?
Es gibt immer wieder Momente in Jack Wolfgang, da fühlt man sich in eine Welt wie die von Blacksad hineingezogen. Desberg und Reculé haben mit Jack Wolfgang einen Krimi erfunden, bei dem der Wolf einen Feinschmecker gibt, der sich mit der mächtigen Fast-Food-Industrie anlegt – und Kochrezepte gibt es am Ende des Comics noch obendrauf. Das Blacksad-Publikum habe ich nicht so vor Augen, aber neben unseren frankobelgischen Serien steht Jack Wolfgang unserer Meinung ganz gut.
Eine waschechte Familienproduktion, mit 200.000 verkauften Exemplaren eine enorm erfolgreiche noch dazu, kommt mit Lincoln nun endlich auch nach Deutschland. In Frankreich läuft die Westernparodie von Olivier Jouvray, dessen jüngerem Bruder Jérôme und seiner Frau Anne-Claire bereits seit 2002. Warum mussten die deutschen Fans so lange darauf warten? Und können Fans von Lucky Luke mit diesem doch ganz anderen »lonesome cowboy« ebenfalls etwas anfangen?
Warum Lincoln bisher nicht woanders erschienen ist, ist uns ehrlich gesagt auch ein Rätsel. Der Grund, warum der Titel bisher nicht bei Schreiber & Leser erschien, ist hingegen ganz schlicht: Die Serie ist ein Western und um dieses Genre haben wir bisher einen Bogen gemacht. Zwar verlässt Lincoln dieses Genre recht schnell wieder, nur gelegentlich kehrt der Protagonist, der wortwörtlich mit Gott und Teufel paktiert, auf seiner langen Reise zum Western zurück. Außerdem ist der Humor sehr ungewöhnlich, nicht selten derb und morbid. Aber Geschichten mit klugem Witz finden derzeit ihre Leser, siehe Canardo, siehe Maggy Garrisson. Mit Lucky Luke hat Lincoln höchstens den Anfangsbuchstaben gemeinsam, ansonsten sind das doch zwei sehr unterschiedliche Welten.
Apropos lange Wartezeit: Noch ein Jahrzehnt länger als auf Lincoln mussten Fans auf eine Gesamtausgabe von Anibal 5 warten. Kannst du Lesern, die den schrägen Kosmos des Duos Jodorowsky/Bess (Juan Solo, Der weiße Lama) nicht kennen, verraten, in welche Welt(en) sie sich hier begeben? Und wie steht der Comic im Lichte der schwelenden #metoo-Debatte heutzutage da?
S&L versteht sich als Lieferant von besonderen Geschichten für erwachsene Leser. Das geht nicht immer politisch korrekt vonstatten. Mit einem Szenaristen wie Jodorowsky bei Anibal 5 muss man sowieso immer auf alles gefasst sein, und hier tobt er sich wieder ziemlich aus. Ob wir für Anibal 5 einen Shitstorm ernten oder zu einer differenzierten Diskussion beitragen, dieses Urteil überlassen wir gerne jeder einzelnen Leserin und jedem einzelnen Leser.
Altbewährtes gibt es von Hugo Pratt, allerdings mit neuem Bonusmaterial. Kannst du schon verraten, worauf sich die Leser freuen können? Und habt ihr das Material exklusiv oder folgen die Alben bereits vorhandenen Editionen?
Im Sommer erscheinen die vier Geschichten Ein Mann, ein Abenteuer von Hugo Pratt, von denen zwei bereits auf Deutsch verlegt wurden. Bei Schreiber & Leser werden es zwei Doppelbände, die jeweils eine unveröffentlichte Geschichte enthalten. Außerdem gibt es zu jeder der vier Geschichten ein kleines bis größeres Vorwort mit Skizzen und Aquarellen von Pratt. Unser erster Doppelband enthält neben der Geschichte »La Macumba del Gringo« auch »Jesuit Joe« (erschien bereits als »Der Mann aus Kanada« ). »Jesuit Joe« wurde übrigens verfilmt, und für das Drehbuch lieferte Pratt zusätzliche Seiten, die hier als Scribbles eingefügt wurden – insgesamt knapp zwanzig Seiten. Außerdem wurde nach dem ersten Erscheinen des Werks heftig über das ambivalente Ende diskutiert. Dem hat Hugo Pratt mehrere neue Panels hinzugefügt, die aber auch noch mal ein paar neue Fragen aufwerfen.
Kontinuierlich setzt ihr auch die Neuausgabe der Reihe um die Geheimnisvollen Städte von Schuiten/Peeters fort. Euer jüngster Band »Erinnerung an die ewige Gegenwart« könnte auch Film- und Literaturfans interessieren.
Schuiten und Peeters sind belesene und weit gereiste Künstler, die jeden Kulturinteressierten zu begeistern wissen mit ihren Geschichten aus dem Kosmos der Geheimnisvollen Städte und darüber hinaus. Es kommen also sowohl Film- und Literaturfans als auch Leser, die sich für Architektur, neuzeitliche Technik, physikalische und philosophische Rätsel oder Raum-Zeit-Reisen interessieren, auf ihre Kosten. Im Grunde begibt man sich mit den Comics dieser beiden Künstler immer auf eine Forschungsreise ins Unbekannte und darf sich ein bisschen wie die großen akademischen Abenteurer des 19. Jahrhunderts fühlen, die die weißen Flecken kartografierten und dabei beeindruckende Dinge sehen und erleben. In dem Band »Erinnerung an die ewige Gegenwart« ist es nicht anders, denn hier macht sich ein vom Wissensdurst getriebener Junge daran, gegen alle Widerstände die Wahrheit über seine Heimatstadt Taxandria herauszufinden.
Während bei Schuiten/Peeters kein Ende abzusehen ist, biegt Terry Moores Echo auf die Zielgerade ein. Wie ist Moores Serie, auch im Vergleich zu Strangers in Paradise und Rachel Rising, bisher gelaufen? Und plant ihr bereits weiter mit ihm? Mit Motor Girl stünde ja noch eine interessante, kurzweilige Serie bereit?
Echo hat sich bislang ganz gut gehalten. Bei unserer Strangers-in-Paradise-Ausgabe haben wir immer wieder gehört: »Das kenne ich schon, habe ich damals in der Ausgabe von Speed gelesen.« Was viele dann überraschte, ist, dass das nur etwa ein Fünftel der ganzen Geschichte war! Echo ist eine deutsche Erstveröffentlichung, und es gibt keine Verwirrung darüber, ob und wie viel es denn schon mal gab, und ob man das schon gelesen hat oder nicht. Bestimmt machen wir weiter mit Terry Moore, die Miniserie Motor Girl ist tatsächlich eine schöne Geschichte und passt bei uns vielleicht in den Herbst.
Zum Schluss ein kleiner Ausblick auf die Messesaison. Welche Künstler sind vor Ort, welche Veranstaltungen geplant?
Auf dem Comicsalon Erlangen haben wir wie immer einen Stand, wenngleich es sich dieses Jahr wohl nicht mehr ergibt, dass wir einen Künstler einladen. Unsere Kandidaten hatten entweder keine Zeit, oder aber wir haben nichts Neues oder eine Serie beginnt erst kurz nach Erlangen.
Zum Gratis Comic Tag 2018 gibt es mit Grandville und Der Janitor zwei Hefte zu Serien, deren Beginn schon eine ganze Weile zurückliegt, die aber beide jetzt wieder weiter gehen, weshalb wir sie noch mal einem neuen Publikum präsentieren möchten.
Am 21. Februar kommt Comickünstler Emmanuel Moynot erstmals nach Deutschland, um als Gast der Stadt- und Landesbibliothek Stuttgart sowie des Institut Français unter anderem seinen neuen Nestor-Burma-Krimi vorzustellen.
Wegen weiterer Einzeltermine sind wir ebenfalls bereits im Austausch mit anderen Künstlern. Hier folgen Details in unseren Social-Media-Kanälen, sobald die Termine feststehen.
Die Fragen stellte Falk Straub
Abbildungen © Schreiber & Leser
Die nackten Fakten:
Februar 2018
Venus H. – Gesamtausgabe
Enthält die Bände: 1 »Anja«, 2 »Miaki«, 3 »Wanda«
Zeichnung: Renaud, Szenario: Dufaux
176 S. | gebunden | Farbe | 18 x 24 cm
€ 27,80 | ISBN 978-3-946337-56-0
Privatdetektiv Raffington Event
Zeichnung & Szenario: Andreas
56 Seiten | gebunden | s/w und Farbe
€ 16,95 | ISBN 978-3-946337-41-6
März 2018
Echo Bd. 3: »Black Hole«
Zeichnung & Szenario: Terry Moore
216 S. | Klappenbroschur | s/w | 17 x 25 cm
€ 18,95 | ISBN 978-3-946337-47-8
Corto Maltese Bd. 8:
»Das Goldene Haus von Samarkand«
Zeichnung & Szenario: Hugo Pratt
200 Seiten | gebunden | Farbe
Farbe: € 32,80 |ISBN 978-3-946337-54-6
Schwarz-Weiß: € 32,80 | ISBN 978-3-946337-55-3
April 2018
Grandville Bd. 4: »Noël«
Zeichnung & Szenario: Bryan Talbot
104 S. | gebunden | Farbe | 30 x 22 cm
€ 24,80 | ISBN 978-3-946337-57-7
Mai 2018
Jack Wolfgang Bd. 1: »Wenn der Wolf kommt«
Zeichnung: Henri Reculé, Szenario: Stephen Desberg
64 S. | gebunden | Farbe | 20 x 30 cm
€ 16,95 | ISBN 978-3-946337-62-1
Juni 2018
Mord für Mord – Teil 1 von 2
Zeichnung: Pascal Regnauld, Szenario: Roger Seiter
56 S. | gebunden | Farbe | 21 x 30 cm
€ 16,95 | ISBN 978-3-946337-70-6
Erinnerung an die ewige Gegenwart
Zeichnung: François Schuiten, Szenario: Benoît Peeters
80 S. | Klappenbroschur | Farbe | ca. 24 x 30 cm
€ 22,80 | ISBN 978-3-946337-60-7
Capricorn – Gesamtausgabe V
Enthält die Bände: »<ohne Titel>«, »Gittertraum Traumgitter«, »Operation«
Zeichnung & Szenario: Andreas
152 S. | gebunden | Farbe | 21 x 30 cm
€ 29,80 | ISBN 978-3-946337-58-4
Juli 2018
Ein Mann, ein Abenteuer Bd 1:
»La Macumba del Gringo«, »Jesuit Joe«
Zeichnung & Szenario: Hugo Pratt
ca. 168 S. | gebunden | Farbe | 18 x 24 cm
Farbe: ca. € 29,80 | ISBN 978-3-946337-66-9
Schwarz-Weiß: ca. € 29,80 | ISBN 978-3-946337-67-6
Wonderball Bd. 5: »Imker«
Zeichnung: Colin Wilson, Szenario: J.-P. Pécau / Fred Duval
ca. 56 S. | gebunden | Farbe | 21 x 30 cm
ca. € 14,95 | ISBN 978-3-946337-61-4
August 2018
Anibal 5 – Gesamtausgabe
Zeichnung: Georges Bess, Szenario: Alejandro Jodorowsky
136 S. | gebunden | Farbe | 20 x 26 cm
ca. € 29,80 | ISBN 978-3-946337-65-2
Jäger Bd. 1: »Witterung aufnehmen«
Zeichnung: Jirô Taniguchi, Szenario: Itsura Inami
ca. 236 S. | Klappenbroschur | s/w | 15 x 21 cm
€ 16,95 | ISBN 978-3-946337-72-0
September 2018
Lincoln Bd. 1: »Auf Teufel komm raus«
Zeichnung: Jérôme und Anne-Claire Jouvray, Szenario: Olivier Jouvray
48 S. | gebunden | Farbe | 20 x 30 cm
€ 14,95 | ISBN 978-3-946337-68-3
Oktober 2018
Der Schwindler – Roman eines Revolutionsabenteurers
Zeichnung & Szenario: Pascal Rabaté
Nach dem Roman von Alexej Tolstoi
552 S. | gebunden | S/W | 21 x 29 cm
€ 39,80 | ISBN 978-3-946337-63-8
Corto Maltese Bd 9: »Abenteuer einer Jugend«
Zeichnung & Szenario: Hugo Pratt
ca. 96 S. | gebunden | 21 x 28 cm
Farbe: ca. € 24,80 | ISBN 978-3-943808-70-4
Schwarz-Weiß: ca. € 24,80 | ISBN 978-3-946337-64-5
Weiterführende Links:
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Grandville
Der Janitor