Auch auf kleineren Literaturveranstaltungen setzt man sich immer öfter mit Graphic Novels, also Comics, auseinander. Zuletzt in Hannover auf der »BuchLust«. Stefan Svik hat sich dort für CRON umgeschaut und interessante Eindrücke gewonnen.
Avant und Reprodukt vor Ort mit Stand und Künstlern
Bericht von der 19. BuchLust in Hannover
STREIFLICHTER VON STEFAN SVIK
Comic Salon Erlangen, Buchmesse Frankfurt, Buchlust Hannover - eines von diesen Ereignissen ist anders, eines davon gehört nicht dazu?
Als Hannoveraner ist man es gewohnt, belächelt zu werden. Aber warum eigentlich? Die »BuchLust Hannover« fand am 10. und 11. November 2012 zum 19. Mal statt und bot für den fast schon symbolischen Beitrag von drei Euro für zwei Tage ein sehr schönes Programm für Bücherfreunde. Die Räumlichkeiten im Künstlerhaus Hannover, mit Kronleuchter vor (sic!) dem Gebäude, waren ebenso ansprechend und stilvoll wie auch die gesamte, sehr hochwertige, perfekt organisierte und mit günstigem Gastronomie-Angebot versehene, Veranstaltung. 23 unabhängige Verlage aus Niedersachsen und dem Gastbundesland Berlin stellten ihre Verlagsprogramme vor und es gab ein halbes Dutzend Lesungen.
Aber was hat das nun mit Comics zu tun? Der Gimpel Verlag stellte Bilderbücher für Kinder vor. Edition Olms hatte, neben vielen anderen Titeln, das Sachbuch »1001 Comics« dabei (auf Nachfrage gab der Verlag bekannt, dass momentan keine weitere Comic-Sekundärliteratur geplant ist). Und natürlich waren vor allem zwei Verlage aus Berlin Gründe für Freunde der Neunten Kunst, die Messe zu besuchen: Reprodukt und der avant-verlag.
Jeder Besucher der BuchLust bekam mit seiner Eintrittskarte einen Stimmzettel, mit dem der Verlag gewählt werden konnte, der am ehesten Lust auf Bücher weckt. In einer Vitrine wurden die Gewinnerexemplare der Vorjahre ausgestellt, jeweils ein Buch, das stellvertretend für den Sieger-Verlag auslag. Wohlgemerkt: Es wurde nicht das beliebteste Buch des Jahres gewählt, sondern der, bei den Messebesuchern, beliebteste Verlag. Bislang war kein Comicverlag dabei gewesen. Und überhaupt waren Comics oder auch Graphic Novels 2012 immer noch etwas Erklärungsbedürftiges.
Sebastian Oehler am Stand von Reprodukt
Sebastian Oehler von Reprodukt war praktisch ständig im Gespräch mit Besuchern seines Standes. Mit großer Freude und Begeisterung stellte er Bücher vor, zeigte Besonderheiten der jeweiligen Titel auf, erzählte etwas über die Autoren und ließ keine Chance aus, um Interessierte für Reprodukt zu begeistern.
In einem anderen Raum waren seine Kollegen vom avant-verlag untergebracht. Mona Koch hätte sich manchmal gewünscht neben dem Reprodukt-Stand untergebracht worden zu sein, weil sie »unheimlich gerne mit Sebastian quatschen« wollte, aber auf die Platzierung der Tische hatten die Verlage offenbar keinen Einfluss, was Mona Koch auch nicht störte: »Es ist schon gut so, dass es sich etwas verteilt und die Comics zwischen den anderen Büchern unterbracht wurden«. Der Stand von avant war meist zu zweit besetzt. Am Samstag signierte und zeichnete Felix Pestemer (Der Staub der Ahnen) am Tisch, am Sonntag war Simon Schwartz (Packeis) am Stand und auch in einer Lesung.
Felix Pestemer am Stand vom avant-verlag
Anders als bei Reprodukt, waren Matthias Wendrich und Mona Koch bei der Beratung ihrer Interessenten viel zurückhaltender. Darauf angesprochen lobte Koch den Enthusiasmus und das fundierte Wissen von Sebastian Oehler, wies aber auch darauf hin, dass bei Reprodukt eben nur eine Person am Stand sei und das man bei Avant die Besucher lieber erst mal in Ruhe stöbern lassen wolle. Beide Verlage trafen vor allem auf Leser, die bislang eher wenig bis keine Comics gelesen hatten und deshalb oft überrascht waren, wie interessant dieses Medium sein kann. Bei der Signierstunde etwa zeigten sich viele Käufer von Schwartz' Buch Packeis erstaunt darüber, dass der Künstler nicht nur signierte, sondern auch noch zeichnete. »Darf ich mir da sogar wünschen, was für eine Zeichnung ich bekomme?« fragte mich eine Frau, die offensichtlich noch niemals bei einer Signierstunde in einem Comicfachgeschäft war.
Lesung mit Bilder-Show von Simon Schwartz
Vom avant-verlag erfuhr ich auf der Messe, dass der Standort Berlin und die Persönlichkeit des Verlegers wohl ein Erfolgsrezept des Verlages seien. Sowohl Reprodukt als auch Avant hatten nur einen Teil ihres Programms auf den Messe-Tischen ausgestellt. Bei Reprodukt fehlten etwa die Neuerscheinungen von Charles Burns wie Die Kolonie, weil sie laut Oehler »sich hier nicht verkaufen würden«. Stattdessen wurde vor allem auf Comics zurückgegriffen, die gerade neu erschienen waren oder eine besondere Nähe zur klassischen Literatur hatten. Oder, das allerdings nur bei Avant: Comics mit Zeichnungen und Signatur der Künstler - zweifellos ein besonderes Schmankerl für Interessierte, wie auch die Möglichkeit, direkt mit Simon Schwartz und Felix Pestemer ins Gespräch kommen zu können. Für mich als Comicleser gehörte besonders Habibi von Reprodukt zu den am edelsten verarbeiteten Büchern der gesamten Veranstaltung, das mich am meisten angesprochen hat - und das allein schon aufgrund der extrem hochwertigen Optik.
Matthias Wieland übersetzte Craig Thompsons Habibi
Am Sonntag traf ich Matthias Wieland am Reprodukt-Stand und sprach mit ihm kurz über seine Arbeit als Übersetzer, etwa von Habibi, den Simpsons und den Peanuts. Die Übersetzung von Habibi erfolgte mit drei Übersetzern und war wesentlich aufwändiger als etwa die Arbeit an den Simpsons-Comics, da im Text viele religiöse Bezüge vorkommen. Grundsätzlich sei es wichtig einen Bezug zu den Texten zu haben, die er übersetzt, »wer etwa Star Wars nicht mag, sollte auch nicht als Übersetzer für Star Wars arbeiten«, meinte Wieland. Bei den Simpsons hatte er noch zu Dino-Zeiten angefangen, als die Inhalte »eingedeutscht« wurden und statt der US-Bezüge Figuren wie Arabella Kiesbauer in der deutschen Übersetzung erwähnt wurden. »Heute ist den Lesern klar, dass Bart Simpson Thomas Gottschalk nicht kennen kann«, sagt Wieland und verweist darauf, dass sich die Lesegewohnheiten inzwischen eben verändert hätten. Für seine Arbeit als Übersetzer sei es »von Vorteil, ab und an Jay Leno und David Letterman zu schauen«, um ein Gespür für die Bezüge zum aktuellen Geschehen in den USA zu behalten. Für die Übersetzung der Peanuts sei eine Modifizierung etwa der Vorworte nach wie vor sinnvoll, einen Jonathan Franzen und Matt Groening kann man auch für die deutschen Ausgaben im Buch belassen, bei in Deutschland wenig bekannten Autoren sei es aber sinnvoller sich deutsche Künstler mit Comicbezug zu suchen, von denen es »aber leider nicht so viele gibt«, gewünscht hätte sich Wieland sehr gerne ein Vorwort von Loriot, was bedauerlicherweise nicht mehr möglich war.
Zu den Lesungen, die ich besucht habe, gehörte neben Rolf Bittermanns Berlin-Anekdoten auch Simon Schwartz Lesung. Besonders schön fand ich die Lesung der Österreicherin mit japanischen Wurzeln Milena Michiko Flašar, die aus ihrem in Japan spielenden Buch »Ich nannte ihn Krawatte« las, in dem sie die Geschichte eines Mittfünfzigers erzählt, der seine Arbeit verliert und sich mit einem anderen Außenseiter, einem jungen »Hikikomori«, anfreundet. Das Phänomen sich Konsumzwang und Leistungsdruck der Moderne zu widersetzen und sich zu Hause zu isolieren, ist in Japan so verbreitet, dass es dafür sogar ein eigenes Wort gibt. Ein starker Stoff, der in jedem Fall eine Buchempfehlung von mir ist, auch wenn es sich dabei nicht um einen Comic handelt.
In der Lesung von Simon Schwartz geschah etwas, mit dem ich aufgrund meiner Erfahrungen von den Signierstunden in Comicshops, nicht gerechnet hatte: Schwartz las tatsächlich aus seinen Comics vor. Ich hätte eher eine Gesprächsrunde oder einen Vortrag erwartet, so wie ihn Felix Pestemer dabei hatte oder wie die Termine auf der Frankfurter Buchmesse 2012 mit Achdé oder zu Michel Vaillant. Schwartz präsentierte Illustrationen für Tageszeitungen (etwa ein Bild, dass die »spätrömische Dekadenz« Deutschlands amüsant zeigt, die Außenminister Westerwelle mal beklagte) und vor allem seine beiden Comics / Graphic Novels Packeis und als Bonus sein Debüt drüben!. Erläutert wurde etwa seine Arbeitstechnik (Erst eine Bleistiftzeichnung, dann die Pinselzeichnung, danach Einscannen und zum Schluss Kolorieren am PC) und seine sprunghafte Vorgehensweise, bei der er sehr froh über seinen geduldigen Verleger ist. »An einem Tag habe ich Lust etwas aus meiner Kindheit zu zeichnen«, erzählte er und verriet, dass er nicht chronologisch an seine Geschichten herangeht, sondern so wie ihn die Muse eben gerade führt. Bei der Lesung von Packeis las Schwartz die Texte aus dem Comic und versuchte sich bei einer Szene, in der ein Sturm am Nordpol gezeigt wird, an Windgeräuschen, weil »Aisha Franz bei ihrer Lesung auch Soundeffekte hatte«, wie er schmunzelnd anmerkte und dafür Lacher aus dem Publikum erntete. Bei der Fragerunde nach der Vorstellung seiner Werke antwortete der Wahl-Hamburger auf die Frage woher er seine Ideen bekäme mit einem Zitat von Monty Pythons John Cleese: »Ich bekomme sie von Ken Levinshore, der in Swindon lebt und sie mir jeden Montagmorgen auf einer Postkarte sendet. Ich fragte ihn eines Tages, woher er seine Ideen bekäme und er antwortete, er bekäme sie von einer Dame namens Mildred Spawl. Er hat einmal Mildred Spawl danach gefragt wo sie die Ideen her hat, aber sie weigerte sich es ihm zu sagen.« Auch hierfür gab es Lacher aus dem Publikum und von Schwartz selbst.
Am Sonntag um 18 Uhr endete die BuchLust 2012 mit der Preisverleihung für den, bei den Besuchern der Ausstellung, beliebtesten Verlag. Der Gewinner kommt aus Berlin, ist ein Comicverlag und heißt avant-verlag! Zu den ersten Gratulanten gehörte Sebastian Oehler von Reprodukt. Mona Koch und Matthias Wendrich waren sichtlich gerührt und bedankten sich später auf der Webseite des avant-verlages für eine gelungene Veranstaltung, zu der sie gerne wiederkommen möchten.
Der Publikumspreis 2012 geht an den avant-verlag, verteten durch Matthias Wendrich und Mona Koch
Literaturfreunden, ganz egal ob sie sich nun für Graphic Novels und Comics interessieren, sei die Buchlust 2013 empfohlen. Es wird das 20. Jubiläum dieser Veranstaltung sein, die, um Mona Koch zu zitieren, »ziemlich das komplette Gegenteil der Frankfurter Buchmesse ist«. Gemeint ist damit, dass es sehr entspannt zuging, ohne Gedränge, aber mit sehr vielen lohnenden Highlights und ausführlicher Gelegenheit für die Besucher, sich mit den Verlagsmitarbeitern auszutauschen und neue Eindrücke mitzunehmen, etwa dem, dass Comics äußerst abwechslungsreich und literarisch wertvoll sein können und das Hannover so opulent ist, dass sogar Kronleuchter vor den Gebäuden hängen.
Fotos © Stefan Svik
Nach der Messe befragt
Kurzinterview mit Sebastian Oehler
Hat sich der Sondermann 2012 bereits positiv auf die Verkaufszahlen ausgewirkt?
Da Habibi schon vorher sehr gut lief, kann man das schwer beurteilen, bei Brigitte und der Perlenhort von Aisha Franz ist eine Wirkung des Preises kaum auszumachen.
Welche Titel kamen in Hannover besonders gut an?
Vor allem Quai d´Orsay von Abel Lanzac und Christophe Blain sowie die Bücher von Bastien Vivès.
Waren auch gezielt Comic-/Graphic Novel-Leser nach Hannover gekommen oder bestand das Publikum zum Großteil aus »Neulingen«?
Der Großteil des Publikums bestand aus Noch-Nicht-Comiclesern, unter anderem ein Grund, weshalb die Buchlust sehr viel Spaß macht.
Ist der Standort Berlin ein wichtiger Vorteil, um internationale Künstler zu gewinnen? Berlin ist sicher bekannter und gilt als »cooler« als andere Städte in Deutschland. Oder ist die Persönlichkeit des Verlegers und das hochwertige Programm das Hauptargument für Reprodukt?
Der Standort fällt nicht weiter ins Gewicht, internationale Künstler kommen ja selten direkt in den Verlag. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus unserem Programm, den anderen Autoren und der herstellerischen Qualität der Bücher.
Sind journalistische Comics ein Trend? Und sprechen sie gezielt Leser an, die sonst keine Comics lesen?
Journalistische Comics haben ja meist ein klar umrissenes Thema, das vereinfacht den Zugang zu den Büchern, gerade den von Nicht-Comiclesern. Ob es ein Trend ist? Ich glaube, es hängt eher von der Qualität der einzelnen Bücher ab.
Die Fragen stellte Stefan Svik.