In Ihrem Artikel »Der deutsche Comickomplex« in der neuen Ausgabe von ALFONZ - Der Comicreporter geht Kristina Auer der Frage nach, warum eine Laudatio während der Max und Moritz-Preisverleihung keineswegs zur Spaltung der deutschen Szene führen sollte. Was sagt Hella von Sinnen zu den Reaktionen auf ihre Laudatio zu Martina Peters' D-Manga TƎN? Alfonz und CRON präsentieren die aufschlussreichen Interviews mit Melanie Schober, Andreas Wiedemann und Hella von Sinnen, die eine Antwort auf diese und noch mehr Fragen geben.
Hella von Sinnen
im Gespräch mit ALFONZ
Die Interviews Teil 3: Hella von Sinnen (deutsche Komikerin; Moderation der Max-und-Moritz-Preisverleihungsgala seit 2010)
Hella von Sinnen: Ich hab’ dir ja mein Moderationsskript geschickt … Jetzt erklär mir doch bitte mal, was da in Erlangen passiert ist, weil ich es beim besten Willen nicht verstehe.
Kristina Auer (Alfonz): Ich versuche es mal: Also ich habe das Ganze ja auch so ein bisschen auf Facebook mitverfolgt. Da gab es eine ziemlich ausführliche Diskussion wegen der Max-und-Moritz-Preisverleihung 2014. Ich stimme dir zu: Wenn ich nur den Text gelesen hätte, den du an dem Abend vorgetragen hast, dann hätte ich ihn einfach nur lustig formuliert gefunden und mich ebenfalls über die zahlreichen negativen Reaktionen gewundert. Da ich aber an jenem Abend selbst im Publikum saß, kann ich dir sagen, dass das Hauptproblem wahrscheinlich der Tonfall war, mit dem du den Text vorgetragen hast. Hinzu kommt, dass viele deutsche Mangazeichner geradezu allergisch auf alles reagieren, was in Richtung ›pauschale Kritik‹ geht, da diese sehr oft geübt wurde und wird an den deutschen Manga. Meistens bezieht sich diese Kritik auf den Zeichenstil. Deshalb wurde wahrscheinlich dein Begriff ›Bill Kaulitz-Manga‹ auch so häufig kritisiert. Die deutschen Mangazeichner bemühen sich mittlerweile sehr um einen individuellen Zeichenstil und wollen deshalb nicht pauschal abgestempelt und in irgendeine Schublade gesteckt werden. Ein weiterer kritischer Punkt bei deinem Moderationstext ist deine Aussage, dass du »den ersten Band von TƎN nicht gelesen« hast. Auch wenn du damit die Vorgeschichte K-A-Ǝ meintest, kam das an dem Abend so rüber, als hättest du TƎN nicht gelesen oder hättest den Band bestenfalls durchgeblättert.
HvS: Wenn ich die Moderation mache für Erlangen, lese ich jeden Band, den ich bekomme, von vorne bis hinten oder von hinten bis vorne durch. So viel Respekt erweise ich jedem Künstler und jeder Künstlerin und man wird ja wohl noch Vorlieben haben dürfen …
Nun hätte ich aber wirklich gerne mit der Martina Peters an dem Abend noch mal gesprochen und mich auch wirklich entschuldigt, weil mir das nicht so bewusst war, dass ich da irgendwie Porzellan zerschmissen habe.
KA: Es gab auch Leute, die sich an der Debatte beteiligt haben und sich geradezu gefreut haben über deine Kommentare zu TƎN, da sie die so verstanden haben, dass dir dieser Comic überhaupt nicht gefällt. Dann gab es natürlich viele Leute, vor allem aus der Mangaecke, die es total schlimm fanden, auf welche Art und Weise du deine Meinung zu TƎN geäußert hast. Ich glaube, was viele als Problem sehen, ist dass du bei den anderen Comics einfach noch mehr gelobt hast. Bei den anderen hast du ganz, ganz deutlich gelobt und auch aus deiner eigenen Perspektive gelobt und bei diesem Comic hast du die Jury zitiert, was das zeichnerische und erzählerische Können der Autorin angeht. Es war nicht deine eigene Meinung. Du hast diese Meinung zitiert.
HvS: Ich habe die Meinung der Jury zu Martina Peters’ zeichnerischem Können zitieren müssen, weil ich die deutsche Mangaszene nicht kenne.
KA: Das kam aber sehr wahrscheinlich als Distanzierung rüber. Ich meine, dass du die Meinung der Jury zitiert hast, anstatt aus deiner eigenen Perspektive etwas Positives über die Zeichnungen oder die Story zu sagen. Das noch in Kombination mit der Aussage, dass du den ersten Band nicht gelesen hast und dir beim zweiten Band vor allem die Playlist gut gefallen hat, hat den Eindruck erzeugt, dass du den Comic im Grunde ganz grauenvoll fandest.
HvS: Ich habe gesagt: »Ich finde die Idee mit der Playlist als Soundtrack zu den einzelnen Kapiteln sehr gut, sehr filmisch.«
Ich habe den Comic sogar für meine Verhältnisse am Ende sehr gelobt. Es tut mir leid, wenn das falsch oder komisch rüberkam oder einfach nur als Kritik. Denn es war überhaupt gar keine Kritik. Denn ich kann mir gar kein Urteil erlauben, weil ich nicht weiß, worum es geht in der ganzen Geschichte.
Ich sitze hier nicht in Köln und sage, was ist der deutsche Manga bitte für ein überflüssiger Dreck. Das Gegenteil ist der Fall. Denn ich sehe, was die deutschen Mangazeichner für eine riesige Fangemeinde haben – die Daniela Winkler hat ja damals nicht umsonst für Grablicht den Publikumspreis bekommen – und ich bin nicht so dumm, dass ich mich überheblich über etwas lustig machen würde oder verreißen würde, was ich selber gar nicht in der Lage bin, zu können oder wirklich beurteilen zu können .
KA: Zu der ganzen Debatte gehört eine lange und komplizierte Vorgeschichte. Das versuche ich auch, in meinem Artikel deutlich zu machen. Das Problem ist, dass viele deutsche Mangazeichner aufgrund dieser Vorgeschichte einfach etwas dünnhäutig sind, wenn es um diese Art von ›Kritik‹ geht. Ich glaube die meisten haben es noch nicht einmal als Kritik, sondern schlichtweg als Abwertung empfunden.
HvS: Es war weder eine Kritik noch war es eine Abwertung. Ich habe gesagt, ich kann mit dieser Form von Ästhetik nicht so gut etwas anfangen, vor allem nicht, wenn ich nicht in die Geschichte reinkomme, wenn ich nicht weiß, worum es geht, weil ich den ersten Band nicht gelesen habe. Und dann habe ich gesagt, dass ich die Idee mit der Playlist super finde. Ich finde, mehr kann man von mir nicht verlangen.
Ich bin nicht so ein Mensch. Ich würde mich das nicht trauen. Dazu beneide ich viel zu sehr die Menschen, die wirklich zeichnen können, die allein Perspektive hinkriegen, die allein Hände malen können und Schatten malen können. Ich habe da so einen Riesenrespekt davor. Ich würde das niemals runtermachen. Aber ich muss in Erlangen sagen dürfen: »Dieser Comic hat mich geflasht und damit konnte ich jetzt nicht so viel anfangen.«
Es tut mir sehr leid, dass ich Martina Peters Gefühle ungewollt verletzt habe.
Das ist wirklich nicht mein Anliegen und das ist auch nicht meine Art. Und ich habe da auch kein Recht dazu, mich in irgendeiner Art und Weise lustig zu machen. Und wenn die deutschen Mangaka in den letzten Jahren irgendwie ein bisschen komisch, doof oder ablehnend behandelt worden sind und man mir das eventuell im Vorfeld schon mal irgendwer so erklärt hätte, dann hätte ich das vielleicht sogar zum Anlass genommen, an dieser Stelle eine Lanze zu brechen.
Ich habe aber jetzt auch schon zu Bodo Birk gesagt: Wenn ich das in zwei Jahren noch einmal moderieren sollte und dann ist wieder ein deutscher Manga dabei, dass den auf jeden Fall Christian Gasser bespricht und nicht ich.
KA: Zumindest, läufst du so keine Gefahr, dich in ein Fettnäpfchen zu setzen. Du müsstest dich dann auch nicht durch weitere deutsche Manga hindurchquälen, mit denen du ja anscheinend wirklich nichts anfangen kannst.
HvS: Ich habe immer jedes Buch gelesen. Dann treffe ich mich mit dem Christian Gasser. Dann sagt er, worüber er wirklich gerne sprechen würde. Dann waren da aber auch ein paar dabei, wo ich sagte: »Bitte, bitte mach du die. Ich kann die irgendwie nicht loben.« Bei TƎN habe ich zugestimmt, weil ich die Idee mit der Songliste so gut fand, dass ich wusste, ich kann auf der Bühne etwas Positives sagen. Deswegen habe ich gesagt: »Dann mach’ ich TƎN, weil darüber kann ich schwärmen.« Ich habe mir wirklich jedes Lied gegoogelt und das fand ich originell.
Deswegen bin ich ja auch so verletzt. Ich, Hella, ich bin wirklich richtig verletzt, dass ich dermaßen missverstanden worden bin. Weil ich mich da oben hingestellt habe und wollte wirklich etwas Positives sagen über ein Sujet, von dem ich überhaupt nicht verstanden habe, worum es geht. Und dann habe ich da aber so viel verstanden mit der Playlist und habe mir da wirklich Mühe gegeben und deswegen waren meine Gefühle auch verletzt.
KA: Wie gut, dass du mir das erzählt hast! Beim größten Teil des Publikums ist das, glaube ich, als Ironie oder als Sarkasmus angekommen, als du das gesagt hast. Die haben das nicht so verstanden …
HvS: Ich bin sehr dankbar für unser Gespräch. Denn mir läuft das jetzt nach, seitdem der Carsten Meißner an dem Abend gesagt hat, die Martina saß da und hat geweint. Seitdem läuft mir das nach, weil ich es nicht verstanden habe.
Ich fühle mich da komplett missverstanden. Das war nicht so gemeint. Das ist einfach ein so richtig beschissenes Missverständnis, das ich nicht will.
Die Arbeit für den Comic-Salon und jetzt auch für den Meißner mit Aufgezeichnet.tv ist eine der schönsten Arbeiten, die ich in meiner bisherigen Karriere machen durfte. Und auch die Mangas … auch wenn ich im Allgemeinen nichts mit denen anfangen kann, ich lese die sehr interessiert durch.
Wenn ich es so meinen würde, dann hätte ich es auch so gesagt. Da lasse ich mir auch nicht das Maul verbieten. Und wenn jetzt irgendein Flix oder ein Ralf König einen Comic machen würde, der mir gar nicht gefällt, dann werde ich das auch sagen. Man muss ja wohl noch seine Meinung sagen dürfen.
Wer bin ich, da die Fresse aufzureißen. Ich weiß schon, wer ich bin und was ich weiß und was ich nicht weiß. Never ever würde mir das in den Sinn kommen, bis auf meine kleinen ironischen Bemerkungen, die ich da mal mache mit Bill Kaulitz und selbst das ist ja irgendwo auch liebevoll gemeint, weil ich Bill Kaulitz ja irgendwie auch goldig finde.
Die weiteren Interviews zum Thema im Überblick
Teil 1: Melanie Schober (Mangazeichnerin aus Österreich; aktuelle Mangaserie Skull Party, Carlsen)
Teil 2: Andreas Wiedemann (Verlagsvertreter für den Comic- und Bahnhofsbuchhandel, Egmont)
Teil 3: Hella von Sinnen (deutsche Komikerin; Moderation der Max-und-Moritz-Preisverleihungsgala seit 2010)
Weiterführende Links:
Mehr über ALFONZ - Der Comicreporter Nr. 4/2014.
Videomitschnitt der Preisverleihung des Max-und-Moritz- Preises 2014 auf Splashcomics.de.