Der Berliner avant-verlag veröffentlichte im Frühjahr mit Die Liebesabenteuer des Monsieur Vieux Bois eine umfangreiche, gediegene Ausgabe der wichtigsten Bildergeschichten von Rodolphe Töpffer, der als europäischer Ur-Comiczeichner gilt.
Zusammengestellt hat die Sammlung der renommierte deutsche Comiczeichner Simon Schwartz, der im CRON-Interview über das Projekt und die damit einhergehende Ausstellung Auskunft gibt.
»Es funkelt alles von Talent und Geist!« Goethe über Rodolphe Toepffer
Die Wiederentdeckung des Urvaters europäischer Comics
Interview mit Simon Schwartz
Welcher Comiczeichner kann schon von sich sagen, dass zu seinem Lesern nicht nur Johann Wolfgang von Goethe gehörte, sondern das dieser Goethe auch noch begeistert war, von dem, was er goutiert hat? Über Rodolphe Toepffers Bildergeschichten soll Goethe geurteilt haben: »Es ist wirklich zu toll! Es funkelt alles von Talent und Geist! Einige Blätter sind ganz unübertrefflich!«
Drei von Toepffers besten Geschichten, nämlich »Die Liebesabenteuer des Monsieur Vieux Bois«, »Monsieur Pencil« und »Die Geschichte des Monsieur Cryptogame« wurden von Simon Schwarz (Packeis) zu einem schön edierten Sammelband zusammengestellt und mit einem umfangreichen und informativen Vorwort versehen.
CRON fragt. Simon Schwartz antwortet.
Der Redakteur und Künstler im Interview
Simon, das Jahr 2016 begann mit einem Projekt, welches sicher viel Herzblut gekostet hat. Du hast den guten alten Rodolphe Töpffer aus der Versenkung geholt und für die heutige Zeit aufbereitet. Wie bist Du zum ersten Mal mit Töpffers Bildergeschichten in Berührung gekommen?
Bereits während meines Illustrationsstudiums hatte ich immer wieder von Rodolphe Töpffer gehört. Aber selbst gelesen habe ich Töpffers Geschichten lange nicht — bis mir vor einigen Jahre eine alte Taschenbuchausgabe mit mehreren seiner Comics in die Hände fiel. Man hatte darin Töpffers Zeichnungen um mehr als die Hälfte verkleinert und seine elegante Handschrift durch eine fette, ungelenk gesetzte Druckschrift ersetzt. Um überhaupt Details erkennen zu können, braucht man fast eine Lupe.
Die Brillanz und Eleganz seiner Zeichnungen sowie die aberwitzigen Einfälle seiner Geschichten konnte jedoch nicht einmal diese unbefriedigende Edition verbergen. Ich war sofort begeistert von der unglaublichen Fabulierfreude, Albernheit, Energie und Modernität. Alles an seinen Zeichnungen ist frisch und wie »im Moment«. Kein Staub von fast 200 Jahren!
Und wann wurde der Entschluss gefasst, dieses Buch mit dem avant-verlag zu machen?
Direkt im Anschluss an meine Lektüre rief ich Johann Ulrich an und fragte, ob ich bei avant als Herausgeber Töpffers Comics neuverlegen könnte. Bis zum finalen Buch war es aber noch ein langer Weg. Ich habe sehr viele historische Buchausgaben gesichtet, gescannt und digital aufbereitet. Teilweise finden sich in den alten Drucken Fussel und Dreck von hunderten Jahren.
Diese neue Ausgabe zeigt Töpffers Werk in der bestmöglichen Qualität. Zusätzlich habe ich mir natürlich viel über Töpffer, sein Werk und seine Zeit angelesen, um die umfassende Einführung in sein Werk zu schreiben, die den Band begleitet. Der Rest des Buchs sind drei meiner persönlichen Lieblingscomics von Rodolphe Töpffer.
Wer bzw. welche Zielgruppe sollte sich das Buch auf jeden Fall einmal näher anschauen?
Ich denke die Zielgruppe ist sehr breit gefächert. Vom klassischen Comicnerd, zum Graphic-Novel-Hipster bis Lesern, die noch wenig bis keine Erfahrungen mit dem Medium Comic haben. Töpffer ist auch heute noch unglaublich gut lesbar und nimmt formal sogar einige Ideen des modernen Manga vorweg. Grundsätzlich dürfen Rodolphe Töpffers Geschichten in keiner erstzunehmenden Comicsammlung fehlen.
Simon Schwartz trifft auf Monsieur Cryptogame: die Töpffer-Ausstellung in Wiedensahl
Es gibt auch eine Ausstellung, die seit März im Wilhelm-Busch-Geburtshaus läuft. Wie kam es dazu und wie zufrieden bis zu mit dem Ergebnis?
Das Wilhelm-Busch-Geburtshaus in Wiedensahl hat hier eine wirklich großartige kleine Ausstellung auf die Beine gestellt. Anfang 2017 wird sie auch noch einmal im Erika-Fuchs-Haus in Schwarzbach a. d. Saale zusehen sein.
Die Ausstellung orientiert sich an dem neuen Buch, legt aber auch einen Schwerpunkt auf Töpffers spannende Publikationsgeschichte. Der Künstler ist schon zu Lebzeiten kopiert worden. Andere Zeichner haben seine Geschichten nachgezeichnet und unter seinem Namen verkauft. Und bis heute gilt: Nicht bei allem wo Töpffer draufsteht ist auch Töpffer drin. Deshalb ist dieses neue Buch so wichtig!
Rodolphe Töpffer Ausstellung 2016 im Wilhelm-Busch-Geburtshaus
Deine letzte große Graphic Novel, Packeis, ist vor vier Jahren erschienen. Die Sammlung Vita Obscura, mit den Comicstrips aus der Zeitung Der Freitag, ist auch schon eine Weile her. An was arbeitest Du gerade?
Aktuell arbeite ich an einer neuen Graphic Novel mit dem Titel IKON. Das Projekt ist einer der Finalisten beim Comicbuchpreis der Berthold-Leibinger-Stiftung und soll 2017 erscheinen. Das Buch wird am Ende vermutlich noch umfangreicher als Packeis. Mehr sei aber noch nicht verraten.
Wirst Du in Erlangen auf dem Comic-Salon sein oder gibt es sonstige Termine wie Lesungen, auf denen man Dich in der nächsten Zeit treffen kann?
Ich bin auf jeden Fall in Erlangen und werde dort voraussichtlich aus meiner Comicbiographie über Erika Fuchs lesen. Der Comic ist ursprünglich für die Dauerausstellung des Erika-Fuchs-Haus‘ entwickelt worden und kann eigentlich auch nur dort gesehen und gekauft werden – aber für Erlangen machen wir eine kleine Ausnahme.
Die Fragen stellte Matthias Hofmann
Abbildungen © 2016 avant-verlag, Fotos © 2016 Darjush Davar
Weiterführende Links:
Ausstellung in Wiedensahl: Die Bild-Geschichten des Rodolphe Töpffer (13.03.16 - 28.08.16)
Verlagshomepage: avant-verlag
Produktseite: Rodolphe Töpffer, Die Liebesabenteuer des Monsieur Vieux Bois