Für ihre Programmankündigung Winter 2016/2017 hat es sich der Bielefelder Splitter Verlag wieder nicht nehmen lassen, die Fans eine ganze Woche auf die Folter zu spannen. In einem weiteren, fast schon legendären »Vorhang« wurden jeden Tag die geplanten Novitäten der Erscheinungsmonate November 2016 bis April 2017 angekündigt. Gerade ging die Aktion zu Ende, da haben wir Horst Gotta mit Fragen zum laufenden und kommenden Programm löchern dürfen.
Der Splitter-Verlag im Jubiläumsjahr
CRON fragt. Horst Gotta antwortet.
Irgendwann wurde von einem von euch bei Splitter der Begriff des »Echtzeit-Verlages« geprägt, der ausdrücken soll, dass bei euch Planung, Produktion und Auslieferung neuer Titel direkt und in Echtzeit ablaufen. Dieses Phänomen scheint sich zu verstärken: Zwischen der ersten Info zum neuen Programm an uns und eurem Start des Vorhangs lagen nur zwei Tage! Wie macht ihr das? Und warum?
Echtzeit bezog sich nicht auf unsere Planungen. Echtzeit ist aber schon seit vielen Jahren der tägliche praktische Ablauf. Die Bücher werden monatlich direkt vor Drucktermin gefertigt, die Aktionen, die anstehen, werden kurz vor den Events und Messen fertig. Das ist das »Opfer«, das die Einhaltung aller Termine fordert. Der Vorteil überwiegt jedoch und wird von unseren Leserinnen und Lesern besonders geschätzt: die Verlässlichkeit und Aktualität der Bücher und deren Inhalte.
Aber du sprichst eigentlich etwas ganz anderes an, nämlich dass wir den Vorhang so kurzfristig und ohne längere Vorankündigung starteten. Nun, das war schon eine Notlösung, denn wir wurden wieder einmal durch andere Zusammenhänge unter Zeitdruck gesetzt und auch im Verlauf der Präsentation schon wieder »geleakt«. Das wird von Jahr zu Jahr komplexer. Vielleicht müssen wir auch irgendwann irgendwo mal etwas zurückstecken, um berechenbarer zu bleiben. Die Koordination außerhalb der reinen Produktschiene wird immer stärker zur Herausforderung der Zukunft. Schaun mer mal! ;)
Die neuen Bände der auf einem Computerspiel basierenden Serie Assassin's Creed sind der Aufmacher eurer Vorschau für den Buch- und Comicfachhandel. Ist das so etwas wie ein Türöffner für den Buchhandel?
Ein Türöffner im Sinne von Popularität – ja! Aber ganz sicher nicht in vorrangiger Konzentration auf den Buchhandel. Assassin's Creed ist von der direkten Leseransprache her ein Spitzentitel und die Comicserie überzeugt durch ein überaus stringentes Konzept. Solch populäre Titel nehmen wir übrigens schon lange ins Programm auf. Wir schauen schon seit Jahren verstärkt auf Titel, deren Bekanntheitsgrad an die Spiele-, Kino- oder auch Belletristikwelt andockt, bspw. die Spieleadaption »Paradise«, Stephen Kings Der Dunkle Turm, Alice im Wunderland oder unsere erste Eigenproduktion Das Wolkenvolk nach den Romanen Kai Meyers. Auch zu Assassin's Creed haben wir zuvor ja bereits die sechsbändige französische Albenserie von Eric Corbeyran veröffentlicht.
Auffällig ist, dass im neuen Programm viele Serien fortgesetzt werden und es nur wenige Neustarts gibt. Während ihr also versucht, bei laufenden Serien möglichst zeitnah an der Originalveröffentlichung zu sein, fehlt den Fans der Wow-Effekt von Neustarts früherer Programmankündigungen ...
Was wir schon seit Jahresbeginn sagen: Der jetzt vorgestellte Katalog 2016/2017 wird von Fortsetzungen und Abschlüssen geprägt sein. Das ist »systembedingt«. Da wir in Jahresfrist 68 Neustarts (bzw. Nummer 1 Alben und viele davon Serien) hatten, ergibt sich daraus der Sachzwang der Fortführung. Würden wir das Programm nicht in Halbjahreskataloge splitten, fiele der Unterschied in den Zahlen wahrscheinlich geringer aus. Oder anders herum formuliert: Es ist sehr, sehr wahrscheinlich, dass der nächste Katalog (»systembedingt« :D) wieder mehr Neustarts enthält.
Mit Murena und neuerdings Durango, Samurai und Die Opalwälder habt ihr Serien des ehemaligen Verlags Kult Editionen übernommen. Was ist noch aus dem ehemaligen Portfolio von Kult zu erwarten?
Im laufenden Katalog lag der Schwerpunkt auf Ex-Epsilon, im aktuell vorgestellten liegt er bei Ex-Kult-Editionen, im kommenden Katalog wird sich beides nicht wiederholen. Es gibt auch andere Verlage, mit anderen »Kult-Editionen Plänen«, und ich vermute, die werden dann sicher mehr Spuren hinterlassen. Stichwort Kult-Comics und Erko. Manches davon ist von uns nicht so gewollt – manchmal müssen wir halt auch nur zuschauen. Aber das ist o.k. so! :)
Ebenfalls neu dabei ist das Taschenbuch-Label »Minisplitt« mit dem ersten Titel Nimona. Das sieht auf den ersten Blick aus wie der Versuch, in der Sparte Graphic Novel (und damit in den Buchhandel) einen weiteren Fuß in die Tür zu bekommen. Durch das völlig neue Konzept für Splitter-Verhältnisse (Softcover!) könnte man es allerdings auch als Griff nach völlig neuen Lesergruppen verstehen. Was ist richtig?
Minisplitt ist eine Mischung aus Ideen und aus Anforderungen. Das äußere Format haben wir gewählt, um überhaupt ein Produkt in den Händen zu halten, mit dem wir alle Märkte bespielen können. Die gewohnt hochwertigen Hardcover-Alben lassen Dinge wie Remissionsrechte und lange Zahlungsziele kalkulativ nicht zu. Dabei muss man wissen, dass der »weiter entfernte« Kunde fast immer auch derjenige ist, der mehr kostet - also weniger Gewinn zulässt. Nicht ohne Grund sind z. B. die meisten Mangas in der Ausstattung am »unteren Ende« der Buchproduktion angesiedelt.
Aufgrund der Übernahme von Serien, die bereits von anderen Verlagen mehr oder weniger vorbildlich in Deutschland herausgebracht wurden, bringt ihr sowohl Gesamtausgaben wie nachfolgende Einzelbände derselben Reihen. Führt das langfristig nicht zu einem Durcheinander innerhalb eurer Backlist?
Wir wollen jeden Leser zufriedenstellen. Denjenigen, der bei Splitter neu einsteigt, genauso wie denjenigen, der vielleicht manche Serie nur fortgeführt haben möchte. Dabei belasten wir uns lieber selbst als den Leser. Aber wir glauben, dass sich das lohnt, weil wir nur so ein wachsendes Publikum erreichen. Wenn nun in der Backlist dafür manche Titel doppelt stehen bzw. sich vielleicht zwei Ausgaben gegenseitig die Verkaufsmengen torpedieren, dann ist das nicht wirklich problematisch, weil es unserer Philosophie entspricht und gleichzeitig bezahlbar bleibt. So haben wir auch schon in der Vergangenheit den Sonderalben gleichzeitig unlimitierte und günstigere Standardalben zur Seite gestellt. Wenn wir das lassen würden, wäre es etwas einfacher Geld zu verdienen, aber es funktioniert auch so ... und das ist das Wichtige.
Apropos Backlist: Steht nach wie vor euer Versprechen, alle Titel ständig verfügbar zu halten?
Wie ich schon oft schrieb: Seit ca. fünf Jahren ist unsere Backlist im Umsatz größer als unsere Erstauslieferungen. Würden wir hier etwas ändern, müsste Splitter systembedingt schrumpfen, da auch die Erstauslieferungen tendenziell langsamer laufen. Warum also sollten wir daran etwas ändern? Solange die Lizenzgeber mit uns diese langen Laufzeiten tragen, sehe ich auch in Zukunft kein Problem. Und es steht die Frage im Raum: Warum sollten sie daran etwas ändern? Wer glaubt wirklich, dass »nach Splitter« jemand genau dieses Programm noch einmal in genau dieser Form und Größe auflegt? Ich glaube, auch für viele der von uns verlegten Alben gilt, dass dies ihre letzter »Run« auf dem deutschen Markt sein wird.
Die Backlist ist außerdem so etwas wie der Schatz von Splitter. Es war über die vergangenen Jahre sicher viel schwieriger diese Backlist aufzubauen, als sie aktuell auf Bestand zu halten und zu pflegen. Interessant dabei: Sollte es irgendwann in Zukunft im deutschen Markt einen generellen Rückgang der Erstverkäufe geben, dann würde natürlich auch Splitter das aktuelle Neuheiten-Programm »absenken«. Aber für den Verlag entstünde hier erst einmal kein gravierendes Existenz-Problem. Die Backlist reduziert das Neuheiten-Risiko.
Stichwort Gesamtausgabe: Im Falle der Schlümpfe bringt ihr sogar gleichzeitig zu einer bei euch laufenden Serie in Einzelbänden eine Kompaktausgabe für den Sammler. Ist das eine Ausnahme oder können sich eure Leser auf weitere solcher »Übernahmen« einstellen?
Die Schlümpfe sind immer ein Sonderfall. Diese »hochwertige« Lizenz wird schon allein von Seiten des Lizenzgebers für mehr Ausgaben als »nur« Standardalben eingeplant. Aus der Schlümpfe-Kompaktausgabe leitet sich also keine neue Idee ab, die automatisch das Gesamtprogramm betrifft.
Aber es können durchaus »partiell« auch mal Gesamtausgaben von zuvor erschienen Standardalben sinnvoll sein. Wir haben jetzt manche Serien (zumindest deren jeweilige Nummer 1) seit zehn Jahren konstant auf dem Markt. Der Kunde, der in diesen zehn Jahren nicht zugriff, wartet vielleicht auf eine andere Buchform, die er vorrangig kauft.
Aber ich würde keinem Liebhaber einer unserer Serie dazu raten, auf »seine« Gesamtausgabe zu warten, denn worin sollte der Sinn bestehen, zehn Jahre zu warten, um dann zu erfahren, dass es seine Gesamtausgabe nicht geben wird ... und vielleicht sogar diese Alben zu diesem Termin dann auch noch auslaufen werden? Es wäre imho ein schlechter Tipp, hier so zu kalkulieren.
Außerdem – man bedenke! Wenn wir deswegen die Alben schlecht verkaufen, wird es eh keine Gesamtausgabe geben! :D ;)
Mit Liebe deinen Nächsten von Gaby von Borstel und Peter Eickmeyer kündigt ihr bereits jetzt die »Graphic Novel des Jahres« an. Da der Band für April 2017 geplant ist, eine gewagte Behauptung. ;o) Was macht den Band so einzigartig?
Die Marketing-Begeisterung bezieht sich natürlich stets nur auf unser Halbjahresprogramm, und »Graphic Novel des Halbjahres« klingt nun mal auch nur halb so schön. ;)
Schon Im Westen nichts Neues hat gezeigt, dass Gaby und Peter sehr konsequent und stringent agierende Künstler sind. Das heißt: Sie konzentrieren sich stark darauf, dass ihr Werk nicht nur ein weiterer Comic ist, sondern versuchen der Werkidee und der Umsetzung die maximale Qualität und Inspiration mitzugeben. Bei dem aktuellen Projekt Liebe deinen Nächsten verbindet sich ein jahrelang tief gehegter Wunsch, einen journalistischen Erfahrungscomic direkt vor Ort zu erschaffen, mit den derzeitigen fürchterlichen politischen Entwicklungen in Europa. Gaby und Peter gehen dazu auf ein Flüchtlingsrettungsschiff, um reale Geschichten und Impressionen so nah wie möglich einzufangen, also dem Werk Authentizität zu verleihen. Es handelt sich um die Rettungsaktionen der NGO SOS Méditerranée im Mittelmeer. Gaby und Peter waren zuvor schon in lokale Flüchtlingsinitiativen involviert und wollten ihre Arbeit als Comickünstler dazu nutzen, im Rahmen dieser Möglichkeiten der Arbeit der SOS Méditerranée ein Maximum an Aufmerksamkeit zuteil kommen zu lassen. Teile des Erlöses des Buchs gehen auch direkt an die Organisation. Auch wurde ein Blog zum Projekt eingerichtet, auf dem sie direkt vor Ort berichten (https://liebedeinennaechstenblog.wordpress.com/). Aber lassen wir die Autoren doch direkt selbst erzählen: https://www.youtube.com/watch?v=_Dtjjc4tQW0 :)
Das Leo-Universum wird bei euch um seine Serie Ferne Welten erweitert. Wie seid ihr bislang mit der Resonanz und dem Verkauf seiner Reihen zufrieden?
Leo startete (übrigens genauso wie Dan Cooper) überdurchschnittlich rein. Vielleicht generiert die jahrelang aufgebaute Wartesituation einen gewissen Druck? Wir sind mit den Zahlen sehr zufrieden.
Die niederländische Funny-Serie Agent 327 gilt als Klassiker des Genres, ist aber zugleich auch vom Storm-Szenaristen Martin Lodewijk gestaltet. Ist das also Autorenpflege für euch, oder kommt da noch mehr aus Holland, etwa von Daan Jippes, Henk Kuijpers & Co.?
Zuerst einmal konzentrieren wir uns auf Martin Lodewijk, der sein Funny-Lebenswerk auffrischen möchte. Ob dies – neben dem Digitalisieren – auch eine Restauration und eine Making-of-Strecke beinhaltet, weiß zurzeit wohl niemand so genau. Wir sind gespannt und warten den Input aus den Niederlanden ab.
Mit diesem Programm geht das 10-Jahre-Jubiläumsjahr für Splitter zu Ende. Was waren für euch bislang die Highlights?
Derzeitiger Spitzenreiter ist der Don-Lawrence-Skizzenband, der nach gerade mal vier Wochen als erster Titel der Reihe ausverkauft war. Aber: In dem Moment, in dem ich das schreibe, sind gerade mal vier Jubiläumstitel erschienen und ist gerade mal Halbzeit in der Jahresproduktion erreicht. Das wären also nicht einmal Halbjahres-Highlights. Stell mir diese Frage bitte noch einmal am Jahresende! ;)
Noch offen sind die beiden angekündigten, aber schon sehnlichst erwarteten Jubiläumsausgaben. Könnt ihr dazu schon Einzelheiten verraten?
Leider nein. Aber ein geplanter »ganz großer« Jahresabschluss-Weihnachtsknaller (ganz groß kann man wörtlich nehmen) hat leider nicht geklappt. Die letzten drei Jahresausgaben kommunizieren wir auch noch nicht ... Das Interview geht hier über den gerade gelüfteten Vorhang – erst im Herbst ist wieder »Jubiläum« angesagt! ;)
Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin gutes Gelingen und Erfolg bei der Zusammenstellung weiterer schöner Comicprogramme!
Die Fragen stellte Volker Hamann.
Abbildungen © Splitter
Weiterführende Links:
Homepage des »gelüfteten Vorhangs«
Homepage des Verlags: Splitter Verlag