INTERVIEW
Mädchencomic, das unbekannte Wesen:
»Comic Girls« bei Tokyopop
Im Gespräch mit Elke Benesch
Als am 1. Gratis-Comic-Tag im Mai 2010 der Manga-Verlag Tokyopop den Titel Lou! veröffentlichte, war die Überraschung groß. Das bonbonfarbige Heftchen kam nicht aus Japan, sondern aus dem Hause Glénat und entpuppte sich als französischer Comic für junge Mädchen. Und war obendrein nicht nur witzig gezeichnet, sondern auch inhaltlich richtig gut.
Deutschland ist für Mädchencomics ein spezielles Pflaster. Die Zielgruppe liest Manga oder Disney, oder auch Titel, wie den Pferdeklassiker Wendy. Geht man in die Buchhandlungen, wird das Angebot noch dünner. Eine Marktlücke, möchte man meinen, wenn da nicht die Schwierigkeit wäre, dass der Boden nicht bestellt ist, sondern erst noch intensiv beackert und gedüngt werden muss.
Im Herbst 2010 startete Tokyopop mit drei Titeln. Flankiert wurden die neuen Farb-Hardcover im Kleinformat mit einer gut gestalteten 16-seitigen Hochglanzbroschüre und viel Leseproben. Doch die Resonanz aus dem Handel war verhalten. Zu Unrecht, denn die Comics sind wirklich einen zweiten und dritten Blick wert.
Bei einer Stippvisite in der Comicstadt Hamburg besuchte Matthias Hofmann für den COMIC REPORT Tokyopop und stellte der zuständigen Redakteurin Elke Benesch ein paar Fragen.
COMIC REPORT: TOKYOPOP ist vornehmlich als Manga-Verlag bekannt. Wie kam es zu der Entscheidung, neben Manga eine neue Schiene mit französischen Comics aufzubauen?
Elke Benesch: In Japan werden die Mädchenmagazine, in denen viele der Manga, die wir veröffentlichen, ursprünglich erscheinen, schon von Zehn- bis Elfjährigen gelesen werden. Unsere Stammleser in Deutschland sind allerdings älter, und wir wollten Themen suchen, die auch für die jüngeren Leser interessant sind. Da die französischen Comics im Vergleich zu den Manga nicht ganz so fremd erscheinen, haben wir uns dazu entschieden, mit diesen unter dem Namen »Comic Girls« einen Neustart zu versuchen, und hoffen, dadurch vielleicht die etwas jüngere Zielgruppe zu erreichen. Deswegen haben wir diese drei Titel bislang lizensiert: Lou!, Sybil, die Taschenfee sowie Ernest & Rebecca. Wir hoffen, dass sich diese Titel langsam, aber sicher, am Markt durchsetzen und wir auch die jüngeren Mädchen für solche Themen begeistern können.
Du hast gerade die Bezeichnung »Comic Girls« erwähnt, aber ein richtiges Imprint oder Label verbirgt sich dahinter nicht?
Es ist kein richtiges Label, eher ein Segment im Programm. Die Bücher laufen unter TOKYOPOP.
Ihr wollt keine bewusste Abgrenzung? Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man aber schon meinen, dass sich hinter den Titeln »Manga« verstecken, wenn man nur mal die großen Kulleraugen sieht.
Ja, keine Abgrenzung, denn wir hoffen, dass auch die Manga-Leser auch mal über den Tellerrand blicken und sich für diese französischen Comics zu interessieren beginnen.
Nach welchen Kriterien wurden genau die drei Serien ausgewählt?
Wir haben eigentlich schon immer nach neuen Stoffen gesucht. Gerade mit Lou! haben wir uns in der Vergangenheit intensiver auseinandergesetzt und uns gefragt: »Wie können wir das machen?« In Frankreich ist die Serie ein ziemlich großer Erfolg. Aus diesem Grund haben wir uns auch dazu entschieden, mit Lou! zu starten. Wir haben die beiden anderen Serien dazugenommen, um inhaltlich noch andere Farben mit hereinzubringen. Außerdem ist Lou! von allen drei Reihen eher auch für die etwas älteren Mädchen gedacht, weil die Heldin Lou im Laufe der Serie heranwächst und sich entwickelt. Ernest & Rebecca ist eher für jüngere Mädchen, weil Rebecca erst sechs Jahre alt ist. Und Sybil liegt altersmäßig dazwischen.
Drei Titel müssten es schon sein, wenn man so was etabliert. Eine Serie wäre definitiv zu wenig.
Ja. Und wir haben relativ rasch an die in Frankreich bereits erschienenen Bände aufgeschlossen, das heißt, die Veröffentlichungsabstände zwischen den Alben werden automatisch größer. Deswegen müssen wir mehrere Serien anbieten, damit sich diese am Markt durchsetzen. Ganz aktuell kann bekannt gegeben werden, dass ein vierter Titel dazu kommt. Er wird im Herbst/Winter-Programm starten und ist besonders für Schwestern gedacht.
Wir wissen, dass wir mit den »Comic Girls« einen längeren Atem haben müssen. Wir haben auch besondere Werbeaktionen durchgeführt, unter anderem haben wir kostenlose Leseproben von Ernest & Rebecca an Kinderärzte verteilt, da sich dies thematisch angeboten hat
Kannst Du kurz beschreiben, was diese Mädchencomics ausmacht?
Bei Lou! und Ernest & Rebecca werden Alltagsthemen und Probleme auf eine sehr verständliche und vor allem auch humorvolle Art dargestellt. Sybil ist mehr im Stile von W.I.T.C.H. und WINX, denn die Freundschaft zu einer Fee bringt viele Fantasy-Elemente mit sich.
Wer ist die eigentliche Zielgruppe für diese Comics?
Generell gesagt für Mädchen ab 8 bis 10 Jahren. Und natürlich deren Mütter, die diese Comics sehen und sich von ihrer Qualität überzeugen lassen.
Wie ist die Resonanz auf die bisherigen Titel, aus dem Buchhandel bzw. Comicfachhandel?
Wer sich damit beschäftigt, ist davon begeistert. Es gab auch sehr viel positive Resonanz in der allgemeinen Presse. Auf der anderen Seite ist natürlich noch viel Arbeit nötig, um dieser Zielgruppe deutlich zu machen, dass es nun auch endlich im Buch- und Comichandel interessante Stoffe für sie gibt. Und der Buchhandel wird hoffentlich zusammen mit uns begreifen, dass sich hier ein sehr großes Potenzial erschließen lässt, wenn man sich auch vor Ort für das Thema einsetzt.
Alleine der Unterschied, dass die »Comic Girls«-Titel farbig sind und nicht wie Manga schwarz-weiß, ist noch nicht überall angekommen.
Ja, hier müssen wir noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten. Doch wir sind überzeugt, dass Leser von den Stoffen begeistert sein werden, wenn sich die Qualität herumgesprochen hat. Wir haben viele Reaktionen von jungen Leserinnen, die sehr von den Serien angetan waren.
Sind in diesem Segment auch Titel von deutschen Zeichnern möglich?
Mir sind bislang keine deutschen Zeichner bekannt, die in der Art und Weise zeichnen. Wenn es sie gäbe, wäre es prinzipiell möglich. Wir hatten auch andere Themen aus Frankreich angeschaut, aber vieles ist zu sehr auf Frankreich gemünzt, sodass es sehr schwierig ist, es in Deutschland zu vermarkten.
Wie heißt der vierte Titel, der starten soll?
Die Serie heißt im Original Les Sisters und wird bei uns Hey, Schwester! heißen. Start ist im Dezember 2011. In Frankreich sind bereits fünf Alben erschienen. Ein weiterer Titel ist in Arbeit. Wir wollen da dranbleiben!
Vielen Dank, Elke, für das Gespräch!
Weiterführender Link:
Leseproben zu allen Titel gibt es auf der Homepage des Verlags.
Comic Girls
Bisher sind in diesem Bereich folgende Titel erschienen und lieferbar:
LOU!
Text/Zeichnungen: Julien Neel
HC | farbig | je 48 Seiten | je €9,95
Band 1: ISBN 978-3-86719-954-4
Band 2: ISBN 978-3-86719-955-1
Band 3: ISBN 978-3-86719-956-8
Band 4:ISBN 978-3-86719-957-5
ERNEST & REBECCA
Text: Guillaume Bianco, Zeichnungen: Antonello Dalena
HC | farbig | je 48 Seiten | je €9,95
Band 1: ISBN 978-3-8420-0029-2
Band 2:ISBN 978-3-8420-0030-8
SYBIL – DIE TASCHENFEE
Text: Michel Rodrigue, Zeichnungen: Antonello Dalena, Manuela Razzi
HC | farbig | je 48 Seiten | je €9,95
Band 1: ISBN 978-3-8420-0032-2
Band 2:ISBN 978-3-8420-0033-9