Das Gros der »Generation Lehning« ist gestorben oder dabei, ins betreute Wohnen umzuziehen. Die Zeit der großen Komplettsammler mit ihren Suchlisten scheint vorbei. Heute liest und sammelt man die Comics, die einem gefallen. Für nostalgische Erinnerungen gibt es mustergültige Gesamtausgaben. Nur der Comicpreiskatalog hat sich kaum verändert. Wirklich relevant ist er schon länger nicht mehr. Wie ist diese Entwicklung zu stoppen?
MEINUNG
Der Comicpreiskatalog schafft sich ab
Ist das einstmals wichtige Sekundärwerk noch zu retten?
Das Gros der »Generation Lehning« ist gestorben oder dabei, ins betreute Wohnen umzuziehen. Die Zeit der großen Komplettsammler mit ihren Suchlisten scheint vorbei. Heute liest und sammelt man die Comics, die einem gefallen. Für nostalgische Erinnerungen gibt es mustergültige Gesamtausgaben. Nur der Comicpreiskatalog hat sich kaum verändert. Wirklich relevant ist er schon länger nicht mehr. Wie ist diese Entwicklung zu stoppen?
Es ist eine große Tradition: Gegen Ende des Jahres, spätestens zur Kölner Comicbörse am ersten Samstag im November, erscheint ein neuer Allgemeiner Comicpreiskatalog. Zwar gab es diesen November kein Comicsammlertreffen in Köln und die Börse heißt seit einigen Jahren sowieso Comicmesse, aber das ist eine andere Geschichte. Dennoch: Der Preiskatalog ist da. Pünktlich, wie damals unter Norbert Hethke, als dieses voluminöse, mit Text und Zahlen vollgestopfte Buch noch das unentbehrliche Werkzeug für Käufer und Verkäufer, für Comicsammler und Comichändler war.
Der neue Katalog von 2023 ist inzwischen die 48. Ausgabe. Damit hat das aktuelle Herausgeberduo, Stefan Riedl und Maximilian Moj, seinen achten Preiskatalog vorgelegt und den Vorgänger Günther Polland überholt, der insgesamt sieben Ausgaben produziert hat. Ich bin ehrlich: Das hätte ich nicht gedacht, denn die Zeiten von Norbert Hethke und Peter Skodzik, die den Preiskatalog über Jahrzehnte geprägt haben, sind längst passé. Für mich war der Preiskatalog schon 2016, als Stefan Riedl ihn übernommen hat, ein Auslaufmodell. Aber Totgesagte leben bekanntlich länger. Denn der Preiskatalog ist nicht nur irgendeine Sekundärpublikation mit viel Geschichte, sondern es hängt – auch heute noch – eine besondere Nische der Comicbranche daran: die Comicjäger und -sammler.
Titelbild der Softcover-Ausgabe
Die Gruppe der gemeinen Comicsammler ist eine kaufkräftige Klientel, die historisch gewachsen ist. Aus den Jüngelchen, die von den 1950er bis 1990er Jahren in ihrer Kindheit kein Internet hatten, sich stattdessen mit Comics beschäftigten und unterhielten, sind längst alte Männer geworden, die durchaus bereit sind, viel Geld zu bezahlen, wenn es um ihre Kindheitserinnerungen und ihre Leidenschaft für die Neunte Kunst geht. Allerdings ist inzwischen die erste Sammlergeneration, die sogenannte »Generation Lehning«, die mit Hansrudi-Wäscher-Helden wie Sigurd, Nick oder Tibor aufgewachsen ist, so alt, dass jedes Jahr ein paar mehr das Zeitliche segnen oder andere Sorgen haben als ihre Sammlung. Dadurch kommen mehr und mehr Comicsammlungen auf den Markt, mitunter auch nur, weil man hofft, damit seine Rente aufbessern zu können.
Die Zahl der traditionellen Comicsammler schrumpft also. Und nicht nur die, denn es gibt auch weniger Comichändler. Viele der Namen, die unter Hethke und Skodzik an der Preisfindung beteiligt waren, tauchen im aktuellen Preiskatalog nicht mehr auf. Sie sind entweder zu alt, nicht mehr aktiv oder schlicht tot. Die neuste Liste der Comicläden ist erschreckend kurz. Nur noch 16 Comichändler sind aufgeführt. Natürlich gibt es nicht mehr so viele Comicshops wie noch vor 20 oder 30 Jahren, aber dass so wenig Adressen zu finden sind, spiegelt das geringe Interesse der Szene wider. Für jeden Comicladen oder Onlinehändler, der fehlt, ist der Preiskatalog aus irgendeinem Grund nicht relevant. Man verspricht sich von der Präsenz dort nichts oder handelt meist auch nicht mit antiquarischen Comics.
Was kann man also machen, um dem Trend von schrumpfender Auflage, sinkender Relevanz und zunehmendem Desinteresse von Comiclesern und -sammlern entgegenzuwirken?
Man muss das Image des Preiskatalogs aufpolieren, den Inhalt modernisieren und seine Form flott machen für die Zukunft. Das ist natürlich leichter gesagt als getan.
Titelbild der Hardcover-Ausgabe
Nehmen wir den Inhalt. Seit Riedl und Moj den Katalog herausgeben, hat sich durchaus ein bisschen was getan. Es kam mehr Farbe ins Spiel. Inhalte wurden behutsam umstrukturiert. Es werden weiterhin, wie schon unter Polland, Sekundärbeiträge hineingenommen. Für den neuen Katalog wurden erstmals Comics und Manga getrennt. Durch die separate Auflistung der japanischen Comics verspricht man sich einen größeren Zuspruch aus der Mangaszene. Der Mangamarkt hat mit seinen Rekordumsätzen in den letzten Jahren den Comicmarkt überflügelt. Nachdem es inzwischen drei Generationen von Mangalesern in Deutschland gibt, existieren auch hier vergriffene Titel, die von Sammlern heiß begehrt sind.
Doch einfach nur die Manga separat aufzulisten wird aber nicht reichen. Die Macher und ihre Händlerkollegen bezeichnen sich selbst im Vorwort als »Rat der Comic-Weisen« und geben an gleicher Stelle zu, dass sie von Manga wenig Ahnung haben und sich gerne mehr Input und Beteiligung wünschen, auch bei der Preisfindung. So fehlt schmerzlich im aktuellen Katalog ein Jahresbericht vom Mangasammlermarkt. Dieser gehört aber zu den wichtigsten Bestandteilen, sonst wird das nichts mit der Glaubwürdigkeit im Mangabereich.
Aber auch die Marktberichte vom Comicsammlermarkt in der aktuellen Ausgabe sind zu hinterfragen. Die meisten Berichte der Händler ergehen sich in allgemeinem Geplauder oder Spekulationen. Es ist auch nicht immer klar, was das für Leute sind, die ihre Einschätzung zum Besten geben. Wie lange sind diese Leute Experten? So ist z.B. ein Volker Berke aus Pinneberg dabei. Aber was qualifiziert ihn? Er ist wahrscheinlich ein Sammler, aber seine Kompetenz ist nicht klar, schließlich verwechselt er die Trends des Sammlermarkts mit den Trends der Neuerscheinungen des vergangenen Jahres, die er munter aufzählt. Ähnlich liest sich der Text von Gerhard Pfandler aus Wien (immerhin als Sammler ausgewiesen), dessen Report wie eine kondensierte Fassung eines Händler-Newsletters daherkommt. Das hat keinerlei Mehrwert. Das größte Potenzial für Fremdschämen hat jedoch der Beitrag von Marco Heuberg von der Bremer Comic Mafia, der sich über mehr als vier (!) Seiten über sein Verhältnis zum Sammler und Händler Christofer Krumm, der 2021 überraschend gestorben ist, auslässt. Das liest sich wie eine höchst bemühte Rechtfertigung dafür, dass er, für einen Preis, den er natürlich nicht nennen darf, die komplette hochwertige Comicsammlung von der Familie des Verstorbenen abgekauft hat. Und die selbstverständlich Stück für Stück vergoldet werden will. Marktreport? Fehlanzeige!
Das zeigt ein weiteres Problem, denn bei sämtlichen Beiträgen fehlt eine redaktionelle Bearbeitung. Gibt es überhaupt Vorgaben? Zwar gibt es auch sinnvolle Berichte, besonders Bernd Meier vom Comic- und Figurenversand in Aalen ist hier lobend zu erwähnen, aber mindestens die Hälfte der Marktreporte sind mehr oder weniger das Jahr für Jahr immer gleiche, geschwätzige Geschnatter.
Das sind aber Kleinigkeiten im Vergleich zum größten Problem des Preiskatalogs. Er ist gedruckt und wirkt allmählich komplett wie ein Anachronismus. Er ist schwer, unhandlich, teuer in der Herstellung. Wäre er digital, wären all diese Probleme gelöst. Und man könnte ihn übers Smartphone schnell konsultieren und auch digital gezielt durchsuchen.
Das digitale Zeitalter des Managements von Comicsammlungen ist schon vor vielen Jahren angebrochen und es gibt in den USA einige Mitbewerber, die zeigen, wie es geht (Key Collector, Comic Book Price Guide, Comic Price Guide). Zuletzt hat sogar der einstige Vorreiter Overstreet spät gemerkt, dass man analog immer weiter an Boden verliert und die Overstreet-Access-App lanciert. Erst wenn man seine Informationen und seinen Service digitalisiert und noch eine App dazu anbieten kann, dann ist man gut aufgestellt für die Zukunft.
Bereits 2015 hatte ich Stefan Riedl im Interview für Comic Report Online nach der Digitalisierung befragt. Seine Antwort war: »Online ist geplant und noch einige andere Sachen ... abwarten.« 2019 lautete seine Antwort auf eine ähnliche Frage: »Geplant ist einiges, spruchreif noch nichts. Mal schauen, was das Jahr bringt.« Passiert ist bis heute nichts.
Auf eine aktuelle Anfrage an Stefan Riedl im Dezember 2022 zum Stand der digitalen Dinge antwortet dieser ungewöhnlich ehrlich: »Keiner kann es für einen vertretbaren Preis machen. Overstreet hat eine Million Abonnenten auf das digitale Ding. Wenn wir die in Deutschland auch haben, oder 10 % davon, bin ich gerne bereit, eine sechsstellige Summe zu investieren. Das kannst du gerne so schreiben und einen Spendenaufruf dazu. Sorry, aber das ist die Realität.«
Versteht mich nicht falsch. Ich mag den Preiskatalog. Die Beteiligten stecken eine Menge Arbeit hinein. Aber das alte Konzept hat sich selbst überlebt. Und das ist schade. Was in anderen Ländern längst etabliert ist, fehlt in Deutschland: eine Kombination aus Datenbank und Sammlungsmanagement in Verbindung mit Sammlerpreisen. Eine App, die man mit einem mobilen Gerät überallhin mitnehmen kann. Und natürlich Sammlerpreise, die nicht nur einmal pro Jahr aktualisiert werden.
Inhaltlich wird noch immer der Fokus auf die nostalgischen Sammelgebiete der Alten gelegt. Dabei gibt es beispielsweise längst Splitter-Serien, die teilweise vergriffen sind. Nur ein Beispiel: Der beim Verlag ausverkaufte Alim der Gerber Band 1 ist im Preiskatalog für 10 Euro gelistet, auf dem Sammlermarkt aber, wenn er überhaupt angeboten wird, eher für 40 Euro zu haben.
Und ist es wirklich sinnvoll, bei einem gedruckten Werk jeden Comic aufzulisten, der erschienen ist, selbst wenn ein Großteil davon überhaupt nicht nachgefragt wird? Oder doch lieber nur die Sammelgebiete behandeln, die von Interesse sind? Und dafür diese mit mehr Akribie? Andererseits, bei einer Digitalversion wäre das kein Problem, sondern ein Plus, da man schnell filtern und suchen kann, während es in Print nur Platz wegnimmt. Ein weiteres Argument, dem gedruckten Katalog Adieu zu sagen.
[Matthias Hofmann]
Wie seht ihr das, liebe Leserinnen und Leser?
Ist der Preiskatalog in seiner jetzigen Form ein Auslaufmodell? Zu dem Thema haben wir eine Onlineumfrage organisiert:
ALFONZ-Onlineumfrage: Comicpreiskatalog
Mitreden und abstimmen kann man bis zum 20. Januar 2023.
Das Ergebnis präsentieren wir in ALFONZ Nr. 2/2023.
Abbildungen:
© 2023 SR Verlag