Bekanntlich sind Comicleser und Comicsammler nicht grundsätzlich deckungsgleich. Letzerer hat mitunter seine Comics nicht einmal gelesen. Der wahre Comicsammler führt nicht nur genaue Listen über seine Schätze, sondern kennt natürlich auch die Inhalte seiner Kollektion. Michael Diers hat alle 259 Hefte der Superheldenserie Die Spinne gelesen und daraus ein Buch gemacht. CRON hat ihn dazu befragt.
Als Spider-Man noch »Die Spinne« war
Die komplette Condor-Heftserie erklärt in zwei Bänden
Interview mit Michael Diers
Früher hießen die Superhelden in Deutschland irgendwie anders. Der Hulk war der »Halk«, der Silver Surfer war der Silberstürmer, die Avengers nannten sich »Die ruhmreichen Rächer«, Iron Man hieß »Erzkämpfer«, Daredevil war »Der Dämon« und der allseits bekannte Netzschwinger Spider-Man war »Die erstaunliche Spinne«.
Marvels Superhelden wechselten in paar Mal den Verlag. Nach bsv kam der Williams Verlag und danach kam Condor, einer dieser Verlage, die sich nicht so richtig um chronologische Veröffentlichungen, originalgetreue Übersetzungen, Kolorierungen oder Lettering scherten.
Die langlebigste, weil erfolgreichste, Marvel-Serie von Condor war Die Spinne. 259 Hefte sind von 1980 bis 1996 erschienen. Michael Diers hat sie alle gelesen und kommentiert. Seine Aufzeichnungen werden in Form von zwei reichhaltig illustrierten Büchern publiziert. Unterstützt wurde er dabei von Gerald Berse, dem Betreiber der Webseite »The Unofficial Handbook of Marvel Comics Creators (UHBMCC) German Edition«. CRON befragte Michael Diers zu dem ambitionierten Projekt.
Michael, du bist einer von den ganz Genauen, stimmt’s?
Nö, ganz im Gegenteil. Ich bin wohl einer der schludrigsten Menschen auf dem Erdball.
Das ist bemerkenswert, denn viele Comicfans, die ihre Serien genau erfassen, haben doch einen Hang zur manischen Akribie. Bevor wir zu dem eigentlichen Projekt kommen. Woher kommt die Obsession, eine umfangreiche Comicserie wie Die Spinne vom Condor Verlag so genau mit Listen zu erfassen?
Es sind ja im Grunde genommen keine Listen, die ich da führe. Ich habe aus einer Laune heraus vor gut vier Jahren einmal einen kompletten Satz des Spinne Magazins von Condor (259 Hefte) bei eBay ersteigert ...
Was hatte der komplette Satz Condor-Spinne bei eBay damals gekostet? Weißt Du das noch?
Der gesamte Satz Hefte hat mich150 Euro gekostet!
Eines Tages habe ich damit begonnen, sie auch zu lesen. Da ich zuvor schon gerne Reviews für die verschiedensten Comics verfasste, lag es nahe, dieses auch für die Condor-Hefte zu machen. Als ich dann noch mit Gerald Berse in Kontakt kam, bot sich die Zusammenarbeit förmlich an, da er über die größte Datensammlung deutscher Marvel-Hefte verfügt. Er gab mir seine kompletten Daten, wie Veröffentlichungsdatum, Storytitel, Künstler, etc., über jedes Heft dieser Serie als Textdatei. Ich musste darin nur noch meine Reviews einbauen.
Mit Maxi als Datenerfasser und -verwalter hatte ich somit einen idealen Partner gefunden, da ich ja ein reiner Leser und »Kommentator« von Comics bin. Ich verfasste dann zu jedem Heft eine Inhaltsangabe und Bemerkungen, ergänzte sie mit Geralds Daten und veröffentlichte die im Forum des Deutschen Comic Guides und im Paniniforum. Als ich eines Tages alle 259 Hefte gelesen, mit Geralds Daten ergänzt und kommentiert hatte, wollte ich nur einige Schwarzweiß-Kopien, die ich von jeder Heftrezension besaß, für mich und ein paar Interessierte binden lassen. Ich startete dafür eine Interessenanfrage in den Foren. Die Reaktion war dermaßen groß, so dass ich viel zu wenige Kopien besaß, um alle Interessierte zu versorgen. Nun kam wieder Gerald ins Spiel, als er mir anbot, das Ganze nun als richtiges Buch zu veröffentlichen.
Das erste von zwei Büchern liegt vor. Was wird grundsätzlich darin geboten?
Das Herz der beiden Bücher sind natürlich die 259 einzelnen Heftbesprechungen mit den Daten, meinen Inhaltsangaben und meinen Bemerkungen. Gerade bei den Inhaltsangaben und Bemerkungen habe ich bewusst recht lockere und mitunter scharfzüngige Formulierungen benutzt, so dass auch Leser ihren Spaß haben werden, die mit der Serie nicht so stark vertraut sind. Darüber hinaus gibt es diverse Sachartikel, Interviews mit Künstlern und Redaktionsmitarbeitern, Galerien, etc. Diese Sachen haben natürlich alle einen Bezug zur Hauptserie.
Dieses Bonusmaterial, wie z. B. die Interviews. Wie kam es dazu?
Ich fand, die 259 Heftbesprechungen konnten etwas Auflockerung gebrauchen, denn ich wollte das ganze Projekt nicht nur auf ein starres Konstrukt von Reviews und Daten reduzieren. So kamen immer mehr Ideen für das umfangreiche Zusatzmaterial zusammen.
Wann kommt Band 2?
Es sieht ganz gut aus, so dass wir das Buch 2 in Erlangen anbieten können.
Welches war eigentlich dein erstes Spinne-Heft?
Da kann ich wohl als Antwort am besten einen Auszug des vierseitigen Artikels »Die Wurst hat zwei Enden, ein Leben mit Comics von 1972 bis heute!« aus Band 2 von 259 x Die Spinne hier anführen:
Die Sommerferien 1975 verbrachte ich bei meinem großen Bruder. Hier sorgte dessen damalige Freundin und jetzige Ehefrau wohl dafür, dass alles beginnen konnte. Sie wollte mir an einem Kiosk in Oldenburg-Donnerschwee, direkt neben dem alten Stadion »Am Donnerschwee«, in dem ich Jahre später noch so viele spannende Fußballspiele meines VfB Oldenburg zu sehen bekommen sollte, ein Comic kaufen. Ich durfte mir sogar selber ein Heft aus der großen Menge dort aushängender Comics aussuchen. Ich entschied mich ohne große Überlegung für einen mir bis dahin vollkommen unbekannten Comic mit einem bunt kostümierten Helden auf dem Cover, der waghalsig an einer Häuserwand kletterte. Es war die Ausgabe Nummer 35 von Die Spinne aus dem Williams Verlag. Der Held des Heftes war im Gegensatz zu dem so düsteren Batman noch sehr jung und ging sogar noch zur Schule, in der er dauernd von seinen Mitschülern gehänselt wurde. Also eigentlich war er gar nicht so richtig ein Held und ich konnte mich sofort mit ihm identifizieren. Sogar sein Gegenspieler, Kraven der Jäger, hatte meine vollsten Sympathien.
Als ich das Heft verschlungen hatte und dann auch noch die Rückseite erblickte, sah ich, dass es noch eine ganze Reihe von ähnlichen Helden gab. Aufgrund der vorgestellten Covers der Hefte für den kommenden Monat legte ich auch schon eine Sympathiereihenfolge fest, obwohl ich ja bisher nur die Spinne gelesen hatte: 1. Thor, 2. Spinne, 3. Rächer, 4. Die Fantastischen Vier, 5. Hulk, 6. Frankenstein, 7. Dracula.
Ja, der mächtige Thor mit seinen langen blonden Haaren und dem Hammer, der sich anschickte einen Gegner zu besiegen, der in einer riesigen Roboterhand aus dem Himmel zu ihm herabgereicht wird, der musste einfach der tollste Held von allen sein!
Meine Freunde von der Straße, sie bildeten neben dem Bolzplatz unseren kindlichen Mikrokosmos, konnte ich sofort für die Spinne begeistern. Und als dann noch bekannt wurde, dass ein älterer Junge aus einer Nebenstraße auch Marvel-Hefte besäße und diese verkaufen wolle, gab es kein Halten mehr. Wir haben ihm für 20 Pfennig pro Heft nach und nach alle Marvels abgekauft. So habe ich auch dort z.B. Die Spinne Nr. 1 für 20 Pfennige erworben, ein heutzutage undenkbares Schnäppchen. Von dem älteren Jungen wussten wir nur den Nachnamen: »Saager«. Und so hieß es stets: »Lass uns nach Saager fahren und Marvels kaufen!«. Saager hatte eine frappierende Ähnlichkeit mit Otto Waalkes und wohnte in einem alten Bauernhaus, wo er mit seinem älteren Bruder ein enges Zimmer teilen musste. Seine Marvel-Hefte lagerten in einem uralten Kleiderschrank in dem kleinen Zimmer. Noch heute sehe ich die beiden Brüder ab und an, sie haben sich bis jetzt optisch kaum verändert.
Ich kaufte mir als erstes bei ihm Thor Nr. 26, dessen Zeichnungen von Jack Kirby mich allerdings enttäuschten. Die Zeichnung des Covers versprach mir damals einfach mehr, als im Comic zeichnerisch geboten wurde. Aber das kannte ich schon beispielsweise von den Bessy-Heften. Auch dort waren die Covermotive stets weitaus besser, als die Panels im Comic. Begeistern konnte mich aber die Zweitgeschichte um den so melancholischen und einsamen Silberstürmer, der auf einem Surfbrett durch ein mit Planeten, Sternen, Nebeln und Kometen übersäten Weltall düste. Insbesondere aber sein einsames Schicksal, hervorgerufen durch die Ablehnung der Menschheit, weckte mein Mitleid. Oft dachte ich nachts im Bett daran, dass ich den von der Menschheit so geschassten Silberstürmer bei mir in meinem Kinderzimmer Asyl gewähren könnte und sah ihn dabei vor meinem geistigen Auge mit seinem Surfbrett vor meinem Bett stehen.
Wow. Mir kommen gleich die eigenen Kindheitserinnerungen hoch … Aber blicken wir nach vorne. Was ist als nächstes geplant? Das restliche Superheldenprogramm des Condor Verlags?
Ooooch, ich habe die Spinne-Hefte von Panini von 1997 bis etwa 2005 auf dem Dachboden liegen. Ich glaube, die könnte ich noch ein zweites Mal lesen …
Na dann, wir sind gespannt!
Abbildungen/Foto © Michael Diers
Die nackten Fakten
Michael Diers, 259 x Condors Die Spinne (Teil I + 2)
Eigenverlag, Hardcover mit Schutzumschlag, 2 Bände, je 160 Seiten, zusammen 66 Euro (inkl. Versandkosten) nur direkt bestellbar bei