Im Comicmagazin ALFONZ - Der Comicreporter gibt es die beliebte Rubrik »Was macht eigentlich …?«. Der 1953 geborene Volksverlag-Gründer Raymond Martin ist ein Topkandidat für diese Frage. Für den dritten Band des Corben-Index über die Werke von Richard Corben hat Martin ein Interview gegeben, welches er CRON zur Vorabveröffentlichung zur Verfügung gestellt hat.
Raymond Martin über seine Anfänge,
Richard Corben und was Georges Dargaud über ihn dachte
Interview mit dem Volksverlag-Gründer
Der Volksverlag und sein Gründer Raymond Martin zählen zu den schillerndsten Erscheinungen der deutschsprachigen Comichistorie. Magazine wie U-Comix, Schwermetall, Pilot, Vampirella, Hinz & Kunz und eine Vielzahl von Comics für Erwachsene prägten die 1980er Jahre und eine ganze Generation von Comiclesern, die mit nostalgischen Kindercomics nichts mehr anfangen konnten.
Nachfolgend veröffentlichen wir Auszüge eines Interviews, welches in Band 3 von Sebastian F. Ottens Corben-Index erscheinen wird.
CRON fragt. Raymond Martin antwortet.
Der Verlagsgründer im Interview.
Raymond Martin (62) mit seiner Mutter Isabella (84) im Juli 2015 Foto: Jutta Hofmann |
Raymond Martin über seine Anfänge:
Bekanntlich bin ich 1953 in Berlin-Neukölln in eine eher bildungsferne Familie hineingeboren. In diesen Kreisen stand man den Comicheftchen nicht so kritisch gegenüber, wie das Bildungsbürgertum. Ich war früh an allen möglichen Comics interessiert (außer Nick im Weltraum!), Kauka, Disney, Akim, Tibor, Falk, etc., aber auch an Illustrierte Klassiker. Mit der Pubertät verlor ich Interesse daran und wand mich den Mädchen zu. Mit 15 Jahren half ich ein bisschen bei der Entstehung einer unabhängigen Schülerzeitung (Paradox) und gründete mit 16 eine kleine Zeitschrift für Amateur-Lyrik, -Prosa und –Grafik (ex-libris), mit der ich allerdings nach der zweiten Ausgabe meine erste Pleite hinlegte.
Wie schätzt Du selbst rückblickend Deine Rolle als Verleger und die Früchte Deiner Tätigkeit für die Comiclandschaft ein?
Inspiriert durch zwischenzeitliche Bekanntschaften mit THC und LSD, gründete ich mit 17 Jahren die Underground-Zeitung PÄNG, die ich bis zur Ausgabe 13 im Jahre 1975 fast komplett allein machte und von den letzten Heften bis zu 7000 Stück verkaufte (ohne einen kommerziellen Pressevertrieb!) Die weltweiten Underground- und Alternativ-Zeitungen hatten sich damals zu einer lockeren Organisation zusammengetan, die sich UPS nannte: Underground Press Syndicate.
Diese ca. 200 Mitglieder tauschen teilweise regelmäßig und viele Jahre lang gegenseitig die Hefte aus, d.h. ich schickte von jeder Ausgabe je ein Heft an alle und bekam regelmäßig ca. 50 verschiedene Hefte aus USA, Kanada, Australien, etc. Eines der Prinzipien von UPS war, dass alle Mitglieder alles von den anderen kostenfrei nachdrucken durften. So hatte ich in meiner PÄNG schon 1969 den ersten deutschsprachigen Artikel drin, der das Thema Umweltschutz politisierte: Die Ökologie der Revolution. Wahrscheinlich war damals der Begriff in den deutschen Redaktionen der bürgerlichen Verlage noch völlig unbekannt.
Was ich auch zum ersten Mal durch eben diese US-Undergroundzeitungen kennenlernte, waren Underground-Comix, wie z.B. die Freak Brothers von Gilbert Shelton oder Fritz the Cat und Mr. Natural von Robert Crumb, die ich zum ersten Mal in die deutsche Sprache übersetzte und in PÄNG veröffentlichte. Die Strips kamen bei der Leserschaft so gut an, dass ich 1970 ein eigenes kleines Comicmagazin mit dem Namen U-Comix drucken ließ. Es verkaufte sich dreimal schneller als PÄNG und so wurde es zum Beginn meiner Karriere als Comicverleger.
In den UPS-Zeitungen, die hier stapelweise herumlagen fand ich dann Anzeigen von Versendern von Underground-Comix wie Skull, Fantagor oder Anomaly, durch die ich mit den frühen Meisterwerken von Richard Corben in Berührung kam. Besonders begeistert war ich von der Kurzgeschichte »When Dreams Collide«, die meine Vorurteile zu jeder Art von Pfaffen und christlicher Zwangsmoral bestätigte. Diese, sowie andere schwarzweiße Comics wurden damals einfach übersetzt und nachgedruckt, ohne Verträge oder überhaupt Kontaktaufnahme zum Zeichner. Man war eben Underground.
Ich kann meine Rolle als Verleger und Pionier der Erwachsenencomics schlecht selbst einschätzen, das müssen schon solche Leute wie Du übernehmen. Wenn ich es nicht gemacht hätte, wäre wahrscheinlich irgendwann ein Pornoverlag oder so darauf gekommen. Mir hat es jedenfalls viel Spaß gemacht, meine Leser zu belustigen oder zu schocken und damit noch richtig gut Geld verdienen zu können. Ohne die ca. 200 Comicalben und ebenso vieler Magazin hätte ich niemals mein kleines alternatives und esoterisches Sortiment im Volksverlag finanzieren können.
Als die Pläne für Schwermetall reiften, bist Du von Leonard Mogel lächelnd abgewimmelt worden. Trotzdem hast Du Dich von Deinem Weg nicht abbringen lassen und über Dionnet einen Vertrag abschließen können. Was hast Du für Erinnerungen an die Vertragsverhandlungen und worin lag der Unterschied zwischen den beiden.
Ich erinnere mich nicht, mit einem Leonard Mogel jemals verhandelt zu haben. Jean-Pierre Dionnet hingegen, der Herausgeber von Métal Hurlant ist mir noch sehr gut in Erinnerung. Er war ein Freak wie ich, kreativ und witzig, intelligent und unangepasst. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und vertraut. Auf der Frankfurter Buchmesse zeigte er mir mal einen riesigen Stapel Film-Duplicates von ComicssSerien aus seinem Magazin, die er für die Herausgeber des US-Magazins Heavy Metal hergestellt hatte. Im drauf folgenden Jahr, wieder zur Messezeit, fragte ich ihn dann, was aus dem Deal mit den Amis geworden ist, worauf er antwortete, sie hätten bis heute nicht einen Pfennig bezahlt. Meine Entrüstung im Sinne von »was sind das nur für Gangster« beantwortete er ganz cool: »Das sehen wir in Europa so, in Amerika nennt man das clevere Geschäftsleute.«
Jean-Pierre schrieb mir mal, dass ich mit Schwermetall das »Mutter-Magazin« überholt habe und meine Produktion besser sei, als das Vorbild. Ich war öfters in Paris in seinem Büro und traf sogar Jean Giraud Moebius persönlich in einem Nebenraum, der gerade neue Originale ablieferte. Auch er sprach mir seine Bewunderung dafür aus, dass ich seine Sachen so authentisch veröffentliche, in dem Geist, den er beabsichtigte zu vermitteln.
DEN sollte eigentlich in Star Fantasy, nach eigenen Verlagsangaben das deutsche »Tochter«-Magazin von Heavy Metal, erscheinen, wo schon die ersten Seiten von 1001 Nacht veröffentlicht worden waren und DEN bereits übersetzt worden sein soll. 1978 hattest Du dann aber die Nase vorn, als DEN im Volksverlag als Album raus kam. Kannst Du erzählen, wie es dazu kam?
Das erste Comicalbum mit farbigen Corben-Episoden konnte ich ebenso wie die beiden DEN-Alben nur produzieren, weil ich mit dem katalanischen Verleger José Toutain befreundet war, der in Barcelona Magazine und Alben druckte. Er bot mir die Mitproduktion von Die außergewöhnliche Welt des Richard Corben als Joint Venture an, d.h. es wurden 20.000 mal alle Farben gedruckt und dann jeweils 5000 mal in schwarz die spanischen, englischen, französischen und deutschen Konturen und Texte. Dadurch kostete das Buch nur eine Mark, inklusive Transport in meine Lagerhalle, was bei einer alleinigen deutschen Produktion mindestens viermal so teuer gewesen wäre. Solche Koproduktionen mit anderen Ländern habe ich später des Öfteren gemacht. Ich hatte auch deswegen immer die Nase vor anderen Verlegern, weil mich die Ausländer persönlich sehr sympathisch fanden. Übrigens auch der alter Herr Dargaud von dem gleichnamigen Pariser Verlag (Asterix, Pilote, etc.). Der fragte seine Auslandsagentin immer wieder mal nach mir: »Was macht denn der deutsche Anarchist so?« In Frankreich war Anarchist in den 1970er Jahren kein Schimpfwort.
Raymond Martin (2011) als Perlentaucher |
Mit Michael Hau (Menschenblut) und Gerhard Förster hast du dir zwei Topleute für das Lettering geholt. Vor allem den Nachdrucken von DEN und Rowlf kam das zugute. Wie konntest du die beiden verpflichten?
Weil ich gut bezahlt habe und die Geld gebraucht haben. Menschenblut sagt mir nichts.
Es gab eine stattliche Anzahl Indizierungen aus dem Volksverlag-Programm - über 200.000 DM soll der Schaden an Ausfällen und Anwaltskosten betragen haben. Gibst Du der Bundesprüfstelle eine Mitverantwortung am Ende des Volksverlags?
Die Summe ist wohl eher fiktiv. Man kann doch niemals voraussagen, wie viele Auflagen man noch hätte verkaufen können, wenn es nicht zur Indizierung und damit zum eingeschränkten Verkauf gekommen wäre. Aber sicher war das ein kleiner Beitrag zum wirtschaftlichen Niedergang des Volksverlages. Hauptsächlich waren es aber viele Produktionen, die mehr Geld gekostet haben, als sie einbrachten, z.B. die Serien Pilot und Witzbold. Auch die Magazine Schwermetall und Vampirella haben sich Mitte der 1980er nicht so richtig bombig verkauft. Was immer am besten lief, war U-Comix. Das hatte die höchsten Verkaufszahlen.
Ende der 1980er bist du als »Raymond Martin Verlag« noch einmal kurz mit Corben-Büchern auf den Markt getreten. Welche Gründe gab es dafür, dass die Episode so kurz war?
Ich hatte zu wenig Kapital, um Material für mehr gute Produktionen zu kaufen. Der Comicverkauf wurde immer schwieriger und ich habe mich mehr dem Merchandising und Textilien zugewandt, weil es spannend war, mal was Neues zu machen. Dieser Markt ist hundertmal größer, als der Comicmarkt.
Ein abschließender Rückblick auf die Wirkungen von UPN/Volksverlag auf die, die nach dir kamen…
Mein Volksverlag, das Marketing, die Produkte hatten alle eine Art nonkonformer Handschrift. Alles wurde von mir getextet, gestaltet und geformt. Allein die Zusammenstellung des Verlagsprogramms (von Esoterik bis Sex-Comics) hatte einen eigenartigen Charakter, den kein Verlag vorher oder hinterher erreichte. Auch waren die von anderen Verlagen weitergeführten Magazine nicht mehr das, was sie mal ausgemacht hatten. Was auch damit zu tun hatte, dass den Genies aus USA und Frankreich nicht mehr so tolle Sachen einfielen im Alter. Und die neuen Comics haben einfach nicht mehr den Flair gehabt, siehe Corben.
Mit Mutantenwelt, Rowlf und Die außergewöhnliche Welt des Richard Corben wurden alleine drei Titel von Corben von der Bundesprüfstelle indiziert. Setzt man sich mit den Beschlüssen auseinander, so sind diese extrem schwach und zeugen von Unkenntnis und Ignoranz, was Comics und Käuferschichten angeht. Wie schwer hat Dich der Dauerbeschuss aus Bonn wirtschaftlich getroffen?
Eine Zeitlang war mein Volksverlag der am meisten indizierte Verlag von ganz BRD. Welche wirtschaftlichen Folgen das hatte, kann man schwer bemessen. Vielleicht wäre bei dem einen oder anderen Buch eine weitere Auflage drin gewesen, wenn es nicht auf der Liste gelandet wäre. Viel mehr Verluste hatte ich durch die Diebstähle meiner Angestellten und Mitarbeiter. Einer hat sich einen Nachschlüssel von dem Lagertor machen lassen und dann kam nachts ein LKW und sortierte sich palettenweise Comicalben ab. Soweit ich gehört habe, sollen es Gangster aus Frankfurt gewesen sein, die das dann vermarktet haben. Meinem Nachfolger, Alpha-Verlag, ging es ähnlich. Da kamen die Diebe aus dem Raum Stuttgart und haben sogar den Gabelstapler gleich mitgeklaut. In beiden Fällen wurden niemals die Täter ermittelt und wir blieben auf den hohen Verlusten sitzen. Da ich aber eher ein geistiger als ein materieller Mensch bin, gräme ich mich deswegen nicht, sondern nehme es mit dem Geheimrat von Goethe:
»Auch das ist Kunst, ist Gottes Gabe,
aus ein paar sommerhellen Tagen,
sich so viel Licht ins Herz zu tragen,
dass, wenn der Sommer längst verweht,
das Leuchten immer noch besteht.«
Die Fragen stellte Sebastian F. Otten
Abbildungen © Volksverlag, Fotos © Jutta Hofmann