Gedruckte und fundierte Comicsekundärliteratur ist in Deutschland selten. Das war schon immer so und wird sich wohl auch nie ändern. Es gibt zwar jede Menge Comicleser, aber eher wenige interessieren sich für die Hintergründe und die Macher eines Comics. Und deshalb fristet Sekundärliteratur über Comics hierzulande eine Art Schattendasein.
Umso erfreulicher ist es, wenn nach langer Recherchearbeit ein neuer Titel erscheint, der ein bislang unbeachtetes Thema behandelt. Band 1 der zweiteiligen Reihe Die phantastischen Comic-Welten des Michael Goetze beschreibt den Weg von Comiczeichner-Urgestein Michael Goetze »vom Amateur zum Profi«.
CRON fragt. Gerald Berse und Sebastian F. Otten antworten.
Die Verleger im Interview
Sebastian F. Otten, der schon mit einem dreibändigen Richard-Corben-Index und zuletzt mit einer Monografie über den Werbecomic Mike von sich reden machte, kümmerte sich ausführlich um den Vielzeichner Michael Goetze, der jede Menge verschiedene Zeichenstile beherrscht und im Lauf seiner langen Karriere im Bereich des schnell vergänglichen Kindercomics viele bekannte Marken gezeichnet hat.
CRON sprach mit Gerald Berse und Sebastian F. Otten, den beiden Verantwortlichen hinter dem Kleinverlag Edition Comicographie, über ihre verlegerische Tätigkeit und den ersten Goetze-Band, welcher dessen Werk von 1971 bis 1994 unter die Lupe nimmt.
Sebastian F. Otten und Gerald Berse auf dem Comicfestival 2019 in München
Ihr habt Euren Verlag Edition Comicographie vor rund sechs Jahren gegründet. Wenn Ihr auf die Zeit von Herbst 2013 bis heute zurückblickt und die Erfahrungen, die Ihr gesammelt habt: Was war gut und was war nicht so toll?
SEBASTIAN: Wenn ich zurück ins Jahr 2013 reisen würde, dann wäre meine Entscheidung für eine Verlagsgründung wieder die gleiche. Alleine verheddert man sich zu leicht. Als Verlag kann man die Erfahrungen zusammenwerfen, voneinander lernen und sich austauschen. Auch beim Vertrieb steht man optisch besser da. Und Gerald war der perfekte Partner aufgrund seiner Kompetenz und Erfahrung mit selbstverlegten Büchern.
Nicht so toll ist, dass man unter Zugzwang gerät, was das Programm des Verlages angeht. Wir sind als Fans angetreten, die Bücher vorbereiten, bei denen extrem viel Recherche nötig ist, da es dazu kaum umfangreiche Literatur gibt. Da muss man als Leser manchmal geduldiger sein.
GERALD: Bücher herauszugeben ist sehr zeitintensiv. Auch wenn ein Buch nach außen hin fertig erscheint, beginnt für mich erst die richtige Arbeit. Anfangs brauchte ich schon ein halbes Jahr, bis das Layout und die Texte für mich druckfertig waren. Mittlerweile sind Sebastian und ich ganz gut eingespielt und ich brauche nur noch wenige Wochen zur Korrektur bzw. Ergänzung.
Ihr habt auch Verkaufsstände auf Comicbörsen und -festivals. Wie ist da die Nachfrage nach solchen akribischen Fachbüchern? Ich frage, weil z.B. das Buch über den Werbecomic Mike extrem speziell ist, quasi was für die Liebhaber unter den Liebhabern …
SEBASTIAN: Das stimmt genau. Leider können wir nicht abschätzen, wie gut ein Titel angenommen wird. Mike ist da eine unglaublich harte Nuss. Es ist das Manko bei Kundencomics. Die Mehrzahl der Sammler ignoriert den Bereich weitgehend - zu Unrecht, wie ich finde. Gerade Mike hat nicht nur Auflagen im sechsstelligen Bereich gehabt, sondern auch unglaublich große Qualitäten. Leider ist die Zahl derjenigen, die sich für Comicgeschichte interessieren und breit aufgestellt sind, nicht so groß wie gehofft.
Wir spüren durchaus auch reges Interesse am Stand, aber viele kaufen dann doch nicht. Wir müssen beide zum Glück nicht davon leben, aber Recherche und Druck sind nicht umsonst. Da muss man sich überlegen, ob man das auf Dauer finanzieren möchte. Zum Glück ist das Goetze-Buch beim Vertrieb PPM fast ausverkauft. Es läuft also gut.
GERALD: Ich habe in der Vergangenheit von Mike so gut wie nichts mitbekommen, da ich kein Kunde der Volksbank war. Dennoch war ich überrascht, wie viel Mali & Werner herausgebracht haben. Dass in den Comics so viele Informationen stecken, ist mir erst durch die Recherchen von Sebastian so richtig bewusstgeworden. Und das hat bei mir das Interesse an diesem Buch geweckt.
Das ist aber bei vielen Büchern von uns der Fall. Es stecken immer noch ganz viele Zusatzinformationen drin, die es interessanter machen, sie zu lesen. Wir können immer nur auf dem Cover das »Hauptthema« anführen. So sind z.B. in den Sheriff Klassiker Chroniken Sachartikel zur US-Verlagsgeschichte vorhanden. Oder Berichte über die Historie der USA und die Hintergründe des Comics Codes.
Von Sebastian ist auch ein zehnseitiger Artikel über die indizierten Comics Frankenstein Nr. 5 und Dracula Nr. 5 im Williams Verlag erschienen, zu dem wir Originalseiten der Gerichtsurteile der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften als erster in Deutschland veröffentlicht haben. (Fanausgabe, in HIT-Chronik Band 3).
Diese Zusatzinfos machen nicht nur das Mike- oder Corben-Buch aus, sondern auch das neue Buch über Michael Goetze.
Gerade ist Euer neustes Werk erschienen, der erste Band einer zweiteiligen Monografie über »Die phantastischen Comic-Welten des Michael Goetze«. Wieso ausgerechnet ein Buch über Goetze, ein Thema, auf das nun wirklich niemand gewartet hat?
SEBASTIAN: Über Goetzes Fred Feuerstein und Sesamstraße bin ich erstmals mit Comics in Berührung gekommen. Seinen Werken bin ich immer wieder in verschiedenen Phasen meines Lebens über den Weg gelaufen, so als Zehnjähriger den Comics in Was ist Was? und vier Jahre später war es das Robot-Imperium. Irgendwann wollte ich wissen, was er noch alles gemacht hatte. Es gab aber weder eine Monografie, noch vollständige Checklisten. Damit begann eine intensive Sammel- und Recherchearbeit.
Inhaltlich ist das Buch eine weitere enorme Fleißarbeit, die wirklich jede noch so kleine Detailinformation über das Werk Goetzes zusammenträgt. Hut ab! Mir gefällt die Weiterentwicklung von Euren ersten Sekundärbüchern, die unterm Strich eine Ansammlung mit Checklisten waren, hin zu einem Nachschlagewerk, welches durch zusätzliche Beiträge wie Interviews aufgelockert und abgerundet wird. Wie hast Du Goetze selbst persönlich eingebunden? Konntest Du z.B. sein Archiv einsehen? Hat er Korrektur gelesen?
SEBASTIAN: Vor etwa acht Jahren hatte ich die Vorstufe zu dem Buch - eine Excel-Tabelle - an Michael Goetze geschickt. Eine Antwort hatte ich bekommen, und es klang etwas an Überraschung durch, dass er so viel gezeichnet hatte. Es gab dann noch eine Nachfrage wegen Heidi, die er mir geduldig beantwortet hatte. Später gab es die Mailadresse, die ich kannte, nicht mehr. Im letzten Jahr hatte ich telefonisch Kontakt mit ihm aufgenommen. Ich wollte das Projekt vorstellen und wegen eines Interviews nachfragen. Zu meinem sehr großen Bedauern hatte er kein Interesse.
Ich hätte mir sehr gewünscht, ihn mit »an Bord« zu haben. Richard Corben hatte ein Interview zum Corben-Index gegeben und bei Mike hat Gabriel Nemeth dankenswerter Weise alle Angaben zu seinen Geschichten rausgesucht. Mali und Werner haben quasi mitlesen können und alle Daten von 1978 bis 2007 gegengecheckt.
Das wäre ein Traum, was Michael Goetze angeht. Vielleicht meldet er sich mal, falls ihm das Buch, das ich ihm geschickt habe, gefällt.
Echt schade, dass Michael Goetze bei diesem Mammutprojekt nicht persönlich mitwirkt. Für den Band 2 wäre ein aktuelles ausführliches Interview sicherlich ein toller Bonus. Oder eine Home-Story mit Gespräch, bei der man das gesamte Schaffen Revue passieren lassen könnte - aus heutiger Sicht.
SEBASTIAN: Das würde ich mir natürlich wünschen. Für mich gehört er zu den besten und vielseitigsten Künstlern der letzten Jahrzehnte. Sicherlich ist er einer der wichtigsten deutschsprachigen Comic-Schaffenden, auch wenn das so nie richtig gewürdigt worden ist. Das Größte wäre ein persönliches Gespräch mit ihm in seinem Atelier. Ich denke dabei an so etwas wie Numa Sadouls Interview mit Franquin.
Leider sieht es derzeit nicht danach aus und ich respektiere es, wenn er kein Interesse hat. Auf die Nerven möchte ich ihm damit jedenfalls nicht gehen.
Welche Comics von Goetze gefallen Dir persönlich am besten und welche sollte jeder unbedingt mal gelesen haben und warum?
GERALD: Mir war nie bewusst, dass ich schon einmal Goetze in der Hand hatte. Viele Sachen kenne ich vom Sehen. Das er sogar deutsche Marvel-Cover gezeichnet hat, war mir zuvor nicht bekannt (Marvel Comic Exklusiv, EPIC Comic Collection).
SEBASTIAN: Da die Bandbreite so riesig ist, fällt es schwer, einen Favoriten auszuwählen. Da ich ein Freund von Kurzgeschichten bin, kann ich das Voltfeder-Material jedem SF-Fan ans Herz legen (gesammelt in Unheimliche Comics der dritten Art 1 und 2): pointiert, ironisch, graphisch ausgereift!
Daneben ist Remo was Seitenkonstruktion, Zeichnungen und Story angeht, mein Liebling, was die Phase ab Anfang der 1990er betrifft. Das bezieht sich auf die Kolibri-Reihe. 49 Hefte, drei Zyklen vom Allerfeinsten, ohne das fette Pathos anderer Heldengeschichten.
Die Sheriff Klassiker Chronik wurde 2013 gestartet, aber nach Band 2 im Jahr 2014 ist seit fünf Jahren kein neuer Band mehr erschienen. Es waren mal sechs Bände angekündigt … wieso ist Band 3 noch nicht erschienen?
GERALD: Ganz am Anfang war von achs Bänden die Rede, wurde dann aber auf 5 Bücher begrenzt. Es ist aber ein zu hoher Aufwand, ein Buch mit nur 72 Seiten zu produzieren. Ich habe mittlerweile mit allen Beteiligten gesprochen, dass es nur noch einen dritten Band geben soll, der den kompletten Rest der Serie beinhaltet. Stanley Head ist im Moment dabei, seine Artikel zu schreiben. Ob es dann tatsächlich nächstes Jahr erscheinen kann, muss ich sehen. Wir sind aber weiter dran!
Ich weiß, dass ein solches Projekt nicht quartalsgenau geplant werden kann, aber welchen Erscheinungstermin habt Ihr für Band 2 über Michael Goetze grob vorgesehen?
SEBASTIAN: Geplant ist Mai 2021 - dann wird Goetzes erster Comic (Peter Kant) ein halbes Jahrhundert alt.
Mit Band 2 komme ich gut voran. Ich hoffe, dass ich ein schönes Verlagsportrait vom CCH hinbekomme. Bei den Wäscher-Titeln habe ich mit Hartmut Becker schon gute Gespräche geführt. Auch Gerhard Förster, der Remo getuscht hat, hat für mich in seiner Erinnerung gekramt. Detlef Lorenz steuert einleitende Artikel zu Falk, Nick und Tibor bei. Alles in allem bin ich im Zeitplan ... noch zumindest.
Habt Ihr noch weitere Ideen für Sekundärbücher dieser Art? Welches Thema könntet Ihr Euch in absehbarer Zeit vorstellen?
GERALD: Es waren schon einige Themen auf dem Tisch. Mal hat der Autor sein Thema zurückgezogen, mal war ein anderer Verlag schneller oder die Lizenzen waren nicht zu bekommen. Aber wir haben noch etwas in petto …
SEBASTIAN: Da erstmal Band 2 Vorrang hat, gibt es zwar Ideen, aber noch kein Konzept.
Es soll auf jeden Fall wieder ein »deutsches« Thema sein. Schon bei Corben stand ja die hiesige Publikationspraxis im Vordergrund.
Die Fragen stellte Matthias Hofmann
Abbildungen © 2019 Edition Comicographie
Die nackten Fakten
Die phantastischen Comic-Welten des Michael Goetze Band 1
Edition Comicographie
Hardcover, 30 x 21 x 1,2 cm, Farbe, 150 Seiten, 29,80 €
Weiterführender Link:
Homepage des Verlags: Edition Comicographie