Interview
Das Grauen auf dem iPad: Weissblech goes digital
In Kükelühn fing alles an. In dem ultra-malerischen Dörfchen, bei dem nicht ganz klar ist, ob dort mehr Menschen oder Kühe hausen, keimte das, was heutzutage als »Weissblech Comics« die deutsche Comic-Landschaft bereichert.
Levin Kurio heißt der Knabe, der Weissblech zu verantworten hat, und seine Hobbies waren Malen und Trinken. Aber wieso waren? Wahrscheinlich sind sie das immer noch. Doch dies soll uns egal sein, es war anno 1992, als das erste handkopierte Pamphlet entstand, das sich mit exzessiven Saufgelagen auseinandersetzte und auf ebensolchen an strunzbesoffene party people vermacht wurde. Wenn man der offiziellen Weissblech-Geschichtsschreibung Glauben schenken darf, dann waren das noch besondere Zeiten. Da wurden die Comics in einem verwaisten Kuhstall auf einem AGFA Copyrapid-Kopierer bei Minusgraden vervielfältigt und manuell geheftet. Das hat sicher fast genauso viel Freude gebracht, wie das Zeichnen der pubertären Späße an sich.
19 Jahre später ist alles anders. Der Verlag ist längst ordentlich angemeldet. Der Sitz wurde vom 100-Seelen-Kaff ins etwas größere Raisdorf in der Nähe von Kiel verlegt. Die alten Serien mit tollen Titeln wie KOMA Comix , Sex and Crime oder Weissblechs Weltbeste Comics gibt es nicht mehr, denn sie wurden ersetzt durch neue Serien mit nicht minder tollen Namen wie Horrorschocker, XXX-Comics und Welten des Schreckens.
Jetzt erscheint mit Horrorschocker Digital erstmals eine elektronische Version der undergroundigen Kultcomics. Der COMIC REPORT unterhielt sich darüber - und über das Horrorschocker-Jubiläum - mit dem »WC-Chef-vom-Dienst« Levin Kurio. Die Fragen stellte Matthias Hofmann.
In der neusten Ausgabe von Horrorschocker wird gemeldet, dass es jetzt die »Horrorschocker-App« gibt. Bevor wir zum Jubiläum der gleichnamigen Serie kommen, würde mich interessieren, weshalb du dein Flaggschiff nun auch in »digitale Gewässer« gesteuert hast?
Warum nicht? Es bot sich mir die Gelegenheit, gemeinsam mit der Firma Freshlabs ein solches Format anzutesten, und ich wollte unbedingt sehen, was an dem Hype dran ist ...
Wie muss man sich die eBook-Ausgabe von Weissblechs »Grauen aufm iPad«, so der O-Ton im Weissblech-Forum, vorstellen?
Horrorschocker Digital ist eine Sammlung von Horrorschocker-Geschichten, dazu haben wir das Drumherum multimedial etwas erweitert - so sind der Charon und das Cover jetzt animiert, Charon hat sogar eine Stimme.
Auf Änderungen in den Geschichten selber haben wir bis auf kleine Ausnahmen verzichtet, ich denke hier sind Animationen und dergleichen auch nicht unbedingt richtig platziert. Irgendwann ist es sonst kein Comic mehr, sondern ein Trickfilm mit Sprechblasen.
Deshalb kann man die Comics ganz normal lesen. Es gibt eine Blätterfunktion - das Tolle an diesen Flachcomputern ist, dass sie vom Format her gut zu den Comicseiten passen, und dass auch die Anzeige eine gute Qualität hat.
Ist zwar eher eine rhetorische Frage, aber ich stell sie trotzdem: Wieso gibt es die App nicht für Smartphones?
So rhetorisch finde ich die Frage nicht. Wir haben uns im Vorfeld dazu durchaus Gedanken gemacht, dann aber davon Anstand genommen. Ich war mir nicht sicher, ob unsere Horrorgeschichten für das Format wirklich geeignet wären; wir hätten die Seiten in Einzelbilder aufbrechen müssen, die dann auch tatsächlich auf den kleinen Bildschirmen funktionieren. Selbst bei einer kurzen Geschichte hätte man dann 40 bis 50 Einzelbilder gehabt. Dazu müssten die Geschichten meines Erachtens aber völlig neu gestaltet werden. Was nicht heißen soll, dass ich das nicht machen wollen würde. Im Moment fehlen mir schlicht die Kapazitäten, um so etwas umzusetzen.
Was sagt die Leserschaft der gedruckten Weissblech-Comics dazu? Wie rege ist die Nachfrage?
So furchtbar rege ist die Nachfrage nicht - was wohl auch mit der spärlichen Verbreitung des iPads zusammenhängt, und die Schnittmenge iPad-User und Weissblech-Leser ist eher überschaubar. Tatsächlich habe ich einige Reaktionen bekommen, und die waren begeistert (mehr dazu wohl auf der Leserbriefseite in Horrorschocker Nr. 26).
Nun zu dem großen Jubiläum. 25 Ausgaben Horrorschocker. Wer hätte das gedacht?
Ich! Man startet ja keine Serie, an die man nicht glaubt, zumal dass damals ein ziemlicher Kraftakt war, allein die Unkosten der ersten Ausgaben waren erheblich höher als sie es heute wären. Auch wenn Horrorschocker Nr. 1 nach wie vor eines der bestverkauften WEISSBLECH-Comics ist, ich habe das Gefühl, dass sich die Serie erst jetzt anfängt, wirklich zu etablieren.
Gerade bei Heften scheint Deutschland wohl ein »Hochnummernland« zu sein, eine Serie wird erst ernst genommen, wenn sie einen respektablen Zähler vorweisen kann. Ich erinnere mich noch, als wir die Nummer 7 neu hatten, sagte ein Kunde sowas wie: »Ach, naja, sieben ... wenn Ihr erst bei der Nummer 42 seid, daaann ...«.
Wenn du die Entwicklung der Reihe Revue passieren lässt. Welche Highlights gab es für dich?
Der Start der Reihe, die ersten Bände waren natürlich recht einschneidende Erfahrungen. Horrorschocker Nr. 1 war gleichzeitig auch mein erstes Farbheft. Klingt blöd, aber damals war das noch was, und dieses erste Heft aus dem Druck zu bekommen, war ein tolles Erlebnis.
Dann war es natürlich jedes Mal erhebend, wenn wieder tolle neue Geschichten in der Post waren, so wie »Kind zweier Welten« von Geier, oder »Blutige Sümpfe« von Rainer F. Engel. Und noch reihenweise andere Momente; zum Beispiel, als in Horrorschocker # 14 mit »Der Zorn des Anubis« meine erste Geschichte erschien, mit der ich selbst so halbwegs zufrieden war. Dann die Nummer 20, als ich das erste Mal wirklich zufrieden war. Tolle Zusammenarbeiten, Messebesuche ... in den inzwischen sieben Jahren sind eine Menge Sachen passiert.
Auf was achtest du, wenn du Comics von anderen Zeichnern ins Heft hereinnimmst?
Zeichnungen und Stil müssen zu unseren Heften passen, und ich lege sehr viel Wert auf die Geschichte. Ich habe auch schon eine ganze Reihe von Comics abgelehnt, die in sich genommen wunderbar waren, die mir sogar sehr gut gefallen haben, die aber eben nicht ins Heft passten.
Weissblech nahm dieses Jahr zum zweiten Mal am »Gratis Comic Tag« (GCT) teil. Bis 2010 galt der Verlag als krasser Außenseiter, als Kleinverlag, der Underground-Comix herausbringt. Hat die Breitenwirkung eines GCT Einfluß auf steigende Nachfrage nach Comics mit dem Weissblech-Logo gesorgt?
Ich würde sagen, Weissblech Comics gilt immer noch als krasser Außenseiter. Aber der GCT hat uns eine Menge Neuleser beschert. Im Comicfachhandel sind die Bestellzahlen in den letzten zwei Jahren deutlich gestiegen. Der GCT bringt einen gewaltigen Vorteil: Durch die Grundpakete werden Titel verteilt, die die Händler aus welchen Gründen auch immer sonst nicht beachten würden. So kann sich letztlich der Kunde ohne den Filter des Fachhandels ein Bild machen - und das ist wichtig. Wir haben bereits durch unsere Erfahrungen im Bahnhofsbuchhandel gemerkt, dass die Hefte auch irgendwo liegen müssen, um gekauft zu werden.
Um den Gepflogenheiten der Fachhändler entgegen zu kommen, gestalten wir das GCT-Heft zusätzlich so, dass dem Kunden Bestellungen im Fachhandel leicht gemacht werden, und wir haben quasi begleitend beide Male noch eine große Menge Kataloge verteilt.
Das hat sich, wie gesagt, bezahlt gemacht. Für mich ein deutliches Zeichen dafür, dass das Konzept des GCT funktioniert!
Wie würdest du den typischer Leser von einer Horror-Anthologie wie Horrorschocker beschreiben?
Den typischen Leser gibt es nicht, das Publikum ist breit gestreut. Ungewöhnlich ist vielleicht, dass ein guter Teil der Leser sonst keine oder eher wenig Comics liest, jedenfalls höre ich das oft.
Was mich erfreut, ist die Tatsache, dass gerade bei Horrorschocker viele Leser erst Anfang 20 sind, teilweise sogar noch jünger, was für die Nachhaltigkeit des Konzeptes spricht; es handelt sich mitnichten um ein Nostalgieprodukt, wie manche es uns vorhalten, obwohl einige der »reiferen« Leser sagen, sie hätten früher begeistert Horror und ähnliche Titel gelesen.
Was bringt die Zukunft? Welche Titel sind für das zweite Halbjahr 2011 in Planung?
Nun, im wesentlichen weitere Ausgaben unserer laufenden Serien; Horrorschocker Nr. 26 und 27 sollen dieses Jahr noch kommen, dafür vorgesehen sind neue Horrorgeschichten unter anderem von Kolja Schäfer.
Dann haben wir WELTEN des SCHRECKENS Nr. 4, welches mit Erscheinen dieses Interviews schon im Handel sein sollte. Der Band enthält wieder eine extralange Kala-Geschichte sowie drei weitere sehr schöne Geschichten.
WELTEN des SCHRECKENS Nr. 5 wird hoffentlich um den Jahreswechsel herum kommen. Ich habe dafür schon sehr interessante Comics vorliegen, unter anderem werden wir wohl »ARGSTEIN - Der verbotene Wald« bringen. Diese Geschichte erschien seinerzeit nur in einem Werbeheft bei Ehapa, und wir wollten sie nochmal einem neuen Publikum zugänglich machen. Aber natürlich wird es auch neue Comics in WdS Nr. 5 geben.
Ansonsten würde ich es gerne endlich schaffen, die Nummer 20 unser Reihe Weissblechs Weltbeste Comics fertig zu bekommen. Das Problem ist, dass wir da im Grunde parallel an drei verschiedenen Ausgaben arbeiten; mir persönlich sehr am Herzen liegt »BELLA STAR - Schamlos im All«, aber es kann sein, dass wir eine Horrorausgabe mit recht durchgeknallten Stories vorziehen. Außerdem ist schon seit längerem ein weiterer Titel in Arbeit, über den ich mich allerdings jetzt solange ausschweige, bis ich konkrete Seiten vorliegen habe.
Dann ist da noch XXX-Comics Nr. 12, die nicht nur den Abschluss der Saga um den Pornoplaneten bringen wird, sondern auch mit völlig neuen Erotikstories von einem bisher völlig unbekannten Künstler daher kommen wird ... und das hoffentlich noch dieses Jahr.
Und sonst ... naja, das wäre im Grunde ja schon genug, und ich hoffe, dass wir diese Titel noch in 2011 fertig bekommen!
Weiterführende Links:
Die Horrorschocker-App: Horrorschocker Digital
Abbildungen © Weissblech Comics