Das neue Autoren-Team der frankobelgischen Serie Largo Winch – also Zeichner Philippe Francq und nach Jean Van Hammes Abschied jetzt als Szenarist dabei: Eric Giacometti – hat sich zum anstehenden Erscheinen des 21. Bandes der Erfolgsserie im November 2017 etwas Ungewöhnliches einfallen lassen: Die Künstler haben eine exklusive Seite gestaltet, die so nicht im Comic erscheinen wird. Sie bildet die Brücke zwischen dem zuletzt veröffentlichten 20. Band „Zwanzig Sekunden“ und dem neuen 21. Band „Morgenstern“, der ab November 2017 auch auf Deutsch in den Handel kommt. CRON begleitet die exklusive Veröffentlichung mit einem Interview, das die belgischen Journalisten Gert Bussens und Tom Vermeeren mit Szenarist Van Hamme führten, als dieser seinen Abschied von Largo Winch verkündet hatte.
Die exklusive »Verbindungsseite« zwischen Band 20 und Band 21 der Serie Largo Winch:
Die exklusive »Verbindungsseite« als PDF zum Download >>>
Jean Van Hamme im Interview
»Um Largo Winch muss sich niemand Sorgen machen!«
Der belgische Szenarist Jean Van Hamme hat längst das Alter erreicht, in dem man seinen wohlverdienten Ruhestand genießen und die Früchte einer langen Tätigkeit genießen kann. Würde man nicht, so wie Van Hamme, als einer der beliebtesten und talentiertesten Comicautoren Europas gelten, dessen Alben regelmäßig Rekordauflagen erzielen. Nun hat der 1939 in Brüssel geborene Szenarist seinen geordneten Einstieg in den Ruhestand angekündigt. Gert Bussens und Tom Vermeeren befragten den Starszenaristen für das belgische Fachmagazin Brabant Strip Magazine.
Die Entstehungsgeschichte von Largo Winch ist alles andere als geradlinig. Können Sie uns dazu mehr erzählen?
Ja, es ist etwas unübersichtlich, weil es mehrere Versionen von Largo Winch gibt. Die allererste Idee stammt von 1973 und war dazu gedacht, zu einer Comicserie für den amerikanischen Markt ausgearbeitet zu werden. Das kam auf Anregung von Greg, des damaligen Chefredakteurs des Tintin-Magazins, zustande, der die Zusammenarbeit zwischen frankobelgischen und US-Zeichnern und Autoren fördern und die Ergebnisse auf dem amerikanischen Markt publizieren wollte. Er war ganz begeistert von seiner Idee, die er auch noch vehement durchzusetzen gedachte, als er etwas später von Dargaud losgeschickt wurde, um den französischen Verlag und seine Comics in den USA bekannt zu machen. Damals jedenfalls nahm Greg mich eines Tages mit nach New York, weil ich gut Englisch spreche. Er machte mich mit Zeichner John Prentice bekannt, der nach dem Tod von Alex Raymond dessen Serie Rip Kirby fortgeführt hatte. Er nahm auch Kontakt zu Stan Drake auf, der zusammen mit seinem Freund Leonard Starr an Cannonball Carmody arbeitete, die Greg im Tintin-Magazin veröffentlichte, ebenso wie die Serie Kelly Green der beiden Amerikaner. Was Largo Winch betraf, so war geplant, dass Prentice meinen Szenarioentwurf umsetzen sollte.
Warum kam es nicht dazu?
Nach einigen Monaten, in denen wir haufenweise Briefe über den Atlantik schickten, hatte Prentice schließlich gerade mal neun ganze Seiten nach meinem Szenario fertiggestellt. Und diese noch nicht einmal ausgearbeitet, also noch oft ohne Hintergründe oder Details. Im gegenseitigen Einvernehmen beschlossen wir daraufhin, die Zusammenarbeit zu beenden. Ich kaufte meine Rechte an Largo Winch zurück und auch die Originalseiten von Prentice und beschloss, etwas anderes mit meiner Idee zu probieren.
Sie meinen die Romanserie Largo Winch?
Ganz genau. 1976 habe ich meinen ersten Roman geschrieben, in der Gewissheit, damit einen regelrechten Bestseller abzuliefern [lacht]! Was in keinster Weise geschah [lacht noch lauter]! Immerhin wurden vom ersten Buch 11.000 Exemplare verkauft, aber das war weder Flop noch Top. Heute kennen wir die Übersättigung eines Marktes auch bei den Comics, aber damals war das auf dem Buchmarkt schon so: Jede Woche erschienen 200 neue Titel, probieren Sie mal in dieser Menge aufzufallen als unbekannter Romanautor. Keine Chance!
Aber dann kam Largo Winch als Comicserie. Wie lernten Sie Zeichner Philippe Francq kennen?
Das war 1990, als er mich anrief und mich fragte, ob ich mir vorstellen könne, ein Szenario für ihn zu schreiben. Ich kannte sein Album Helen (dt. in der Reihe Erotic Souvenirs von Carlsen Comic Art) und seine Serie Léo Tomasini und konnte mir daher gut vorstellen, dass er ausreichend Potenzial besaß für die Art Actionserie, die mir vorschwebte. In zeichnerischer Hinsicht hatte er bestimmt noch etwas zu lernen, aber sein Gefühl von cinematographischer Darstellung war schon in seinen ersten Alben zu spüren. Francq denkt ähnlich wie ich über die Gestaltung, die Erzählweise einer Geschichte. Das sollte sich als deutlicher Vorteil für unsere Zusammenarbeit herausstellen. Ich schickte ihm also den ersten Largo-Winch-Roman zu und bat ihn um seine Meinung. Er war auf der Stelle angetan davon und konnte sich eine Adaption gut vorstellen.
Haben Sie viel an der Geschichte korrigieren müssen, um einen zweiten Misserfolg zu verhindern?
Die Comicfigur Largo sollte sich von dem Romanhelden unterscheiden. Francq musste eine ganze Reihe von Skizzen und Charakterstudien machen, bevor wir beide mit dem Ergebnis zufrieden waren. Es hat mich überrascht, dass dieselbe Geschichte als Comic Erfolg hatte und als Roman nicht …
Das Konzept, eine Geschichte über zwei Alben verteilt zu erzählen, hat sich von Beginn an bewährt.
Um eine anspruchsvolle und bisweilen komplizierte Handlung mit verschiedenen Erzähllinien für den Leser glaubhaft und nachvollziehbar zu machen, taugt das enge Korsett von 46 Comicseiten nichts. Ich verstehe zwar den Unmut einiger Leser, die es kaum aushalten können, ein ganzes Jahr auf die Fortsetzung der im ersten Album eines Zweiteilers begonnenen Geschichte zu warten. Aber so ist es nun einmal. In den meisten Fällen schreibe ich das komplette Szenario eines Zweiteilers fertig, bevor ich es an Francq schicke
Dann beginnt er mit seiner Fleißarbeit …
Ja, und er benötigt ziemlich genau zwei Jahre, um die zeichnerische Arbeit an einem kompletten Zweiteiler von 92 Seiten zu bewältigen.
Was gefällt Ihnen an den Zeichnungen von Francq am meisten?
Er ist durch und durch Profi. Darüber hinaus kann er sowohl Actionszenen glaubwürdig zeichnen wie Emotionen und Porträts überzeugend darstellen. Das gelingt nicht vielen Zeichnern. Wie ich schon sagte denkt er in dieser Hinsicht genau wie ich und schafft es, meine Geschichte in sehr filmischer Manier umzusetzen. Während des Entstehungsprozesses schickt mir Francq regelmäßig Vorzeichnungen seiner Seiten zu, und es kommt sehr selten vor, dass ich Änderungsvorschläge habe.
Wenn Sie auf Reisen gehen, um sich über die Handlungsorte für eine neue Geschichte zu informieren, schreiben Sie dann noch vor Ort das Szenario?
Niemals. Allerdings führe ich ein ausführliches Reisetagebuch und meine Frau, die mich stets begleitet, ist eine tolle Fotografin. Die Reise selbst genieße ich lieber, die Arbeit erledige ich zu Hause. Aber unterwegs zu sein ist sehr wichtig für mich, da mich das Reisen anregt und meine Fantasie beflügelt. Zusammen mit meiner jahrelangen Erfahrung gelingt es mir so, ein ziemlich realistisches Bild von der komplexen Welt zu zeigen, in der wir leben. Wahrscheinlich ist das mein Erfolgsrezept, dass ich immer wieder neue Ideen für meine Geschichten finde.
Wie verhält es sich eigentlich mit einem dritten Largo-Winch-Kinofilm, über den schon eine Zeitlang spekuliert wird?
Darüber kann ich nicht viel erzählen, weil ich nur für das Drehbuch verantwortlich bin. Ich habe bereits drei Fassungen geschrieben, die ich verschiedenen Produzenten vorgelegt habe. Eine definitive Fassung wird es aber erst geben, wenn ich mit dem Regisseur sprechen konnte. Nur – es gibt noch nicht einmal einen Regisseur [kurzes Schweigen]. Wie immer geht es um die Höhe des Budgets oder vielmehr um das Fehlen eines solchen. Einen Film zu produzieren ist so fürchterlich kostspielig. Und ich bin wirklich frustriert, wenn ich mir viele Ergebnisse anschaue, für die es ein Budget gab und die veröffentlicht werden. Ich frage mich dann wirklich, warum es mir nicht glückt, um für mein Projekt ausreichend Geld zusammenzubekommen?
Wissen Sie schon, wo die folgende Largo-Winch-Geschichte spielen wird?
Wahrscheinlich in Russland. Es gibt bereits in grobes Setting, aber ich weiß noch nicht einmal, ob ich mich als Szenarist eines weiteren Zweiteilers ins Spiel bringen kann [kurzes Schweigen]. Man soll doch aufhören, wenn's am schönsten ist, oder? Wenn die Magie dahin ist, ziehe ich lieber den Stecker und gebe meinen Stift an jemand anderen weiter. Ich möchte nicht nur eine Fortsetzung produzieren, weil es von mir verlangt wird. Da bleibe ich lieber mein eigener Herr über das Schicksal und suche neue Herausforderungen. Die habe ich kürzlich gefunden, als ich mein erstes Theaterstück geschrieben habe. Das bereitet mir sehr viel Freude und ich fühle mich wirklich wie ein Debütant.
Aber Sie schreiben noch Szenarios für Comics? Das 13. Album des XIII-Spin-Offs XIII Mystery soll von Ihnen stammen…
Das stimmt. Das Album wird 2018 erscheinen, dann werde ich achtzig Jahre alt, es ist also gut möglich, dass das mein letztes Szenario werden wird. Ich möchte in Schönheit sterben, wie man so sagt deshalb habe ich noch einmal alles gegeben. Das Szenario ist bereits fertig geschrieben, und Olivier Grenson wird die 54 Seiten zeichnen.
Und wie wird es mit Largo Winch weitergehen?
Ach, darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen! Francq ist inzwischen durchaus in der Lage, ohne mich klarzukommen. Wie gesagt, wir denken ganz ähnlich, deshalb traue ich ihm auch zu, ein Album ganz allein fertigzubringen. Das einzige, woran er noch arbeiten muss, ist, eine gute Geschichte zu schreiben. Wenn er eine gute Idee hat, kann ihm das aber auch gelingen. Vielleicht sollte er mal nach einem Romanautor suchen?! [lächelt verschmitzt, denn kurz nach diesem Gespräch gab Dargaud bekannt, dass der französische Journalist und Autor Eric Giacometti neuer Szenarist der Largo-Winch-Reihe wird.]
Übersetzung aus dem Flämischen von Volker Hamann
Abbildungen © Schreiber & Leser/Dupuis
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