Abt: Das ist aber hübsch geworden
Stefan Pannor im Interview:
Über Brian Woods und Ryan Kellys Grahpic Novel Local, warum es bei eidalon so ruhig war und die neue E-Book-Offensive
Der Brandenburger Kleinverlag eidalon brachte in diesen Tagen in seinem Imprint »Modern Tales« mit dem dicken Comic Local nach einer längeren Pause eine Neuerscheinungen auf den Markt. Das rund 400seitige Buch mit dem beeindruckenden Comic von Brian Wood und Ryan Kelly veröffentlicht die komplette zwölfbändige Oni Press-Maxiserie auf Deutsch in einem Band, plus unglaublich viel Bonus-Material.
Für den COMIC REPORT stellte Matthias Hofmann dem Pressesprecher Stefan Pannor, der gleichzeitig der Übersetzer des umfangreichen Werks ist, einige Fragen zur aktuellen Lage bei eidalon.
Um eidalon ist es dieses Jahr etwas ruhig geworden. Im Juli erschien nach längerer Durststrecke Brian Woods und Ryan Kellys Local als Gesamtausgabe mit rund 400 Seiten. Hat die Produktion des beeindruckenden Wälzers alle Ressourcen gebunden oder was steckt dahinter?
eidalon ist ein Kleinverlag, der nicht hauptberuflich betrieben wird. Infolgedessen kann es immer mal vorkommen, dass berufliche Verpflichtungen dazwischenkommen. In meinem Fall war es so, dass ich im Winter eine umfangreiche Sachbuchübersetzung gemacht habe (Ethik für Dummies, Wiley VCH, erscheint im Juli), den SPIEGEL-Online-Weihnachtskalender organisiert habe und diverse branchenübliche Kleinaufträge erledigt habe, wie einen Artikel für die SPEX, ein Vorwort für Carlsen oder die Titelstory für die Comixene.
Zudem hatten die Beiträge für den GCT oberste Priorität im Verlag: die komplette Übersetzung, das Lettering, Korrekturlesen des Wasteland-Heftes, der textliche Feinschliff bei Polly & die Piraten, beides jeweils in mehreren Durchgängen, um ganz sicher zu gehen, lagen bei mir, Lettering, Layout und Korrekturlesen bei Stefan Heitzmann. Außerdem natürlich die Erstellung der redaktionellen Inhalte der Hefte, für die wir ja immer wieder gelobt werden, aber das ist natürlich auch Arbeit. Der GCT stand als fixer, unabänderlicher Termin, hinter dem alle anderen Projekte zurückstehen mussten.
Dazu liefen unsere Vorbereitungen für unsere E-Comic-Projekte: ich habe im Winter den ersten Band Novotopia komplett neu übersetzt und den ersten Band Legends from Darkwood übersetzt, außerdem die komplette Alice im Wunderland-Miniserie erneut durchgesehen, außerdem natürlich die nötige redaktionelle Betreuung gemacht.
Erschwerend kam dazu, dass mitten in der Arbeit an Local unser Lektor zu höheren Weihen abberufen wurde, was natürlich die Produktion des Bandes nochmal verlangsamte – wer das Buch kennt, es hat einen extrem umfangreichen Textanhang, also viel Platz für mögliche Fehler, die gefunden und ausgebügelt werden müssen. Allgemein galt für mich gerade bei Local, dass es nicht rausgeht, ehe nicht wirklich jedes Komma sitzt. Local ist ein Prestigetitel, einer der meistgelobten Independent-Comics des vergangenen Jahrzehnts, und der hochbegabte Brian Wood allgemein als Perfektionist bekannt – es wäre schade gewesen, wenn unsere deutsche Ausgabe der englischen irgendwie nachgestanden hätte. Infolgedessen wurde der Band extrem oft durchgesehen und immer wieder an Details gefeilt.
Infolgedessen hat sich die Produktion des Buches stärker verzögert als wir gedacht hätten bzw. war es durch gewisse Umstände allgemein schwer, eidalon-Arbeiten zu erledigen. Immerhin habe ich in der Zeit auch den dritten Wasteland-Band übersetzt (auch hier wieder mit umfangreichen Textanhängen, außerdem diversen von mir exklusiv erstellten Inhalten). Wir sind also auf der sicheren Seite bzw. im Vorsprung bei den Printausgaben. Wasteland 3 werde ich diese Woche endlektorieren und dann hoffe ich, dass es noch diesen Monat zum Drucker geht.
Für welche Leser ist die dramatische Geschichte von Megan zu empfehlen?
Ich würde hier weniger von einer »dramatischen« Geschichte reden. Es ist der Roman eines Erwachsenwerdens, der natürlich auch dramatische Momente hat: Brian Wood und Ryan Kelly schicken ihre Hauptfigur schon durch die Scheiße, sie hat einen Junkie-Boyfriend, einen alkoholsüchtigen Bruder, gerät in eine Geiselnahme ... daneben gibt es aber auch völlig ruhige Momente, ganz normale Beziehungen, Mutter-Tochter-Gespräche, neue Jobs, neue Freunde. Local erzählt Megans Geschichte von ihrem 18. zu ihrem 30. Lebensjahr, mit allen Höhen und Tiefen. Es ist die Geschichte einer Frau, die lernt (lernen muss!) nicht vor allen Konflikten fortzurennen, und faszinierenderweise erzählen Kelly & Wood das in Form eines Roadmovies. (Nebenbei: für die deutsche Ausgabe war eine Zeitlang der Titel »Unterwegs« im Gespräch, dummerweise war ein gewisser Jack Kerouac da schneller.) Entscheidend für die Erzählung sind die Orte und Figuren, die Megan kennenlernt, manche erschreckend, manche obskur, manche berührend normal.
Drama gehört zu dieser Geschichte dazu, wie zu jeder Lebensgeschichte, genauso aber auch Liebe, Glück, Melancholie, Entspanntheit. Nebenher rekonstruieren Kelly & Wood perfekt die Neunzigerjahre, in denen ein Großteil des Buches spielt, mit all ihren Unsicherheiten, Veränderungen, kulturellen Details: das Jahrzehnt von Grunge und Post-Punk, in dem Rechner und Handys Alltagsgegenstände werden, seiner ganz eigenen Mode und dem Lebensgefühl.
Local ist demnach ein Comicroman (eine Graphic Novel) für Leser, die gewillt sind, sich auf eine umfassende, emotionale, gelegentlich bittere, gelegentlich herzergreifend schöne Lebensgeschichte einzulassen. Sicherlich auch interessant für alle Leser, die aktiv die Neunzigerjahre miterlebt haben, ungefähr in Megans Alter sind. Aber natürlich nicht nur. Um literarische Vergleiche zu bemühen, Local spielt für mich in einer Liga mit großartigen Zeit- und Menschenportraits amerikanischer Romanciers wie Michael Chabon (Cavalier & Klay) oder Jonathan Lethem (Festung der Einsamkeit), in denen die Verknüpfung realer Ereignisse und Orte mit fiktiven Figuren zu einem tieferen Verständnis von beidem führt.
Woah. Das sind ja schwere Geschütze. Aber ich habe die eidalon-Ausgabe von Local in den Händen gehalten und muss sagen, dass sie ein schönes Schmuckstück geworden ist. Außerden ist die Geschichte von Brian Wood in der Tat bemerkenswert gut. Ist nun das Pulver für 2011 verschossen oder ist noch mehr geplant für dieses Jahr, vielleicht zur Buchmesse in Frankfurt?
Für spezifisch die Buchmesse ist von unserer Seite nichts geplant, wir werden auch nicht als Verlag vertreten sein. Geplant für dieses Jahr ist: Wasteland 3 & 4 (jeweils ca. 160 Seiten), für Anfang nächsten Jahres der fünfte Band Courtney Crumrin. Dass wir noch andere Graphic Novels – als Einzelbände – in diesem Zeitraum veröffentlichen, ist nicht auszuschließen.
Ansonsten richten wir unser Augenmerk verstärkt auf E-Comics bzw. versuchen diese Sparte des Verlages zu etablieren, was natürlich gerade zu Beginn viel Arbeit bedeutet.
»Digitale Comics« ist ein Thema, das immer mehr Verlage beschäftigt. Selbst der kleine eidalon Verlag ist hier auch aktiv. Wie muss man sich das vorstellen?
Wir sind seit Beginn des Jahres im E-Comic-Bereich aktiv. Damit sind wir meines Wissens der erste deutschsprachige Verlag, der Lizenzcomics als E-Comics anbietet bzw. sogar der erste Verlag, der überhaupt in diese Richtung aktiv geworden ist.
Der erste Titel war die elektronische Version unserer Miniserie Alice im Wunderland von Rod Espinosa. Ebenfalls erschienen sind die ersten beiden Kapitel von Novotopia, ebenfalls von Rod Espinosa. Dieser Tage in den Verkauf gehen die Kapitel 3 bis 5 der Serie.
Darüber hinaus geplant ist die Miniserie Legends from Darkwood von Christopher Reid und John Kantz sowie sämtliche Kapitel von Novotopia – insgesamt 20. Alle Titel stammen im Original von Antarctic Press. Aktuell bemühen wir uns auch um die deutschsprachigen E-Book-Rechte anderer Verlage.
Wir richten unsere Titel speziell für Tablet-Leser ein, also iPad & Co, weil wir davon ausgehen, dass es im Comicbereich mindestens mittelfristig das optimale Lesegerät darstellt. Das Format einer US-Comicseite kommt der Monitorgröße optimal entgegen. Vertrieben werden unsere Titel über E-Comicshops wie Graphic.ly zu einem Preis von je $1,99, wobei das erste Heft einer Serie gratis ist. Daraus ergibt sich, dass eine komplette Miniserie wie Alice im Wunderland, knapp 100 Seiten Gesamtumfang in 4 Kapiteln, für weniger als sechs Dollar erhältlich ist, bzw. für weniger als fünf Euro. Bezahlbar ist sowas mühelos via Kreditkarte. Die Comicseiten sind für die Präsentation unverändert, der Kunde bekommt also das originale Werk, wie es der Künstler gedacht hat.
Unser Augenmerk richtet sich dabei natürlich zuerst auf Titel, die sich im Print als leider unrentabel erwiesen haben, wie z.B. Novotopia (von dem ein Band vor einigen Jahren gedruckt erschienen ist). Außerdem Titel, die wir langfristig lieferbar halten wollen, wie Alice im Wunderland. Mittelfristig sehen wir allerdings starkes Wachstumspotential im E-Comic-Bereich, entsprechend den Entwicklungen auf dem US-Markt. Das bedeutet, dass wir uns jetzt ein Standbein aufbauen, unsere Pläne – oder zumindest das, was wir andenken – natürlich darüber hinaus gehen, in die Möglichkeit, Graphic Novels und Miniserien anderer Verlage elektronisch zu publizieren.
Für den Kunden sehen wir hier vor allem einen Preisvorteil. Während die Preise von Printcomics permanent steigen, können wir mit den E-Comics (die natürlich auch am Rechner gelesen werden können) einen langfristig stabilen niedrigen Preis anbieten.
Die Comics sind z.B. hier erhältlich: Graphicly
Wer betreut diese Schiene bei euch und was in für die Zukunft geplant?
Die Lizenzen kauft Stefan Heitzmann ein, der z.B. in San Diego die Gespräche persönlich führt. Er lettert die Titel auch und führt das Lektorat ganz oder teilweise durch. Redaktionelle Betreuung aller Art liegt wie bei den Printcomics bei mir, das beinhaltet die Übersetzung, die redaktionelle Bearbeitung und Betreuung sowie die Endkontrolle nach dem Lektorat sowie das Erstellen/ Organisieren zusätzlicher Inhalte. Also im Grunde genau wie bei unseren Printcomics.
Foto © Madeleine Helbig
Abbildungen © eidalon Verlag & Brian Wood/Ryan Kelly