Ein Wald hat seine ganz eigene Mystik: knorrige Bäume, plätschernde Flüsse, magische Nebelschleier, raschelndes Laub. Besonders in klaren Nächten, wenn der Mond scheint, erstrahlt die Natur in einem fahlen, geheimnisvollen Licht.
Am 28. Februar 2012 wird Das Zeichen des Mondes bei Carlsen Comics erscheinen, eine märchenhafte Erzählung des spanischen Teams Bonet und Munuera, die durch ihre stimmige Grafik begeistert. CRON hat den Band für seine Leser vorab gelesen.
Das Zeichen des Mondes
Düstere Romantik in Schwarzweiß – mit einem Hauch von Blutrot
VON MATTHIAS HOFMANN
Das Mädchen Artemis lebt im »Zeichen des Mondes«, denn es ist vom Mond gezeichnet. Wir sind im spanischen Aldea in den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.
Artemis lebt in einem kleinen Dorf am Rande eines tiefen und weitläufigen Waldes. Mit ihrem kleinen Bruder unternimmt sie Erkundungstouren, aber nicht wie man er vermuten würde, wenn die Sonne scheint, sondern in der Nacht. Als ihr Bruder sie fragt, wohin der Weg führen würde, meint sie: »Wir sehen uns den Mond an«, und fügt hinzu: »Heute steht er im ersten Viertel, und ich möchte ihn in seiner vollen Pracht sehen.« Artemis ist fasziniert von dem mysteriösen Himmelskörper, der ihr bis in die Seele zu hineinzuleuchten scheint.
Ihr Leben wird gestört durch Rufo, den typischen Schulhofschläger, der rüpelhaft den Ton angibt und eine dreiste Bande befiehlt - und außerdem noch ein Auge auf Artemis geworfen hat. Auf der anderen Seite ist Reisig, der Außenseiter, der in sie verliebt ist, es aber nicht richtig zeigen kann. Und dann ist da noch »Nase«, eine Art klein und krumm gewachsener Zwerg Nase mit einem riesigen Riechorgan und einem übersinnlichen Geruchssinn, der immer wieder als Katalysator in der Geschichte auftaucht und zum Schluss eine essentielle Funktion ausübt.
Der Wald: Mystische Lichtspiele bei Munuera
In ihren Träumen wird Artemis von der Horrorvorstellung heimgesucht, dass ihr kleiner Bruder ertrinkt und sie ihn nicht retten kann. Und eines Tages kommt es soweit. Das Drama nimmt seinen Lauf. Daraufhin zieht sich Artemis von der Welt zurück.
Optik hui …
José Luis Munuera brach sein Kunststudium ab, um sich voll und ganz dem Comiczeichnen zu widmen. Der 1972 geborene Spanier arbeitete bereits im Alter von 24 Jahren mit Joann Sfar zusammen, um die Serie Die Potamoks zu zeichnen. Diese, wie alle folgenden Comics aus seiner Feder, erschienen auf Deutsch bei Carlsen. Es folgten Merlin, ein Kindercomic über die Jugendjahre des berühmten Zauberers, und eine langjährige Zusammenarbeit mit dem Szenaristen Jean-David Morvan. Mit ihm entstanden Alben für das Sillage-Universum, u.a. die Serie Nävis, und von 2005 bis 2008 drei Alben einer der frankobelgischen Vorzeigeserien in Sachen humoristische Abenteuercomics: Spirou & Fantasio (eines weiteres Album entstand nach einer Geschichte von Yann).
Munueras Stil ist modernisierte École Marcinelle mit Manga-Einflüssen, die er geschickt in seinen Bilderfluss einwebt. Bei Das Zeichen des Mondes kann seine Kunst so richtig glänzen, denn seine Schwarzweißzeichnungen werden nicht durch eine, wie auch immer geartete, Kolorierung verwässert. Das Buch ist voller ruhiger Momente, die düster, melancholisch und nachdenklich daher kommen, und Munuera schafft ihnen den Raum, den sie brauchen, um auf den Leser zu wirken. Geschickt werden Seiten in den Erzählfluss eingeflochten, die von einem großen Panel dominiert sind. Auch vor doppelseitigen Motiven schreckt er nicht zurück und schafft es, diese so zu komponieren, dass sie nicht wie Seitenschinderei wirken.
Faszination Mond: Artemis und ihr kleiner Bruder sind hingerissen
Sobald die Handlung actionreich wird, oder bei Dialogen, werden die Panels kleiner. In einer Kampfszene zwischen Rufo und Reisig bringt er auch schon mal 16 gleichgroße Bilder unter. Kinematografische Kamerafahrten und Makro-Einstellungen sind fast schon obligatorisch.
… Story pfui
Die Geschichte von Enrique Bonet fällt dagegen, man ahnt es schon, ab. Für Bonet ist es das erste und bislang einzige Comicalbum, das er geschrieben hat. Er ist selbst Zeichner, jedoch im Bereich Kinderbuch zu Hause. Seine Handlung hat er zweigeteilt: die Geschichte der Kinder Artemis, Reisig und Rufo und die Geschichte der Erwachsenen Artemis, Reisig und Rufo. Letztere spielt »Jahre später« und fällt in ihrer Grundspannung ziemlich ab.
Das mag daran liegen, dass der Leser in der ersten Hälfte von Das Zeichen des Mondes ziemlich im Dunkeln tappt und nicht alle Aktionen der Protagonisten, inklusive des skurrilen Charakters namens Nase, nachvollziehen kann, und dabei die Erwartung steigt, dass alles mit einer großen Konklusion aufgelöst werden wird. Doch ein befriedigender Aha-Effekt will sich bis zuletzt nicht einstellen.
Als Erwachsene treffen sie wieder aufeinander: Artemis und Rufo
Die Erzählung hat einen phantastischen Anstrich. Reisig versteht das, was die Tiere im Wald sprechen. Im Wald lauern Monster, zumindest in der Phantasie der Kinder. Und auch in dem bodenlosen Brunnen, der Artemis' Bruder zu Verhängnis wird, scheint ein nicht von dieser Welt stammendes raupenartiges Riesenungetüm zu hausen. Bonet hat ein paar Elemente aus katalanischen Legenden, sowie auch hierzulande bekannten Märchen, in die Story »verwurstet« und als buchstäblich etwas Farbe in Spiel kommt, nämlich als Artemis einen roten Kapuzenmantel anzieht, sieht sie gar aus wie ein unschuldiges Rotkäppchen.
Nüchtern betrachtet besteht die Handlung aus einer Ansammlung leidlich bekannter Klischees, die einen nicht vom Hocker reißen. Aber das müssen sie gar nicht, denn dies besorgen schon die Zeichnungen.
14 Jahre in der Mache
Auf der letzten Seite des Comics stehen neben den Namen der Autoren die Jahreszahlen 1995 und 2009. Die Ursprünge der Story gehen so weit zurück, denn bereits Mitte der 1990er Jahre schrieb Bonet die Geschichte erstmals auf und es entstanden in einer Erstfassung in Kollaboration mit Munuera 24 Seiten, die viele Jahre später als Grundlage für Das Zeichen des Mondes verwendet wurden. Das zeigt auch, dass Munuera über all die Jahre stark von diesem Stoff angetan war, dessen Klischees aus archetypischen Motiven bestehen: die Furcht vor dem Wald, die Sehnsucht nach dem Mond, die Angst ein geliebtes Familienmitglied zu verlieren, unerfüllte Liebe.
Wer die bisherigen Arbeiten von Munuera kennt, der sieht eine erneute Weiterentwicklung. Mit seiner starken grafischen Umsetzung, ob mit schwarzer Tusche oder Gouache bei den Grautönen, reißt er die Eisen von Bonet, die dieser sehr weit in die Flammen hineingeworfen hat, aus dem berühmten Feuer und schafft ein letztlich befriedigendes Comic-Leseerlebnis.
Abbildungen © Carlsen Comics / Bonet & Munuera
Die Daten
Das Zeichen des Mondes (Originaltitel: »Le Signe de la Lune«)
Autor: Enrique Bonet, Zeichner: José Luis Munuera
Carlsen Comics
Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock
Hardcover, s/w, etwas rot, 136 Seiten, 22,5 x 30,1 cm, 29,90 Euro, ISBN 978-3-551-73423-5
Weiterführender Link:
Homepage des Verlags: Carlsen Comics