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Von Geheimagenten und Superhelden

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In puncto Comicverfilmungen brachte das Filmjahr 2017 bislang ebenso viel Licht wie Schatten. Während »Logan« durch seinen Ernst, »Spider-Man: Homecoming« durch seinen Hauptdarsteller und »Wonder Woman« durch Humor, Herz und Frauenpower überraschte, bot der zweite Teil der »Guardians of the Galaxy« zwar Unterhaltung auf höchstem Niveau, aber nichts Neues. »Ghost in the Shell« und »Valerian – Die Stadt der tausend Planeten« lieferten spektakuläre Bilder, blieben aber erzählerisch wie kommerziell weit hinter ihren Möglichkeiten. »Wilson – Der Weltverbesserer« wiederum nahm kaum einer zur Kenntnis. CRON hat sich einmal angesehen, was vom Rest des Filmjahrs zu erwarten ist und wagt ein paar Prognosen.

Atomic Blonde (Start: 24.08.)

Den Anfang macht ein eiskalter Thriller. Kurz vor dem Mauerfall stolziert die britische MI6-Agentin Lorraine Broughton (Charlize Theron) auf mörderischen Absätzen nach Berlin, um eine hochbrisante Liste in die Finger zu bekommen. Hinter der sind auch ihr windiger Kollege David Percival (James McAvoy), die wuchtigen Russen um Aleksander Bremovych (Roland Møller) und die wundersame Französin Delphine Lasalle (Sofia Boutella) her. Bis zum Schluss bleibt offen, auf welcher Seite die unterkühlte Blonde in diesem Verwirrspiel steht.
atomic blonde 03 gespiegeltFür seine erste eigenständige Regiearbeit hat sich David Leitch Antony Johnstons und Sam Harts The Coldest City auserkoren und seiner schlagkräftigen Hauptdarstellerin den comicerfahrenen James »Professor X« McAvoy an die Seite gestellt. Um visuell nicht wie ein »Sin City«-Abklatsch zu wirken, hat Leitch das kontrastreiche Schwarz-Weiß der Vorlage in kühl leuchtende Neonfarben überführt. Gemeinsam mit einem poppigen Soundtrack und viel Zeitkolorit kommt im Kino ordentlich 80er-Jahre-Nostalgie auf, sofern einem angesichts der Brutalität nicht der Spaß vergeht.
Denn Charlize Theron, die den Film mitproduziert hat, prügelt und mordet sich durch die geteilte Stadt, als gäbe es kein Morgen. Jeder Schlag sitzt, die Logik leidet. Und die Figuren bleiben noch eindimensionaler als in der Vorlage, sind dafür aber immer gut angezogen. Als ehemaliger Stuntman, Second-Unit-Regisseur und Koregisseur von »John Wick« (2014) weiß David Leitch, wie er die tödlichen Scharmützel sehenswert in Szene setzt. Das versprüht mal etwas vom Hochglanz und der Eleganz eines James Bond, mal etwas von der handfesten Bodenständigkeit eines Jason Bourne. So viel Akribie wie bei den Stunts hätte dem Drehbuch gutgetan. Denn eine Wendung zu viel führt die eh schon heillos verworrene Handlung am Ende vollends ad absurdum.

CRON meint: Während Charlize Theron mit »Atomic Blonde« ihren Status als sexy Actionikone zementiert, zeigt David Leitch nach der Zusammenarbeit mit Koregisseur Chad Stahelski an »John Wick«, dass er auch allein atemberaubende Faustkämpfe und Verfolgungsjagden auf die große Leinwand bringen kann. Wie schon in »John Wick« zählt hier die makellos durchchoreografierte Oberfläche mehr als der Inhalt, worunter Übersicht und Logik irreparable Schäden erleiden. Wer auf überwältigende Action steht und kein Problem damit hat, sein Hirn für zwei Stunden an der Kinokasse abzugeben, ist hier genau richtig.

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Kingsman: The Golden Circle (Start: 21.09.)

Mit Agenten geht es auch im September weiter. Streng genommen ist »Kingsman: The Golden Circle« gar keine Comicverfilmung, da lediglich der erste Teil, »Kingsman: The Secret Service«, auf einer Vorlage beruht. Regisseur Matthew Vaughn landete mit der Kinoversion von Mark Millars und Dave Gibbons' Agentenparodie vor zwei Jahren einen Überraschungshit bei Publikum und Kritikern. Den Anstoß zum Comic gab Vaughn übrigens selbst, als er sich bei den Dreharbeiten zu »Kick-Ass« (2010) mit Mark Millar über das »James Bond«-Reboot »Casino Royale« (2006) unterhielt. Zu gern hätten beide Bonds Ausbildung gesehen, und die Idee zum Comic ward geboren. Darin, wie später auch in der Verfilmung, folgen wir Gary »Eggsy« Unwin (Taron Egerton), einem vorlauten Kleinkriminellen aus der Vorstadt, und seinem Mentor Harry Hart (Colin Firth). Der sieht in dem Jugendlichen Potenzial und wirbt ihn für die Kingsmen an. Diese als Edelschneider getarnte Organisation mit Sitz in der Londoner Savile Row operiert weltweit als unabhängiger Geheimdienst. Diskretion ist die oberste Maxime. Selbst andere Geheimdienste wissen nichts von der Existenz der selbst ernannten Ritter der Neuzeit.


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Im zweiten Teil dieser »My Fair Lady« des Agentengenres muss sich Superspion »Eggsy« mit seinen Kollegen aus Amerika (Halle Berry, Channing Tatum, u.a.) verbünden, um einen gemeinsamen Feind zu besiegen.
»Kingsman« ist mehr als eine bloße Hommage oder Parodie. Trotz aller Anspielungen funktioniert die Reihe im Gegensatz zu manch anderer Spionagekomödie auch im referenzfreien Raum. Mehr noch: Durch originelle Ergänzungen und mehr Liebe zu den Figuren ist die Adaption dem an vielen Stellen doch recht platten Original deutlich überlegen.
Bleibt zu hoffen, dass Matthew Vaughn diese überbordende Kreativität in die Fortsetzung hinüberretten kann. Dann dürften diejenigen, die sich an den wahnwitzigen Plänen der Bond-Bösewichte nicht stören und die bonbonbunte Gewalt aus Vaughns Comicverfilmung »Kick-Ass« mögen, erneut große Freude haben. Ob sich das Ganze dann noch so frisch und unverbraucht wie beim ersten Teil anfühlt, steht auch einem anderen Blatt.

CRON meint: An Matthew Vaughns Erfahrung und Können besteht kein Zweifel. Und auch der Cast des zweiten Teils kann sich mit seinen amerikanischen Neuzugängen mehr als sehen lassen. Falls Vaughn und seiner Koautorin Jane Goldman die wahnwitzigen Einfälle nicht ausgegangen sein sollten, dürfte auch »Kingsman: The Golden Circle« ein Volltreffer werden.

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Thor: Tag der Entscheidung (31.10.)

Unter all den Superheldenfilmen zählen die um Thor zu den amüsantesten. Aber vermutlich ist eine Hammer schwingende und Flügelhelm tragende Hauptfigur auch nur mit einem ordentlichen Schuss Humor zu ertragen. Chris Hemsworth gibt den Donnergott nunmehr seit sechs Jahren in einer stimmigen Mischung aus Sex-Appeal und Selbstironie. Für die Romantiker gab's eine Liebesgeschichte mit Natalie Portman. Und Tom Hiddleston als Oberschurke Loki ist ebenfalls nicht zu verachten.
Im dritten Teil bekommt es der Blondschopf, dieses Mal nicht durchgängig mit langer Mähne, mit Todesgöttin Hela (Cate Blanchett) zu tun. Um den Untergang Asgards um Göttervater Odin (Anthony Hopkins) zu verhindern, muss er zunächst einen Gladiatorenkampf gegen seinen alten Avengers-Kumpel Hulk (Mark Ruffalo) auf dem Planeten Sakaar bestehen, bevor es laut Schauspieler Mark Ruffalo auf eine Art Roadtrip zur Rettung der Götterwelt geht. Alte Bekannte wie Dr. Strange (Benedict Cumberbatch) schauen unterwegs auch mal vorbei.
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Der interessanteste Neuzugang sitzt jedoch auf dem Regiestuhl. Mit dem Neuseeländer Taika Waititi (links) nimmt dort ein Talent Platz, dass sich bislang weniger mit überbordender Action als mit liebevoll verschrobenen Figuren und schrägem Humor hervorgetan hat. Wer Waititis Komödien von »Eagle vs Shark« (2007) über »5 Zimmer Küche Sarg« (2014) bis »Wo die wilden Menschen jagen« (2016) gesehen hat, drückt dem Neuseeländer die Daumen, dass er sich bei seiner ersten Großproduktion genügend künstlerische Freiheiten herausnehmen durfte. Erste Trailer und Waititis Aussage, das 80 Prozent der Dialoge improvisiert seien, lassen zumindest darauf hoffen.

CRON meint: Regisseur Taika Waititi begeistert seine Fans mit seinem ganz eigenen Humor. Jüngst landete sein Film »5 Zimmer Küche Sarg« bei einer internationalen Kritikerumfrage der britischen BBC gar unter den besten 100 Komödien aller Zeiten. Sein Starensemble, allen voran die Oscarpreisträger Anthony Hopkins und Cate Blanchett, beherrscht die gesamte Klaviatur zwischen hochdramatisch und urkomisch. Schafft es Waititi, genug von seinem persönlichen Stil in diese Großproduktion zu retten, könnte »Thor: Tag der Entscheidung« der witzigste Superheldenfilm des Jahres werden.

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Justice League (16.11.)

Während Taika Waititi mit seiner ersten Comicverfilmung Neuland betritt, hat Zack Snyder dort bereits tiefe Spuren hinterlassen. Die Adaption von Frank Millers 300 steht ebenso in Snyders Vita wie Alan Moores und Dave Gibbons' Watchmen sowie die Superheldenvehikel »Man of Steel« (2013) und »Batman v Superman: Dawn of Justice« (2016). Während Snyders millionenschwere Filme ihre Produktionskosten auf dem Weltmarkt allesamt, manche um ein Vielfaches wieder einspielten, kamen sie bei der Filmkritik bislang selten an. Snyders überstilisierte Materialschlachten sehen sich, nicht zu Unrecht, dem Vorwurf des Zynismus ausgesetzt.

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Nachdem der Regisseur Zack Snyder (dritter von links) Henry Cavill (rechts) als neuen Superman in »Man of Steel« bereits selbst eingeführt hat und in »Batman v Superman« an der Seite von Ben Affleck (dritter von rechts) als neuem Batman und Gal Gadot als Wonder Woman sterben ließ, schließen sich die Überlebenden nun gemeinsam mit Aquaman (Jason Momoa, links), The Flash (Ezra Miller, zweiter von links) und Cyborg (Ray Fisher, zweiter von rechts) zur titelgebenden Gerechtigkeitsliga zusammen, um den Bösewicht Steppenwolf (Ciarán Hinds) zu bekämpfen. Alte Bekannte des DC Extended Universe wie Amy Adams als Lois Lane, Jesse Eisenberg als Lex Luthor, Connie Nielsen als Amazonenkönigin Hippolyta und Jeremy Irons als Batmans Butler Alfred sind ebenfalls zu sehen.
Bislang hinkte DC der Konkurrenz aus dem Hause Marvel mit seiner ersten Superheldenkollaboration um Jahre hinter. Und auch dieses Mal stand kein guter Stern über dem Projekt. Nach einer Familientragödie gab Zack Snyder einige nachträgliche Dreharbeiten und die Postproduktion an Joss Whedon (»Firefly«, »Buffy«, »The Avengers«) ab. Ob das etwas an der Grundstimmung des Films ändert, bleibt abzuwarten.

CRON meint: »Justice League« sollte eine deutlich leichtere Kost als sein Vorgänger »Batman v Superman: Dawn of Justice« werden. Erste Trailer lassen allerdings das Gegenteil vermuten. Ob sich das bereits von Zack Snyder abgedrehte Material durch neue, von Kollege Joss Whedon gefilmte Szenen und eine geschickte Montage in der Postproduktion noch aufhellen lässt, ist fraglich. Zudem läuft der Film durch seine Vielzahl an Figuren ähnlich wie »Suicide Squad« (2016) Gefahr, sich in zu vielen Nebenkriegsschauplätzen zu verzetteln. Wer auf Snyders Brachialgewalt steht, dürfte mit einem Kinobesuch aber nichts falsch machen.

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© Universal Pictures, 20th Century Fox, Disney / Marvel Studios, Warner Bros. Entertainment Inc./ Ratpac-Dune Entertainment LLC


Die nackten Fakten:

Atomic Blonde
USA 2017, 115 Min.
Regie: David Leitch
Drehbuch: Kurt Johnston
Darsteller: Charlize Theron, James McAvoy, Sofia Boutella, John Goodman, u.a.
Start: 24.08.2017

Kingsman: The Golden Circle
USA/GB 2017, ca. 135 Min.
Regie: Matthew Vaughn
Drehbuch: Jane Goldman, Metthew Vaughn
Darsteller: Taron Egerton, Halle Berry, Channing Tatum, Colin Firth, u.a.
Start: 21.09.2017

Thor: Tag der Entscheidung
USA 2017
Regie: Taika Waititi
Drehbuch: Eric Pearson
Darsteller: Chris Hemsworth, Cate Blanchett, Tom Hiddleston, Benedict Cumberbacth, u.a.
Start: 31.10.2017

Justice League
USA 2017
Regie: Zack Snyder
Drehbuch: Chris Terrio
Darsteller: Gal Gadot, Ben Affleck, Jason Momoa, Ezra Miller, Henry Cavill, Amy Adams
Start: 16.11.2017