In den USA war die Fortsetzung der Comicverfilmung Wonder Woman (2017) bereits zu sehen und Teil von Warner Bros. neuer, coronabedingter Strategie. Dort startete Wonder Woman 1984, so der Titel von Patty Jenkins' neuem Film, zeitgleich in den Kinos und als Video-on-Demand. Weil in Deutschland die Kinos aber immer noch geschlossen sind, kommt es hierzulande nun zu einem Novum: Noch vor dem offiziellen Kinostart (über den wir bereits in ALFONZ Nr. 4/2020 spekulierten) geht das Superheldinnen-Spektakel im Bezahlfernsehen über den Äther. CRON hat Gal Gadot in ihrer Paraderolle als Diana Prince beim Weltretten über die Schulter geblickt und verrät, ob sich das Einschalten lohnt.
Be careful
what you wish for!
Manche Couch-Potato mag sich dieses Szenario schon lange gewünscht haben: Statt den Hintern hochbekommen zu müssen und ihn in einen Kinosessel zu verfrachten, kann man die neuesten Filme bequem im eigenen Wohnzimmer genießen. Die Corona-Krise macht's möglich. Als Warner Bros. im Dezember 2020 ankündigte, all seine Filmproduktionen in den USA künftig nicht nur regulär in den Kinos, sondern zeitgleich auch auf dem eigenen Streaming-Portal HBO Max zu starten, ging ein Beben durch die Branche. Schon einige Monate zuvor hatte die Walt Disney Company die Kinolandschaft erschüttert, als das Haus mit der Maus, weil die Kinos wegen der Corona-Pandemie gerade dicht waren, seine Multimillionen-Dollar-Produktion Mulan einfach auf dem eben erst gestarteten, hauseigenen Streaming-Kanal Disney+ zeigte. Herausragende Produktionen wie der Pixar-Film Soul folgten. Bekanntlich gehören auch die Marvel Studios zum Disney-Konzern. Dass Filme wie Black Widow, Eternals und Co. am Ende nur auf Disney+ zu sehen sein könnten, klingt im Jahr 2021 also gar nicht mal so abwegig. Die Wahrscheinlichkeit steigt sogar, je länger die Kinos geschlossen bleiben. Und was für das Marvel Cinematic Universe (MCU) am Horizont aufscheint, scheint auch im DC Extended Universe (DCEU) kein Ding der Unmöglichkeit mehr. HBO Max ist zwar in Deutschland weiterhin nicht zu haben, doch der Bezahlsender Sky, der ohnehin einen Großteil der HBO-Produktionen im Programm hat, macht nun vor, wie es gehen könnte. Wonder Woman 1984 ist dort ab 18. Februar exklusiv und für Abonnenten ohne Aufpreis zu haben. Ein echter Marketing-Coup, der im Erfolgsfall weitere Abwanderungen vom Kino ins Wohnzimmer nach sich ziehen könnte. Doch lohnt sich Wonder Womans zweiter Streich überhaupt?
Abermals in Aktion: Gal Gadot als Titelheldin Wonder Woman.
Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an
Wonder Woman feierte 2017 gleich mehrere Premieren. Es war die erste Comicverfilmung aus dem MCU und DCEU, in der eine Superheldin im Zentrum stand, die erste, bei der eine Frau Regie führte und die erste Hollywood-Produktion einer Regisseurin, die an den Kinokassen mehr als 100 Millionen US-Dollar einspielte. Zudem war es die erste wirklich große Rolle für Gal Gadot, die damit ganz nebenbei bewies, dass sie nicht nur schmückendes Beiwerk sein, sondern einen Film dieser Größenordnung auch mühelos tragen kann. Bei all dem fragte man sich, wo die Regisseurin Patty Jenkins nach ihrem Kritikerliebling Monster (2003) so lange abgeblieben war. (Beim Fernsehen, weil das Kino in Hollywood leider weiterhin fest in Männerhand ist.) Vor allem aber fagte man sich eins: Wieso hat all das so verdammt lange gedauert?
Das Presse-Echo war dementsprechend positiv. Action war nicht länger Männersache und Mädchen und Frauen (und vielleicht ja auch ein paar Jungs und Männer) hatten endlich auch im Kosmos des Comickinos eine Heldin mit Vorbildfunktion. Die Schwächen des Films wurden dabei geflissentlich übersehen. Zwar drehte er die typischen Rollenverhältnisse geschickt um. Auch kam die Heroine weitaus ironischer und humorvoller als etwa Christopher Nolans erdenschwerer und düster-prätentiöser Batman oder Zack Snyders unerträglicher, vor Pathos und Kitsch triefender 3D-Bombast daher. Diese Stärken waren aber nur im vollauf gelungenen Mittelteil des Films zu finden. Gegen Ende verkam auch Wonder Woman zur pathetischen Materialschlacht. Das war nicht zuletzt der Hauptfigur und dem Setting geschuldet, traf hier doch eine unbeleckte Idealistin auf die Gräuel des Ersten Weltkriegs, den sie mit einer Truppe Gleichgesinnter im Alleingang beendete. In der Fortsetzung ist das anders.
Götter altern nicht: Auch 1984 sieht Diana Prince noch immer blendend aus und hat nichts von ihrem Humor eingebüßt.
Dianas Idealismus ist Pragmatismus gewichen. Wenig verwunderlich, weilt die unverwundbare Amazone doch mittlerweile seit 66 Jahren unter den Sterblichen. Hauptberuflich arbeitet sie als Anthropologin im Smithsonian Institute in Washington D.C., nebenberuflich rettet sie Joggerinnen vor unachtsamen Autofahrern oder vermöbelt Juwelenräuber im Kaufhaus. Was 1918, als sie erstmals in diese Welt trat, noch neu und aufregend war, ist längst Routine. So prickelnd, wie Dianas Kollegin Barbara Minerva (Kristen Wiig) vermutet, ist Dianas Leben nicht. Diese Superheldin steigt jede Nacht allein ins Bett. Die Lücke, die Steve Trevor (Chris Pine) in ihrem Leben hinterlassen hat, hat kein anderer geschlossen. Die Andenken an den gefallenen Piloten sprechen Bände. Steves Armbanduhr liegt verloren im Regal wie ein mahnendes Zeichen, dass die Zeit eben doch nicht alle Wunden heilt.
Doch dann tritt der Öl-Tycoon Maxwell Lord (Pedro Pascal) und mit ihm ein geheimnisvolles Artefakt auf den Plan, das alles durcheinanderwirbelt. Mit 66 Jahren fängt das Leben (dem großen österreichischen Philosophen Udo Jürgens nach) bekanntlich an. Auch für die unverwundbare, aber innerlich tief verletzte Kriegerin geht es nun erst richtig los.
Willkommen in den 80ern: Die Klamotten und Frisuren lassen keine Wünsche offen.
Wünsch Dir was
Das klingt jetzt alles furchtbar depressiv und erweckt einen falschen Eindruck. Denn Wonder Woman 1984 ist viel leichtfüßiger, unterhaltsamer und alberner als sein Vorgänger und schafft es dabei trotzdem, ernster als dieser zu sein, gerade weil der Ernst unter der albernen Fassade nicht so aufgesetzt wie im ersten Teil wirkt.
Wie schon der Auftakt schreibt auch die Fortsetzung die Historie augenzwinkernd um. Nach dem Ersten Weltkrieg sind nun die Achtziger an der Reihe. Im Filmtitel klingt George Orwells dystopischer Roman zwar an, doch das Jahr 1984 ist hier kein bisschen düster. Zwischen Einkaufsbummeln in der Shoppingmall und Aerobic in der Muckibude leuchten die Neonlichter allzu grell, vor allem aber viel zu dicht gesät. Doch der erste Eindruck täuscht. Was auf den ersten Blick wie das seit einigen Jahren beliebte Baden in 80er-Nostalgie aussieht, hat hinter der poppig-bunten Fassade mehr zu bieten. Das Jahrzehnt ist mit Bedacht gewählt. Patty Jenkins erzählt vom Anfang vom Ende, von einem Imperium im Niedergang. Schuld ist – wie sollte es dieser Tage auch anders sein? – der Kapitalismus.
Diente der Erste Weltkrieg im ersten Teil als Folie, um Hass zu ergründen, geht es nun um die menschliche Gier. Pedro Pascal lässt die Hosenträger seines Maßanzugs wie einst Michael Douglas in Wall Street (1987) schnalzen. Und Kristen Wiigs Mauerblümchen Barbara Minerva blüht erst im sündhaft teuren Cocktailkleid samt Stilettos an den Füßen so richtig auf. In diesem Jahrzehnt will jeder mehr. Mehr Geld, mehr Ruhm, mehr Macht und höhere Absätze. Im Zweifelsfall immer das, was man selbst nicht, aber der andere hat. Auch wenn der Präsident in diesem Film kein ehemaliger Filmcowboy ist, lässt seine Wirtschaftspolitik grüßen. Reaganomics, ick hör dir trapsen! Und bald macht eine Wunschmaschine all die Gier auch möglich.
Das Artefakt ist eine Art Wunderlampe, allerdings mit Haken. Dass sich daran auch Diana gehörig ins Fleisch schneidet, ist eine große Stärke dieses Films. So unbeschadet wie im Ersten Weltkrieg kommt die Protagonistin dieses Mal nicht davon. Die seelisch Verwundete trägt alsbald auch am Körper tiefe Schrammen. Eine Entwicklung, die dem Franchise guttut, schließlich kommt durch diese unerwartete Komponente deutlich mehr Spannung als noch im ersten Leinwandauftritt auf.
Ein echter Kraftakt: Dieses Mal gerät Wonder Woman an ihre körperlichen Grenzen.
Es bleibt nicht die letzte gute Idee des Drehbuchs, das die Regisseurin gemeinsam mit Geoff Johns und Dave Callaham geschrieben hat. Auch das Wunderlampen-Motiv erfährt eine kluge Variation, die in der Frage gipfelt, wie viel Macht ein Mensch auf sich vereinen kann, ohne daran wortwörtlich zu zerbrechen. Und ganz nebenbei ist wie schon Wonder Woman auch Wonder Woman 1984 eine ausgezeichnete Screwball Komödie. Denn Trevor kehrt zurück – nicht irgendwo aus dem ewigen Eis wie Captain America oder mittels eines Eingriffs ins Raum-Zeit-Kontinuum, sondern als wahr gewordener Wunsch in einem fremden Körper, was in diesen so aufgeheizten Zeiten in den USA freilich nicht ohne kritische Reaktionen blieb.
Tausend Tränen tief
Ach, es könnte so schön sein! Albernheit und Ernst, verspielte Action und traurige Romanze – all das vereint Wonder Woman 1984 in zweieinhalb wie im Flug vergehenden Stunden. Das wir uns nicht falsch verstehen: Das vollzieht sich selbstredend auf Blockbuster- und nicht auf Arthouse-Kino-Niveau. Doch es kann die frömmste Popcorn-Unterhaltung nicht in Frieden bleiben, wenn es dem bösen Überinterpreten nicht gefällt. Weil Trevor nicht in seinem eigenen Körper, sondern in dem eines anderen von den Toten aufersteht und Diana danach nicht nur bei der Weltrettung hilft, sondern auch mit ihr ins Bett steigt, stehen wahlweise die Amazonenkriegerin allein oder Diana im Verbund mit ihrem Bettgesellen unter Vergewaltigungsverdacht. Schließlich habe der fremde Mann, in dessen Körper Trevor steckt, dem Sex nicht zugestimmt, so der Vorwurf. Nachzulesen ist das etwa hier oder hier.
Nicht nur ein Actionfeuerwerk: Neben spektakulären Stunts hat Patty Jenkins dieses Mal auch Herzschmerz zu bieten.
Eine solche Lesart ist natürlich möglich, zeugt aber auch von zu viel respektive zu wenig Fantasie. Man muss schon arg um die Ecke denken, um aus einem verspielten Körpertausch, der für den Rest der Handlung keinerlei Rolle spielt, eine solche Debatte zu konstruieren. Und man muss schon ziemlich einfallslos sein, um in einem Film voller fantastischer Elemente, in der das Wunschdenken der Figuren Wirklichkeit wird, gerade dieses Element für bare Münze zu nehmen. Mit etwas mehr Fantasie ließe sich Trevors Wiederkehr beispielsweise vollständig als Dianas Hirngespinst interpretieren und die gesamte Handlung als innerer Prozess. Eine Art visualisierte Trauerarbeit. Ein Traum. Ein Wunsch. Ein Wunschtraum ...
Wie schon vor vier Jahren brennt Patty Jenkins diese (inneren) Prozesse ihrer Protagonistin auch dieses Mal als Actionfeuerwerk ab. Und weil sie sich traut, ihre Hauptfigur behutsam weiterzuentwickeln, brennt es dieses Mal zwar nicht ganz so hell, dafür aber umso schöner.
[Falk Straub]
Fotos: © 2020 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.
Photo Credits: Clay Enos/ ™ & © DC Comics; Courtesy of Warner Bros. Pictures/ ™ & © DC Comics
Weiterführender Link:
Homepage des Filmstudios: Warner Bros.
Seite des Films bei Warner Bros.: Wonder Woman 1984
Vorschau auf den Film von Simone Bauer in ALFONZ Nr. 4/2020