»Was ist das für ein Monstrum?«
FRISCH GELESEN: Archiv
Story: Jean-David Morvan (nach Edgar Rice Burroughs)
Zeichnungen: Rafael Ortiz
Splitter
Hardcover | 120 Seiten | Farbe | 25,00 €
ISBN: 978-3-98721-419-6
Genre: Abenteuer
Für alle, die das mögen: Dinosaurier, Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde, Arthur Conan Doyles Vergessene Welt und Edgar Rice Burroughs' Das vergessene Land
Was passiert, wenn ein literarischer Abenteuerklassiker auf das dynamische Erzählen des Comics trifft? Im Fall von Am Mittelpunkt der Erde entsteht ein visuell kraftvolles Werk, das den bekannten Stoff mit frischem Schwung versieht – ohne den mitunter zweifelhaften Charme der Vorlage zu verlieren. Mit dem Comic setzt der Splitter Verlag seine Reihe von Burroughs-Geschichten fort.
Ein waghalsiger Bohrer, eine verborgene Welt und ein Held wider Willen – willkommen in Pellucidar! Als der exzentrische Wissenschaftler Dr. Abner Perry gemeinsam mit dem jungen Abenteurer David Innes ein neuartiges Bohrfahrzeug testet, rechnet niemand damit, wo sie landen: tief im Inneren der Erde – in einer bizarren, urzeitlichen Welt namens Pellucidar. Diese üppige, bisher völlig unerforschte Welt beherbergt eine wilde und gefährliche Tierwelt sowie eine primitive menschliche Zivilisation. Letztere wird von den Mahars, riesigen reptilienartigen Wesen, unterdrückt, die von affenartigen Kreaturen unterstützt werden. Entschlossen, Licht ins Dunkel dieses Ökosystems zu bringen und die versklavten Menschen zu befreien, begeben sich die beiden Männer auf eine abenteuerliche Erkundung. Zwischen haarsträubenden Fluchten, waghalsigen Rettungsaktionen und dem Versuch, einen Aufstand gegen die tyrannischen Mahars anzuzetteln, wächst David über sich hinaus – und entdeckt dabei nicht nur die Geheimnisse von Pellucidar, sondern auch die eigene Stärke.
Die 1914 von Edgar Rice Burroughs entworfene Geschichte, erzählt mit wilder Fantasie, Tempo und einem Hauch Ironie, ist ein klassisches Pulp-Abenteuer und eine Mischung aus Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde und Arthur Conan Doyles Vergessene Welt. Wie Patrice Louinet in seinem informativen Nachwort betont, ist Am Mittelpunkt der Erde ein Klassiker des Genres, der eine Brücke zwischen der Literatur des 19. und des 20. Jahrhunderts schlägt. Doch der Roman – von Burroughs selbst als »nicht besonders gut geschrieben« eingestuft – ist nicht gut gealtert, anders als manche Werke seiner Zeitgenossen.
Die opulenten und detailreichen Zeichnungen von Rafael Ortiz erwecken die fantastische Welt mit ihren riesigen Kreaturen und der üppigen Vegetation eindrucksvoll zum Leben. Doch das energiegeladene Szenario kann nicht ganz die Schwächen der Originalvorlage kaschieren: Die beiden Helden werden von einer Affenrasse gefangen genommen, bevor sie in die Gewalt der Mahars geraten, doch Spannung kommt kaum auf, da die Figuren nie ernsthaft in Gefahr scheinen. Zudem kommunizieren sie überraschend problemlos mit den Menschen von Pellucidar, da diese – natürlich – »eine Art Proto-Englisch« sprechen. Auch der Sexismus der Vorlage bleibt deutlich spürbar: In Pellucidar, so hebt Louinet in seinem Nachwort hervor, erwarten die Frauen, von Männern dominiert zu werden. David verbindet sich – wie sollte es anders sein – mit einer versklavten Prinzessin. Die Erzählweise ist damit voller Klischees.
Am Mittelpunkt der Erde bekommt wegen seines originalgetreuen Plots und dessen visuell beeindruckender Umsetzung die volle Punktzahl – zehn von zehn. Allerdings ziehe ich aufgrund seiner Alterung wieder vier ab. Bleiben sechs von zehn Dinopunkte.
[Bernd Hinrichs]
Abbildungen © 2025 Splitter / Edgar Rice Burroughs, Jean-David Morvan, Rafael Ortiz
Den Comic gibt's im gut sortierten Comicfachhandel oder direkt beim Verlag: Splitter