Splitter im Sommer 2024 - Interview zum Programm

Falk Straub Splitter 21. Dezember 2023

Weihnachten naht mit Riesenschritten, die Adventszeit geht zu Ende und der traditionelle Splitter-Vorhang hat das Programm für den nächsten Sommer vollständig enthüllt. Zeit, sich mit Splitters Pressemann Max Schlegel über die Neuheiten zu unterhalten. Ein Gespräch über Literaturadaptionen, klassische und moderne Western, Science Fiction für jeden Geschmack, erfolgreiche Erotik und eine bereits gestartete Reihe von Comixology-Comics, die 2024 so richtig abhebt.

Splitter im Sommer 2024 –
CRON fragt, Max Schlegel antwortet

Lieber Max, der Vorhang ist gelüftet. Zeit, über die enthüllten Neuheiten zu sprechen. Beginnen wir mit dem dicksten und für meine Begriffe auch spektakulärsten Brocken. Im Dezember 2023 und März 2024 machen We Have Demons und Night of the Ghoul den Anfang einer ganzen Reihe Comics, die Scott Snyder beim Online-Service Comixology veröffentlicht hat. Direkt im Mai legt ihr mit Book of Evil und Barnstormers zwei weitere Titel nach. Wie habt ihr diese Reihe an Land gezogen? Und worauf dürfen sich Snyder-Fans sonst noch freuen?

Hi Falk, danke für deinen Enthusiasmus! Die Gelegenheit ergab sich, als unser langjähriger Lizenzierungspartner Mediatoon den europäischen Vertrieb für die Comixology-Titel von Snyder übernommen hat. Mediatoon vertritt eine ganze Reihe von französischen Verlagen, die wir viel und gerne im Programm haben, z. B. Soleil und Delcourt. So hatten wir das Angebot, alle Comics auf einmal zu lizenzieren, und da haben wir zugeschlagen. Nach den Titeln, die gerade angekündigt wurden [neben den bereits erwähnten sind das noch Canary, Clear und Dudley Datson und die Ewigkeitsmaschine; Anm. der Redaktion], folgt noch Duck and Cover, gezeichnet von Rafael Albuquerque. Darüber hinaus ist kein weiterer Snyder in Planung, aber dann werden wir auch acht seiner Comics innerhalb eines Jahres veröffentlicht haben.

Das Cover von Book of Evil (ganz oben) und eine Vorschauseite aus Barnstormers.

Der Einfachheit halber gehe ich die übrigen Novitäten, die mir erwähnenswert erscheinen, nicht chronologisch nach Erscheinungsmonat, sondern nach Genre durch. Ich fange mit einem Genre an, das in den vergangenen Jahren einen immer größeren Raum in den Programmen vieler Verlage beansprucht: der Literaturadaption. Hier habt ihr mit der Hugo-Adaption Der Glöckner von Notre-Dame (Mai '24) von Georges Bess, der sich ja bereits Dracula und Frankenstein vorgeknöpft hat, mit Don Quijote de la Mancha (Juni '24), Das vergessene Land (Juli '24), Tarzan bei den Affen (September '24) und dem »illustrierten Roman« Alice im Wunderland (Oktober '24) fünf sehr abwechslungsreiche und illustre Titel im Programm. Wie wichtig sind Literaturadaptionen inzwischen bei euch? Wie erklärst du dir deren anhaltenden Erfolg? Und ist Rébecca Dautremers Umsetzung von Lewis Carrolls Klassiker genauso vorzüglich wie ihre Adaption von John Steinbecks Von Mäusen und Menschen?

Literaturadaptionen sind für uns enorm wichtig, denn damit erschließt man Teile des Buchhandels, die sonst nicht sehr comic-affin sind. Warum Adaptionen dermaßen beliebt bei Leserinnen und Lesern sind, hat meiner persönlichen Meinung nach mehrere Gründe: Einerseits sind die Comic-Versionen von Klassikern definitiv zugänglicher als die Originaltexte – denn wer liest schon Hugo, Cervantes und Dante als Buch? –, andererseits macht es große Freude, die zeichnerischen Visionen von herausragenden Kreativen wie Dautremer zu bewundern und zu sehen, was sie z. B. aus Alice machen. Dieser illustrierte Roman ist übrigens ebenfalls grandios, aber etwas konventioneller als Von Mäusen und Menschen, vielleicht, da die Steinbeck-Adaption eigentlich die jüngere ist und Dautremer dabei schon mutiger und freier agiert hat.

Eine Vorschauseite aus Don Quijote (ganz oben) und das Cover vom Glöckner von Notre-Dame.

Wechseln wir zu einem Genre, das ich in vergangenen Interviews gern mal links liegen gelassen habe, von dem in eurem neuen Programm aber jede Menge spannende Titel auftauchen: dem Western. Neben dem bereits erwähnten Canary von Scott Snyder scheinen mir David Boriaus und Steven Dhondts Wanted – Ein Steckbrief aus Blut, Christian Rossis Golden West, Philippe Thiraults und Gilles Mezzomos Hacendado sowie Bertrand Galics und Roger Vidals Das Mädchen und der Postreiter eher klassische Kost zu bieten. Western Love von Augustin Lebon tanzt hingegen aus der Reihe. Liege ich mit dieser Einschätzung richtig?

Treffende Analyse! Das Mädchen und der Postreiter ist allerdings auch kein traditioneller Western, sondern eher eine emotionale Geschichte über eine Ziehvaterschaft vor dem Hintergrund einer absurden Episode der amerikanischen Geschichte: Dass man Kinder mit der Post verschicken konnte, ist keine Fiktion!
Western Love wiederum spielt mit vielen Klischees und Standards des Genres, um damit aber eine wirklich erfrischend nahbare Liebesgeschichte zu erzählen. In der Redaktion sind wir große Fans von diesem Titel.

Aus der Prärie ins Weltall und zu einem Autor, der sowohl das Westerngenre als auch die Science Fiction bedient hat: Alejandro Jodorowski. Dessen Incal-Universum lebt nun nach einem Szenario von Mark Russell und in den Zeichnungen von Yanick Paquette in einem »Psychoversum« fort. Was verbirgt sich dahinter?

Auch wenn Jodorowsky immer weniger selbst schreibt, ist sein Verlag Humano (Les Humanoïdes Associés, in den USA auch Humanoids, der Ursprungsverlag von Métal Hurlant) mit seinem Incalversum sehr umtriebig und findet gerade im Englischen immer mehr Leser. Daher beauftragt Humano seit einiger Zeit regelmäßig amerikanische Künstler mit Spin-offs wie Psychoversum oder Kill Hundeschnauze. Und als Stammverlag von Der Incal sind wir natürlich auch dabei.

Weitere Sci-Fi-Storys, die womöglich den Puls in die Höhe treiben, könnten w0rldtr33 aus der Feder von James Tynion IV., Sylvain Runbergs Space Relic Hunters und der von Philippe Pelaez geschriebene, sehr düster anmutende Black Horizon sein ...

Wir wollen halt für jeden Geschmack etwas dabei haben, egal, ob man eine beunruhigende Horror-Dystopie über die Macht des Internets möchte, eine klassische SF-Story, in der es um Religion und Absolutismus geht, oder kosmischen Horror!

Bleiben wir in düsteren Gefilden und wenden uns dem Horror zu. Im vergangenen Jahr habe ich dich zu Jeff Lemires »Bone Orchard Mythos« befragt. Hier legt ihr im September 2024 mit Das Mietshaus einen weiteren Band nach. Kannst du schon ein erstes Fazit ziehen, wie die Reihe von der Leserschaft angenommen wurde?

Ehrlich gesagt: mäßig. Aus Gründen der Autorenpflege bleiben wir Lemire und Sorrentino treu, aber der Mythos kann bisher an den Erfolg von Gideon Falls nicht anknüpfen. Die unstete Erscheinungsweise und das unbestimmte Versprechen, dass die vielen Comics irgendwann ein großes Ganzes ergeben, verlangen Leserinnen und Lesern vielleicht zu viel ab. Oder Lemire hat den Vielschreiber-Bogen überspannt, wir wissen es nicht so genau.

Um ein erstes Fazit soll es abschließend auch noch bei eurer Erotik-Sparte »Splitternackt« gehen. Euer Output in diesem Bereich bleibt hoch. Im neuen Programm finden sich sechs Titel, also im Schnitt einer pro Monat, auch wenn nicht in jedem Monat einer erscheint. Wie läuft das Geschäft bislang? Werdet ihr weiterhin auf einen Mix aus Altem und Neuem setzen? Und wird es bei dem hohen Veröffentlichungsrhythmus bleiben?

Hier ist das Fazit extrem positiv, denn wir sind sowohl mit den Verkaufszahlen als auch mit der Resonanz unserer Leserschaft sehr zufrieden! Mit Marie Sanns Kinkerlitzchen veröffentlichen wir im Mai auch endlich eine deutsche Erotikcomic-Eigenproduktion, und Kinkerlitzchen ist nicht nur ein großer Hoffnungsträger und ein fantastischer Comic, sondern tatsächlich ein nicht unmaßgeblicher Faktor, weswegen wir die Erotik-Sparte überhaupt ins Leben gerufen haben. Der bisherige Mix aus Alt und Neu ist in unseren Augen allerdings kein Muss: Wir veröffentlichen, was uns sinnvoll und spannend erscheint. Wir haben für den Herbst 2024 einen ganzen Schwung neuer Erotik ins Programm geholt, indem wir einen neuen Lizenzgeber in Frankreich akquiriert haben, aber wir sind – das ist ein offenes Geheimnis – auch weiterhin an einigen Altmeistern interessiert. Die Zahlen belegen für uns eindeutig, dass beides viel Potenzial hat, denn die modernen Comics (Die Göttin, Hinter dem Paradies) verkaufen sich teilweise besser als die Klassiker – auch wenn speziell Manara anscheinend zeitlos beliebt bleibt.

Zu guter Letzt nun noch die obligatorische Frage nach Deinen Favoriten aus dem neuen Programm. Welche Comics liegen Dir denn besonders am Herzen und weshalb?

Neben Kinkerlitzchen freue ich mich besonders auf w0rldtree, einfach, weil ich Tynion IV. sehr gerne lese. Auf Pendragon freue ich mich auch, denn ich habe eine Schwäche für über-bombastisches Artwork wie in Elric oder Hawkmoon. Mein persönliches Highlight ist aber Ich bin ihr Schweigen, die neue Graphic Novel von Jordi Lafebre. Trotz allem… Liebe ist einer der innovativsten Comics, die ich kenne, und Lafebres Zeichenstil finde ich extrem beeindruckend – so leicht und dynamisch und zugleich absolut makellos.

Die Fragen stellte Falk Straub

Abbildungen/Foto © Splitter

Die nackten Fakten

Das Splitter-Programm von Mai bis Oktober 2024 umfasst 11 neue Comicserien, 33 neue Einzelbände und Graphic Novels sowie 71 Fortsetzungen. Ein Klick auf den jeweiligen Titel führt direkt zum Eintrag auf der Homepage des Verlags.