Szenarist Pierre Christin wird für sein Lebenswerk geehrt

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Der französische Schriftsteller und Comicautor Pierre Christin wurde im vergangenen Jahr 80 Jahre alt und kann auf eine mehr als 50-jährige Karriere zurückblicken, in der wegweisende Werke wie Europas erste Science-Fiction-Comicserie Valerian und Veronique (mit Jean-Claude Mézières), Treibjagd und weitere Polit-Thriller (mit Enki Bilal) oder historische Frauenporträts wie Die Diva (mit Annie Goetzinger) entstanden. Auf dem Comicfestival in Angoulême, das seit gestern läuft, erhält Christin am Wochenende nun den Prix René Goscinny für sein Lebenswerk. Ein umfangreiches Dossier über den Szenaristen in der kommenden Ausgabe der Zeitschrift Reddition ist in Vorbereitung.

Pierre Christin erhält auf dem
Comicfestival in Angoulême den
Prix René Goscinny für sein Lebenswerk

Mit der Science-Fiction-Serie um die beiden Agenten Valerian und Veronique des Raum-Zeit-Service hoben Zeichner Jean-Claude Mézières und Szenarist Pierre Christin das Niveau vergleichbarer Comics ihrer Zeit deutlich an. Denn 1967, als die Serie im französischen Magazin Pilote debütierte, waren Weltraumcomics vor allem von klassischer Science-Fiction-Literatur und den Space-Opera-Phantasien aus dem Kino beeinflusst. Doch die Zeiten waren im Begriff, sich zu ändern, und der unerschrockene Valerian und seine attraktive und resolute Begleiterin Veronique sollten ihren Anteil daran haben.

Pierre Christin nach der Verleihung des Max-und-Moritz-Preises 2010 auf dem Internationalen Comic-Salon Erlangen. Foto (c) Uwe Zimmermann

Und ebenso Pierre Christin, 1938 in Paris geboren und Zeit seines Lebens ein Reisender, ein neugieriger Beobachter seiner Zeit und seiner Zeitgenossen. Diese Neugier fand sich wieder in seinen Aufsätzen, Reportagen und Szenarios und machte ihn für eine junge Generation von Zeichnerinnen und Zeichnern zum idealen Partner für neue Comicgeschichten, die in den 1970er Jahren entstanden, zunächst ebenfalls für Pilote, später auch für andere Verlage: Aufruhr in der Rouergue mit Jacques Tardi, Kreuzfahrt der Vergessenen und Treibjagd zusammen mit Enki Bilal, und nicht zu vergessen die historischen und einfühlsamen Frauenporträts Das Fräulein von der Ehrenlegion oder Die Diva mit Annie Goetzinger, mit der Christin noch bis zum viel zu frühen Tod der französischen Zeichnerin 2017 an der Krimiserie Detektei Hardy gearbeitet hat.

Science-Fiction-Serie »Valerian und Veronique«

Doch Christins Wirken geht weit über das Verfassen von Comicszenarios hinaus, seit er 1967, zeitgleich mit dem Beginn der Arbeit an Valerian und Veronique, an der Universität Bordeaux die École de Journalisme gründete und sie mehr als 35 Jahre leiten und in ihr zahlreiche Studenten ausbilden sollte. Ganz abgesehen von etlichen Romanen, Kurzgeschichten und Aufsätzen, die sich nicht selten mit kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Details (auch) zur Comicgeschichte auseinandersetzen.

Eine schönere Form als die des Comic für Pierre Christins Biographie ist daher schwer vorstellbar. Und auch wenn sich der französische Autor lange erfolgreich gegen eine Umsetzung und Realisierung gewehrt hat, konnte sein langjähriger Kollege und Freund Philippe Aymond (Lady S.) ihn schlussendlich nicht nur überzeugen, sondern hat mit dem gerade in deutscher Übersetzung erschienenen Album Ost-West eine ebenso stimmungsvolle wie historisch wertvolle Lebensgeschichte gestaltet.

Ost-West von Pierre Christin und Philippe Aymond

Dieses Album, das 99. Werk aus der Feder Christins, war für die Jury des Festival Internationale de la BD in Angoulême dann auch der ausschlaggebende Funke für die Verleihung des Prix Goscinny, mit dem nach den neuen Richtlinien endlich auch ein ausschließlicher Szenarist (und nicht nur wie in den Vorjahren ein Autor/Zeichner) für ein im entsprechenden Jahr veröffentlichtes Werk oder für sein Gesamtwerk ausgezeichnet werden kann. »Das Album von Christin und Aymond ist in jeder Hinsicht großartig und verdient diese Auszeichnung«, schreibt dazu der Comiczeichner Philippe Wurm auf actuabd.com. »Ganz zu schweigen von Christins Karriere als Comic-Pionier in Europa, so innovativ und subtil hat dieser Szenarist die Darstellungen und Entwicklungen der Welt analysiert und uns zum Träumen gebracht. Ich freue mich über die renommierte Auszeichnung für einen so großartigen Künstler.«

Erste deutsche Ausgabe von »Treibjagd«, 1985

In Deutschland ist Pierre Christins Werk seit den 1980er Jahren bei verschiedenen Verlagen publiziert worden, und vor allem seine bekanntesten Werke mit Mézières, Bilal oder Goetzinger haben große Beachtung gefunden. Für sein Lebenswerk erhielt Christin im Jahr 2010 auf dem Internationalen Comic-Salon Erlangen den Max-und-Moritz-Preis.

Die Auszeichnung von Angoulême und die deutschsprachige Ausgabe der Christin-Comicbiographie Ost-West sind auch der Anlass für das Comicfachmagazin Reddition, sich in der für den Frühsommer 2019 geplanten 70. Ausgabe eingehend mit dem Werk von Pierre Christin und seinen Zeichnerinnen und Zeichnern auseinanderzusetzen.

»Die Diva« mit Annie Goetzinger

»Detektei Hardy«, die letzte große Serie mit Annie Goetzinger

Abbildungen © 2019 Christin/Mézières/Bilal/Aymond/Carlsen. Foto © 2010 Uwe Zimmermann


Die nackten Fakten:

Ost-West
Szenario: Pierre Christin
Zeichnungen: Philippe Aymond
Carlsen Comics, HC, 144 farbige Seiten, 22,00 €
ISBN: 978-3-551-73877-6
Internetseite des Verlags: www.carlsen.de

REDDITION - Zeitschrift für Graphische Literatur
Ausgabe 70: Dossier Pierre Christin
Mit Artikeln von Andreas C. Knigge, Georg Seeßlen, Bernd Frenz u.a.
Magazin, 76 farbige Seiten, 10,00 €
Erscheint im Frühsommer 2019
Internetseite des Magazins: www.reddition.de