Tintin-Film: Sekundäres [Folge 1 von 3]

Rezension

Im Sog der Verfilmung

Aktuelle Sekundärliteratur über Tim und Struppi [Folge 1]

 

Tim und Struppi kommen in die Kinos und alle rennen rein. Alle? Nein, nicht alle, aber ziemlich viele.

Doch das dürfte nicht daran liegen, dass die Figuren extrem beliebt sind oder mit dem inzwischen eher ausgelutschten Performance-Capturing-Verfahren animiert wurden, sondern an der Tatsache, dass der Film von Maestro Steven Spielberg gedreht wurde. Und immer, wenn Spielbergs Steven seine Finger im Spiel hat, dann kurbelt die Unterhaltungsindustrie ihre Maschinerie so richtig an.

CRON beschäftigt sich in loser Folge mit den drei wichtigsten Buchtiteln, die im Zuge des Kinofilms auf den deutschen Markt gekommen sind.

→ von Matthias Hofmann


Im Bereich der Printmedien ist der Rummel vergleichsweise bescheiden. Carlsen, die deutsche Heimat von Hergés Tintin, hält sich mit Werbeaktionen zurück. Es gibt einen speziell zum Kinostart produzierten Sammelband der beiden Alben »Das Geheimnis der Einhorn« und »Der Schatz Rackhams des Roten«, der sich durch einen supergünstigen Preis (12,90 Euro) auszeichnet und andererseits mit einem Frontcover nervt, das zu den größten Design-Katastrophen des Jahres 2011 zählen dürfte. Das vom Lizenzgeber Moulinsart, die als »eigenwillige« Control-Freaks gelten, vorgegebene Titelkonzept mit der gigantomanischen Schrift und den daumennagelgroßen Bildchen war nicht, wie irrtümlich gedacht nur ein Entwurf, sondern prangte schließlich auf dem finalen Umschlag. Die Buchhändler hat das aber nicht irritiert, denn bereits auf der Buchmesse, wo der Hardcover vorab vorgestellt wurde, munkelte man, dass die erste Auflage vor Auslieferung an den Handel bereits vergriffen war. Neben einem rund 200-seitigen »Roman zum Film« von Alex Irvine gibt es bei Carlsen noch diverse Lese- und Bilderbücher für Kinder sowie ein Stickerbuch.

Wesentlich interessanter für Fans der klassischen Comicserie dürften die Sekundärwerke sein, die im Dunstkreis der 3D-Verfilmung auf den Markt gekommen sind. Viel ist über den Weltklassiker frankobelgischer Comic-Literatur bereits geschrieben worden. Da die Serie endlich und von ihr seit den 1970er Jahren kein neues vollständiges Album mehr erschienen ist, ist das Feld gut durchpflügt und mit einer beachtlichen Anzahl von Texten und Büchern bereits aufbereitet und interpretiert worden. Wer jetzt noch mit einem Tintin-Buch hinterm Ofen hervor kommt, der schwingt sich aufs Trittbrett im Zuge des Films und wird es sehr schwer haben, als Autor eines eigenständigen Werks akzeptiert zu werden.

Beschäftigen wir uns zunächst mit dem Buch von Joachim Körber. Die äußeren Umstände stimmen positiv. Körber, ein Mann aus der Science Fiction-Szene, der sich einen guten Ruf als Übersetzer der großen Bestseller von Stephen King, Dean R. Koontz oder Dan Simmons und als Herausgeber des Bibliographischen Lexikons der utopisch-phantastischen Literatur (Loseblattsammlung, Corian Verlag) erwarb, kann recherchieren und schreiben. Der Weinheimer Wiley-VCH Verlag ist ein renommierter Sach- und Lehrbuch-Verlag, der auch Fachzeitschriften publiziert. So merkt man dem Buch an, dass es rein äußerlich sorgfältig lektoriert und einwandfrei redaktionell aufbereitet wurde. Die drucktechnische Verarbeitung mit der Bindung und dem sogenannten »Flexicover« liegt gut in der Hand und ist angenehm zu lesen. Doch leider war es das auch schon mit den positiven Aspekten.

Bereits der Titel macht stutzig: Die Geschichte bei Tim & Struppi. Was will uns der Autor damit sagen? Der Untertitel klärt auf: »Eine Reise durch die Zeit - von den Maya bis zum Mond«. Und der Klappentext ergänzt, dass der Band »den beiden Helden auf ihrer Reise durch die Zeit« folgen und »sowohl den Wahrheitsgehalt als auch die kulturelle Einbettung der Geschichten« untersuchen würde. So schwammig wie das Thema ist auch die gesamte Ausführung des Buchs, denn das Sujet bietet nicht genug Stoff, um ein eigenständiges Sachbuch gehaltvoll zu füllen. Also reichert es Körber mit allerlei Ausflügen in Gefilde an, die mit Tim & Struppi nichts zu tun haben.

Zu Beginn versucht er eine ernsthafte literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit der Comic-Serie von Hergé zu rechtfertigen, in dem er zu beweisen versucht, dass Tim & Struppi eigentlich Abenteuerliteratur ist. Dabei weicht er, wie in gut der Hälfte aller Kapitel, sehr weit vom eigentlichen Thema des Buches, nämlich Hergé Tintin, ab. Und er vergisst dabei, dass, würde man seiner Logik folgen, ziemlich viele Comics Abenteuerliteratur wären und ihm fehlt der Mut, einen Comic als das zu nehmen, was er ist, nämlich ein Comic.

Bevor es zur Abenteuerliteratur geht, versucht sich Körber im ersten Kapitel mit dem x-ten historischen Überblick über die Geschichte der Comics. Das Unterfangen gerät im Ergebnis recht halbgar, da es für eine Einleitung viel zu lang und als wirklicher Überblick viel zu unvollständig ist.

Mit jedem weiteren Kapitel erweckt der Autor stärker den Eindruck von jemandem, der sich zu viel vorgenommen hat und dies erst nach begonnener Recherche gemerkt hat. Es ist erschreckend wenig Eigenständiges dabei. Seine Hauptquellen sind die beiden Standardwerke von Michael Farr, Auf den Spuren von Tim & Struppi und Tim & Co. (beide bei Carlsen), die so oft zitiert werden, das man Lust bekommt den Körber zu- und den Farr aufzuschlagen, um beim Original weiterzulesen. Für allgemeine Begriffe wie »Abenteuerroman«, »Reiseroman«, »Die Geschichte der Demokratischen Republik Kongo« oder »Piraterie« muss die gute alte Wikipedia herhalten und stellenweise wird es gar richtig abenteuerlich. Und zwar dann, wenn Körber aus Romanen zitiert, die er selbst übersetzt und in seinem eigenen Verlag verlegt hat, und damit versucht, Zusammenhänge mit einem Schriftsteller wie zum Beispiel James G. Ballard zu konstruieren.

So hangelt er sich durch die Tim & Struppi Geschichten und versucht mit ihnen die Geschichte der Länder, die Hergé Helden bereist haben, zu erklären. Leider bleibt er dabei komplett an der Oberfläche haften und vermittelt kaum etwas Neues. Banales Allgemeinwissen vermischt sich mit scheinbar zufällig recherchierten Spezialitäten. Zwar werden Tintins Reiseziele grundsätzlich beackert, aber selbst hier bleibt Körber unvollständig. So wird z.B. der Band »Im Reiche des schwarzen Goldes« mit seinem Schauplatz, dem arabischen Emirat Khemed, mehr oder weniger ignoriert.

Die Geschichte bei Tim & Struppi wirkt wie ein Schnellschuss. Körber kann zweifelsohne gut schreiben, wobei er an manchen Stellen vom Duktus für ein Sachbuch aus einem Verlag wie Wiley-VCH etwas zu flapsig herüberkommt und die vielen eingestreuten Zitate aus Pop-Songs eher sehr bemüht wirken (Kapitel 8, »Mysterien der Vergangenheit« wird eingeleitet mit »I hear the voice from ancient ruins …« aus dem Song »Bad Moon Rising« von Creedence Clearwater Revival, oha!). Aber gute Schreibe alleine rettet ein Werk nicht, wenn beim Leser sogar Zweifel aufkommen, ob der Autor wirklich alle Tintin-Alben komplett gelesen hat und nicht nur die Sekundärliteratur darüber. Das degradiert das Buch zu einer uninspirierten Auftragsarbeit von einem, der gut googlen kann und das Kernthema nicht wirklich ernst genommen hat, weil es ihn bis vor der Auftragsvergabe vielleicht nie großartig interessiert hat.

Das Fazit fällt leicht. Das Thema des Buchs hätte man mit einem 30-seitigen Essay gut abhandeln können. Stattdessen hat es Joachim Körber artifiziell aufgeblasen, einfallslos illustrieren lassen (hier abgebildet sind zwei von diversen Abbildungen aus dem Buch) und mit Altbekanntem umkränzt. Wer sich wirklich für Tims Reisen, die Länder und das Drumherum interessiert, der sollte sich lieber die glänzend gemachte Dokumentarserie »Auf Reisen mit Tim und Struppi« von Henri de Gerlache anschauen. Diese lief im September letzten Jahres im Fernsehen. Und die hat Körber offenbar verpasst.

Das Positive ist, dass sich ein renommierter Sachbuch-Verlag einem Comic-Thema angenommen hat. Darüber hinaus ist der Band preislich für Vergleichbares seiner Art recht günstig und daher Tintinologen oder Leuten, die über ein spärliches historisches Allgemeinwissen verfügen und sich für die groben Zusammenhänge interessieren, durchaus zu empfehlen.

Abbildungen:
Filmfoto © Sony Pictures; Titelbild © Wiley-VCH
Die beiden sonstigen Abbildungen sind Public Domain. Sie finden sich in dem Buch und konnten innerhalb von Sekunden im weltweiten Web angesurft werden.

Folge 2: Georg Seeßlen, Tim, und wie er die Welt sah
Folge 3: Chris Guise, Die Abenteuer von Tim und Struppi: Das Buch zum Film


Die Daten

Die Geschichte bei Tim & Struppi
Eine Reise durch die Zeit - von den Maya bis zum Mond
Autor: Joachim Körber
Wiley-VCH Verlag
Originalausgabe
Sachbuch, Softcover, 190 Seiten, 21 x 15 cm, 12,80 Euro, ISBN 978-3-527-50640-8


Weiterführende Links

Homepage des Verlags: Wiley-VCH
Dokumentation auf ARTE: Auf Reisen mit Tim und Struppi