Tintin-Film: Sekundäres [Folge 2 von 3]

Rezension

Im Sog der Verfilmung

Aktuelle Sekundärliteratur über Tim und Struppi [Folge 2]

Den Tim, den kennt man. Und den Struppi auch. Und den Kapitän Haddock vielleicht auch noch. Aber wie sieht es mit dem Rest aus?

24 Comicalben des großen belgischen Comicautors Hergé gibt es, entstanden von 1929 bis 1976, die bis heute immer wieder nachgedruckt wurden. Die Abenteuer des jungen Reporters und seines Foxterriers wurden bereits einige Male verfilmt. Doch der neuste 3D-Kinofilm von Steven Spielberg stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten.

CRON beschäftigt sich in einer dreiteiligen Serie mit den drei wichtigsten Buchtiteln, die im Zuge des Kinofilms auf den deutschen Markt gekommen sind.

Als Teil der Recherche für den nachfolgenden Text führte CRON ein Interview mit dem Autor des besprochenen Buches. Die Antworten waren so interessant, dass wir das Interview als eigenständigen Beitrag bringen: Interview mit Georg Seeßlen.

→von Matthias Hofmann


Nach dem Buch Die Geschichte bei Tim & Struppi von Joachim Körber nehmen wir uns in diesem zweiten von drei Teilen dem Buch von Georg Seeßlen an. Tintin, und wie er die Welt sah heißt es. Und sein Untertitel bietet etwas ironisch sogar an: »Fast alles über Tim, Struppi, Mühlenhof & den Rest des Universums.«

Georg Seeßlen ist einer der Journalisten, die sich über die Jahre hinweg treu geblieben sind. Ob Filmkritiken für Magazine wie epd Film oder Artikel für die Feuilletons von Der Spiegel, Die Zeit, taz oder konkret, seine Texte sind stets wortgewand und unterhaltsam. Und vor allem sind sie im positiven Sinne kritisch und sprechen das aus was nötig ist, auch wenn es unbequem wird. Seeßlen vertritt die Ansicht, dass Unterhaltung durchaus politisch ist und beschäftigt sich meist mit Zusammenhängen von Kultur und gesellschaftlichen Entwicklungen.

Sein Buch über Hergés berühmteste Schöpfung Tintin erschien bei Bertz + Fischer wenige Tage nach dem offiziellen Kinostart. Im Gegensatz zu Körbers Buch findet sich hier ein Kapitel, welches sich brandaktuell mit Spielbergs Verfilmung auseinandersetzt. Tintin, und wie er die Welt sah erschien als Band 4 der Sachbuchreihe »Kultur + Kritik« in der Bücher mit Titeln wie Nazi-Chic und Nazi-Trash (»Faschistische Ästhetik der der populären Kultur«), Fernsehen wider die Tabus (»Sex, Gewalt, Zensur und die neuen US-Serien«) oder Terrorkino (»Angst/Lust und Körperhorror«) erschienen sind.

Von der äußeren Optik kann Seeßlens Buch mit dem von Körber nicht ganz mithalten. Sprödes Silber-Metallic und eine Sprechblase mit einem Ausrufe- und einem Fragezeichen verbreiten etwas Uninspiriertes. Zwar sieht man diese Sprechblase durchaus ab und zu im Comic über Tims erstauntem Gesicht schweben, aber prinzipiell könnte dieses Cover auch ein Buch zieren, welches sich mit irgendeinem Comic beschäftigt. Das kleine Format (10,5 x 14,8 cm) macht auch nicht gerade Lust darin zu blättern. Aber es kommt bekanntlich auf die inneren Werte an. Und diese, das kann man vorweg sagen, machen die äußerlichen Defizite dieser kargen Optik wieder wett.

Seeßlen hat seine Hausaufgaben gemacht. Und zwar komplett. Er hat sich alles Wesentliche, was es zum Mythos Tintin zu lesen und zu sehen gibt, »reingezogen« und es auf zwei Arten verarbeitet. Zum einen ist da eine punktgenaue Zusammenfassung von Leben und Werk von Georges Remi, zum anderen bleibt er nicht beim Rekapitulieren der vielen Fakten, die er zusammengestellt hat, sondern verleiht den einzelnen Texten immer wieder seine persönliche Note, die man von seinen sonstigen Werken kennt.

Für Seeßlen ist klar: Tintin gehört zum Weltkulturerbe. Für ihn besitzt der Reporter mit den klassischen Knickerbockern den Rang von Helden wie Odysseus, Siegfried, Popeye oder den Beatles. Und natürlich ist auch bei Tim und Struppi für Seeßlen nicht alles Gold was glänzt, und so ist das Buch keine Glorifizierung aus Anlass des Films, sondern eine Art Bestandsaufnahme mit leicht hinterfragenden Zwischentönen.

Insgesamt sind die Kapitel des Buches mal mehr, mal weniger mutig. Eher Standardreferenzqualität haben die Abschnitte über Hergés Biografie. Da werden die bekannten Pfade nicht verlassen, zu einem großen Teil auch, weil die Lizenzverwalter des guten Tim, mit denen nicht gut Kirschen essen sein soll, ein wachsames Auge darauf werfen, was so über ihr bestes Pferd im Stall geschrieben wird. Somit sind die Passagen über Hergé, sein Leben und seine vierundzwanzigeinhalb Tintin-Alben aus solidem Handbuch-Holz geschnitzt. Für die absoluten Fans bietet sich nichts Neues, aber es wird alles sehr gut und stimmig zusammengefasst.

Am besten ist Seeßlen dort, wo er eigenständig drauflos schreiben kann. Bereits seine Einleitung (»Vorneweg«) macht richtig Spaß zu lesen und stimmt blendend auf das Buch sein. Auch seine Abhandlung des Spielberg Films ist äußerst gelungen, denn hier spielt Seeßlen sein ganzes Wissen als Cineast und sein Können als Filmkritiker aus und liefert eine überzeugende Bewertung des Filmes ab.

Aber da ist noch mehr. Seeßlen beschäftigt sich auch mit Tim in anderen Medien. Neben den Filmen widmet er sich den Ausflügen in die Musik, des Hörspiels oder der Malerei. Im Kapitel »Der schmutzige, der hässliche und der gemeine Tintin« spart er auch die illegalen Eskapaden des Reporters Tim nicht aus, wie z.B. die Parodie La vie sexuelle de Tintin, wo man auch schon mal den blanken Busen der Opernsängerin Castafiore sehen kann.

Georg Seeßlen versucht mit seinem Buch Tintin, und wie er die Welt sah mit einem erwachsenen Blickwinkel an einer Aufarbeitung der Figur des jungen Reporters. Dies ist ihm gelungen und nebenbei hat er alles Wesentliche über das Comic-Universum Hergés zusammengetragen. Oder fast alles, wie der Titel schon sagt.

Titelbild, Musterseite © Bertz + Fischer

Folge 1: Joachim Körber, Die Geschichte bei Tim & Struppi
Folge 3: Chris Guise, Die Abenteuer von Tim und Struppi: Das Buch zum Film


Die Daten

Tintin, und wie er die Welt sah
Fast alles über Tim, Struppi, Mühlenhof & den Rest des Universums
Autor: Georg Seeßlen
Bertz + Fischer, Kultur & Kritik 4, Originalausgabe
Sachbuch, Softcover, 10,5 x 14,8 cm, 264 Seiten, 21 Fotos
Preis: 12,90 Euro, ISBN 978-3-86505-711-2


Weiterführende Links

Homepage des Verlags: Bertz + Fischer
Interview: Fragen an Georg Seeßlen
Leseprobe 1: Inhaltsverzeichnis als PDF
Leseprobe 2: Einleitung »Vorneweg« als PDF