Frisch Gelesen Folge 67: Hieronymus Bosch

067hb sm

»Ja, ein tiefes Braun, zur Abbildung der schlimmsten Sünden, damit ihnen nicht nachgestrebt wird!«


FRISCH GELESEN: Archiv


Hieronymus Bosch

Hieronymus Bosch

Story: Marcel Ruijters
Zeichnungen: Marcel Ruijters

avant-verlag
Hardcover | 160 Seiten | Farbe | 24,95 €
ISBN: 978-3-945034-36-1

Genre: Kunstgeschichte, Biographie

Für alle, die das mögen: Künstlerbiographien, Mittelalter, sakrale Kunst, Underground-Artwork


 

Biographien in Comicform erfreuen sich seit einigen Jahren einer stetig steigenden Zahl an Lesern und haben dem Comic nicht nur neue Konsumenten erschlossen, sondern auch den Anteil an Comicrezensionen im Feuilleton erhöht. Nicht immer gelingt es diesen Werken allerdings, auch durchschnittlich Comicbegeisterte zu faszinieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um eine Auftragsarbeit zu einem Jubiläum, in diesem Fall einem 500. Todestag, handelt.

Hieronymus Bosch Leseprobe

Mit Hieronymus Bosch ist es Marcel Ruijters aber gelungen, eine faszinierende und spannende Geschichte über einen der bedeutendsten niederländischen Künstler zu schreiben und zu zeichnen, die auch noch einen guten Einblick in das Leben der Zeit bietet! Hieronymus Bosch, eigentlich Jeroen van Aken, ist der jüngste Spross einer bereits seit drei Generation in 's-Hertogenbosch ansässigen Dynastie von Malern. Wie auch seine Brüder und Onkel steigt er bereits mit frühen Jahren in das Geschäft seines Vaters ein und versucht sich zunächst mit Aufträgen der geistlichen und adeligen Herren über Wasser zu halten. Sehr deutlich schildert Ruijters einerseits die tiefgreifenden Ge- und Verbote der Kirche für die darstellende Kunst andererseits auch die äußeren Umstände (Armut, Folter, Aufstände und alltägliche Gewalt).

Hieronymus Bosch Leseprobe

Dem Niederländer gelingt es, durch seinen eigenen, karikierenden Stil Gewalt und Ohnmacht dazustellen, ohne in eine Splatter-Orgie zu verfallen. Wenn etwa das Ziehen von Zähnen auf dem Marktplatz dargestellt wird, wird dennoch sehr deutlich, dass man zu dieser Zeit lieber nicht gelebt haben will. Auch die Darstellung der Folter und des anschließenden Hängens zweier Spießgesellen sind deutlich und abschreckend, trotzdem aber wegen ihrer Darstellung harmloser als so manche Primetime-Fernsehsendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Man sieht den Personen allerdings bereits beim ersten Auftreten an ob sie zu den »Guten« oder den »Bösen« gehören werden, was allerdings nichts über ihre Eigenschaft als »Opfer« aussagt.

Hieronymus Bosch Leseprobe

Zu danken ist dem Berliner avant-verlag, der es immer wieder schafft, Kleinode jenseits des Massengeschmacks zu finden und mustergültig zu publizieren. In diesem Fall liegt der Comic in einer edlen Hardcoverausstattung vor, die mit einer kurzen Aufbereitung historischer Fakten, auf die im Comic Bezug genommen wird, und einem Stammbaum der Familie ergänzt wurde. Der Abdruck von Miniaturen der im Comic erwähnten Bosch-Gemälde ist dagegen aufgrund der Größe der Abbildungen kaum mehr als eine Identifikationshilfe für die Internetsuchmaschine der Wahl.

Gefördert wurde das Projekt von der »Niederländischen Stiftung für Literatur« und der Künstler hat – gemäß meines bescheidenen Einblickes in die Comicszene unserer Nachbarn vollkommen zurecht – im letzten Jahr den Stripschapprijs gewonnen. Mit dieser Auszeichnung wird in den Niederlanden seit 1974 jährlich der/die beste KünstlerIn eines vergangenen Jahres geehrt. Marcel Ruijters wurde vor 50 Jahren geboren und hat bisher vor allem in Underground-Zeitschriften publiziert. Seine weiteren Serien wie auch seine Adaption von Dantes Inferno liegen allerdings nicht auf Deutsch vor.

Hieronymus Bosch Leseprobe

Zum Inhalt:

Das Buch ist in sechs Kapitel aufgeteilt. Das erste gibt einen Einblick in die damalige Zeit, stellt die handelnden Figuren der Familie van Aken und ihre bescheidende finanzielle Situation vor und beschreibt den Einfluss der Kirche, insbesondere der als Hunde des Herrn bezeichneten Dominikaner.

Im Folgenden wird der große Brand 1463 dargestellt, der prägenden Einfluss auf die Gefühlswelt Jeroens hatte. Er bildet neben der Bigotterie der weltlichen Auftraggeber, die Sünden möglichst anschaulich dargestellt haben möchten, eine der Grundlagen für das spätere Werk. Sünden müssen anschaulich genug dargestellt werden um abschreckend zu sein, gleichzeitig aber auch allegorisch genug um ihre Schwere allgemeinverständlich zu machen. Daneben sind aber auch immer wieder Personen realistisch abzubilden. Manchmal vermischen sich die Motive auch.

Hieronymus Bosch Leseprobe

Im darauf folgenden Teil geht es um »Gerechtigkeit«. Neben den offensichtlichen Elementen Bestrafung und Sühne spielen dabei aber auch theologische Fragestellungen eine große Rolle. Unbeantwortet bleibt die Frage, warum es eigentlich keine malenden Teufel gäbe.

Anschließend wird der Versuch Jeroens geschildert, einen Baumeister auf großer Fahrt zu begleiten um endlich größere, wichtigere und vor allem reichere Auftraggeber in anderen Städten zu gewinnen. Bosch mag aber aus lauter Angst vor Katastrophen seine Frau nicht alleine lassen und kehrt sehr schnell nach 's-Hertogenbosch zurück wo er bis an sein Lebensende bleiben wird.

Es folgt Boschs Aufstieg zum Meistermaler und Leiter der Werkstatt. Auch hier werden wieder sehr gekonnt äußere Einflüsse auf das Werk und die vom Autor erdachte Umsetzung im Alltag gekonnt verknüpft. Niemand, der sich bisher nur oberflächlich mit den Bildern von Bosch beschäftigt hat, wird nach dem Genuss dieses Comics wieder die Werke betrachten können, ohne die Bilder von Ruijters zu möglichen Motiven im Hinterkopf zu haben.

Den Höhepunkt bildet sicherlich das letzte Kapitel, das in einer Traumsequenz die Vorahnung des nahenden Todes vor 500 Jahren darstellt. Die Hölle wird lebendig!

Hieronymus Bosch Leseprobe

Möglicherweise sitzt dieses Werk ein wenig zwischen den Stühlen: Für eine offizielle Biographie zu Underground; für den Comic-Mainstream ist das Thema zu abseitig; für eine Graphic Novel der aktuell erfolgreichen Art ist zu wenig »Ich-Bezug« enthalten. Gerade diese Unfähigkeit, in Schubladen zu passen, macht aber den Reiz aus! Für mich eine der Perlen des ersten Halbjahres.

Dazu würde stilecht sauren Wein und Lärm passen. Mehr Spaß macht aber die Lektüre sicherlich ohne diese Zutaten ...

[Sven Krantz-Knutzen]

Abbildungen © 2016 avant-verlag / Marcel Ruijters


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