Frisch Gelesen Folge 113 – Die dicke Prinzessin Petronia

 »Merke: Mit der Lupe sieht man besser als mit dem Herzen.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Die dicke Prinzessin Petronia

Story: Katharina Greve
Zeichnungen: Katharina Greve

avant-verlag
Hardcover | 104 Seiten | Vierfarbig | 20,00 €
ISBN 978-3-96445-008-1

Genre: Comicstrip, Funny

Für alle, die: den Kleinen Prinzen für fiesen Kitsch halten und feministische Geeks sind


 

Würde Antoine de Saint-Exupéry heute leben, wäre er von Beruf wahrscheinlich Kalenderspruchschreiber und Wandtattooformulierer. Das sah 1943 anders aus: Europa lag in Schutt und Asche, und die Deutschen waren gerade dabei, die Welt im großen Stile zu vernichten. Da konnten alle eine gute Portion kindlichen Kitsch und weltverbessernde Plattitüden vertragen. Aus heutiger Sicht ist Der kleine Prinz allerdings nur noch schwer erträglich. Nicht nur, dass seine Lebensweisheiten eher schlicht gehalten sind, der Text, die dazu gehörigen Zeichnungen wie auch der kleine Prinz selbst sind dermaßen durch die Marketingmaschinerie getrieben worden wie kaum eine andere literarische Figur. Alleine die oben benannten Tapetenverschönerer gibt es in schier endloser Menge. Mein persönlicher Favorit ist aber die Übersetzung der Erzählung ins Klingonische. Auf welche Art könnte man diese Thematik also bearbeiten, um ihr noch etwas Neues abzugewinnen?

Die Antwort darauf liefert Katharina Greve mit ihrem großartigen Comicstrip Die dicke Prinzessin Petronia. Seit 2015 erscheint der Comic als Serie in der Zeitschrift Das Magazin und wird nun als Band vom avant Verlag herausgegeben. Insgesamt ist dies Greves fünfter Comicband. Sie zeichnet gerne Comicstrips, so zum Beispiel ihr fortlaufendes Projekt Das Hochhaus, in dem jedes Stockwerk einen eigenen Strip darstellt, sich aber auch auf die anderen Strips bezieht. Auch diesen Comic hat der avant Verlag bereits 2017 als Band vorgelegt.


Abstraktion statt Kitsch: Prinzessin Petronias Welt hat andere Sternbilder.

Mit Die dicke Prinzessin Petronia arbeitet sich Greve an ihrer Hassliebe, wie sie selbst sagt, zum Kleinen Prinzen ab. Als Kind habe sie ihn geliebt, um dann als Erwachsene festzustellen, dass der Text »ja schon sehr kitschig« sei. Petronia ist der Gegenentwurf zu Saint-Exupérys Figur. Sie ist stets schlecht gelaunt, sehr rational, ist pummelig und mag kein Rosa. Ihre Übellaunigkeit möge man ihr verzeihen – schließlich ist sie die Thronanwärterin für die Herrschaft über das Universum, ist aber von ihren Eltern auf einen winzigen Planeten, kaum größer als ein Hüpfball, abgeschoben worden. Ihr einziger Gefährte ist der Multifunktionswurm Mirco, mit dem sie per Wurmlochreise durch die Galaxie zieht oder ihn zum Seilhüpfen verwenden kann. Gelegentlich treten Randfiguren auf wie ihre Mutter oder auch ihr Cousin der kleine Prinz selbst, der kleine Schleimer, wie Petronia ihn nennt. Doch trotz der kargen Besetzung und der minimalistischen Kulisse werden die Strips nie langweilig oder ermüdend. Petronia hat tiefschürfende Gedanken und Einfälle, in denen Fantasie, Naturwissenschaft und bissiger Humor eine perfekte Balance eingehen.


Voll toller Ideen: Auch ein Spiel findet sich unter den Comicstrips.

Die Strips sind gefüllt mit aberwitzigen Ideen wie dem Prospekt für den Elektrofachhandel Jupiter (ältere Leser*innen erkennen die Anspielung), in dem das Laser-Brotmesser »Luke« angepriesen wird, das gleichzeitig schneidet und toastet! Auch das Klatschmagazin Galaxy ist vertreten, in dem über das Liebesleben des Kleinen (Traum)Prinzen spekuliert wird. Zusätzlich macht sich Petronia viele Gedanken, so zum Beispiel über Schroedingers Katze oder über ihre Existenz in Paralleluniversen.


Anspielungen auf Saint-Exupéry und Star Wars: Petronia mit Leia-Organa-Gedächtnis-Schnecken.

Zum Gesamtkunstwerk Saint-Exupérys zählt, dass er seine Geschichte auch selbst illustriert hat. Seine Zeichnungen entsprechen stilistisch der Ästhetik der Vierzigerjahre. Aus heutiger Sicht wirken sie recht grob und kantig. Die Farbgebung ist außergewöhnlich. Saint-Exupéry verwendet vorwiegend Pastelltöne wie den lindfarbenen Anzug oder das hellgelbe Haar des Prinzen. Damit unterstreicht er die Niedlichkeit (ich möchte ja nicht schon wieder von Kitsch sprechen) seiner Erzählung. Greve greift auch bei ihren Zeichnungen einiges davon auf. Bereits der Bildaufbau des Titelbildes entspricht dem der Vorlage. Am rechten unteren Bildrand angeordnet steht Petronia auf ihrem Planeten und schaut nach links in Richtung einer Sonne und etlicher Sterne. Auch die Farbgebung ist identisch. Petronia trägt ein lindfarbenes Kleid und steht auf einem hellgrauen Planeten. Ihre Haare sind jedoch grau und über den Ohren zu zwei Leia-Organa-Gedächtnis-Schnecken zusammengerollt. Und obwohl ihre Zeichnungen aktuellen Rezeptionsgewohnheiten entsprechen und im Gegensatz zum Kleinen Prinzen rund und knuffig wirken, sind sie alles andere als verkitscht. Petronia, die doch recht tumb und missmutig auf ihrem viel zu kleinen Planeten herumsteht, erteilt dem/der Leser*in gleich den nötigen Realitätscheck.


Eigenständige Figur in ihrer eigenen Welt: In einer Monarchie wählt die Prinzessin sich selbst.

Greve gelingt es, mit Petronia eine eigenständige Figur zu schaffen, die zwar als Vorlage das Märchen von Saint-Exupéry hat, aber darüber hinausgeht. Die dicke Prinzessin Petronia ist weit mehr als eine Persiflage auf den Kleinen Prinzen. So viel Aufmerksamkeit hat er auch, ehrlich gesagt, gar nicht verdient. Greves Comic ist feministisch, ein wenig geekig, naturwissenschaftlich und mit viel Humor versehen. Ich wünsche mir ganz viele Prinzessinnen Petronias unter den heranwachsenden Mädchen, aber auch jede erwachsene Frau sollte etwas von ihr in ihrem Herzen tragen.

[Mechthild Wiesner]

Abbildungen © 2019 avant-verlag


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