Frisch Gelesen Folge 379: Kohlhoffs Garten

»Fabelhafte Attraktionen! Eintritt frei«


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Kohlhoffs Garten

Zeichnungen: Olrik Kohlhoff

avant-verlag
Hardcover | 80 Seiten | s/w | 24,00 €
ISBN: 978-3-96445-099-9

Genre: Kunstcomic

Für alle, die das mögen: Frans Masereel, alte Ansichtskarten



Die Grenzen zwischen Comic und bildender Kunst sind mitunter fließend. Und immer dann, wenn diese verschwimmen, kommt in der Regel etwas Beachtliches und Sehenswertes heraus. Ich denke da beispielsweise an die Arbeiten von Franz Masereel oder Lyonel Feininger. Der in Pinneberg geborene und in Kiel lebende Illustrator Olrik Kohlhoff legt zwar im klassischen Sinn keinen Comic vor, aber der Band Kohlhoffs Garten, der jetzt im avant-verlag erschienen ist, dürfte für jeden Liebhaber der Neunten Kunst ein Augenschmaus sein.


Das Buch erzählt keine Geschichte wie ein klassischer Comic. Nicht mal eine Bilderfolge wie bei Masereel, die eine Geschichte ergeben. Die Zeichnungen wirken wie eine Sammlung skurriler Postkarten aus den Fünfziger- oder Sechzigerjahren, die einen mysteriösen Ort präsentieren, der Kohlhoffs Garten heißt. Auf die Frage, wie er die Idee zu dem Band bekam, antwortet der schleswig-holsteinische Künstler: »Ich arbeitete an einer Reihe von Zeichnungen und hatte plötzlich die Idee, einen Brunnen zu zeichnen, dessen Brüstung aus Elefantenkopfskulpturen bestehen sollte, deren zurückgeworfene Rüssel Wasser ins Bassin spritzten. Darüber schrieb ich auf Französisch den Satz: Der Elefantenbrunnen in Kohlhoffs Garten. Und das war's.«

Jede der ganzseitigen Ansichten – der Band ist im Querformat 27 mal 19 Zentimeter erschienen – lädt den Betrachter ein, in sie einzutauchen. Da ist beispielsweise die Szene beim Camping: Drei Erwachsene vor einem Campingwagen, einer steht in der Tür, zwei sitzen. Alle mit lustigen Micky-Maus-Ohren auf dem Kopf. Vor ihnen steht ein kleines Mädchen. Dick und nackt. Die drei Erwachsenen starren nur. Keiner sagt was. Es sind diese Art von Bildern, die den Band beeindruckend machen. Kohlhoff erzählt hier seine Geschichten. »Da die Bilder der eigenen Phantasie sehr viel Raum geben, wendet sich der Band an alle, die Lust auf eine ungewöhnliche und absurde Reise haben. Ich hoffe, dass der Ort anderen ebenso viel Spaß macht wie mir selbst, sodass sie immer wieder dorthin zurückkehren wollen und das Buch nicht nach der ersten Durchsicht sogleich ins Regal einsortieren«, sagt Kohlhoff.


Eine Gefahr, die angesichts der überschäumenden Fantasie in den Bildern kaum besteht. Dabei ist es die Leistung des Künstlers, dass er dem Betrachter eben nicht nur einige fantasievolle Bilder vorsetzt. Er nimmt ihn an die Hand und führt ihn hinein in Kohlhoffs Garten. Der Zeichner gibt dem Betrachter einen Anschub, von dem aus er die gezeichnete Welt selbst erkunden muss.

Und genau an diesem Punkt berührt Kohlhoff die Neunte Kunst. Zwar hat Scott McCloud in seinem großartigen Standardwerk Comics richtig lesen den Comic als Bilderfolge definiert, dennoch sehe ich in Kohlhoffs Werk zumindest eine comicähnliche Darstellungsform. Denn sein »Anschub geben« lässt uns viele weitere Bilder neben dem Ausgangsbild erahnen und sehen – in unserer Fantasie.


Olrik Kohlhoff ist kein klassischer Comiczeichner. Er studierte bildende Kunst und Freie Grafik an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. Seine Vorbilder kommen entsprechend auch eher aus diesen Bereichen wie etwa die realistischen Bleistiftzeichnungen Adolph Menzels, die fantastischen Radierungen Goyas oder auch die Stillleben von Horst Janssen. »Aber natürlich haben mich auch Comiczeichner inspiriert, Winsor McCay, Mœbius oder Tardi fallen mir hier spontan ein«, sagt Kohlhoff. Das Einzige, was mir an dem Buch gefehlt hat, ist eine Einleitung, ein Vor- oder Nachwort. Kurz: Eine Einordnung. Das ist sehr schade, denn zur Arbeit von Kohlhoff gibt es einiges zu sagen.

Kohlhoffs Garten ist kein typisches Buch der Neunten Kunst. Es bewegt sich in dem spannenden Grenzgebiet zwischen Comic und bildender Kunst. Dennoch sei es jedem Comicliebhaber wärmstens empfohlen, da Kohloff mit den Stilmitteln des Mediums arbeitet. Acht von zehn Freizeitparks.

[Bernd Hinrichs]

Abbildungen © 2023 avant-verlag / Olrik Kohlhoff


Den Comic gibt's im gut sortierten Comicfachhandel oder direkt beim Verlag: avant-verlag