»Ceterum censeo vulvam Sanctissimae Majestatis ante coitum esse titillandam.«
(Im Übrigen glaube ich, die Vulva Eurer Allerheiligsten Majestät sollte vor dem Koitus gekitzelt werden.)
FRISCH GELESEN: Archiv
Der Ursprung der Welt & Der Ursprung der Liebe
Story: Liv Strömquist
Zeichnungen: Liv Strömquist
avant-verlag
Hardcover | 280 Seiten | s/w, teilweise Farbe | 40,00 €
ISBN: 978-3-96445-003-6
Girlsplaining
Story: Katja Klengel
Zeichnungen: Katja Klengel
Reprodukt
Hardcover| 160 Seiten | Farbe | 18,00 €
ISBN: 978-3-95640-160-2
Genre: Historie, Dokumentation, Biografie
Für alle, die das mögen: Gender-Literatur und für alle, die sich für (starke) Frauen, das Patriarchat, Emanzipation und den weiblichen Körper interessieren.
Comiczeichnerinnen sind leider immer noch deutlich in der Minderheit gegenüber ihren Kollegen. Wenn sie dann auch noch über explizit weibliche Themen schreiben, wird ihnen gerne klischeehafte Themenzentrierung vorgeworfen. Ja, müssen die denn wirklich die ganze Zeit nur über das Patriarchat, warum sich Frauen zwanghaft die Beine rasieren und blutige Unterhosen schreiben? Ist das im beginnenden 21. Jahrhundert wirklich noch nötig? Wer sich solche Fragen stellt, sollte unbedingt Der Ursprung der Welt & Der Ursprung der Liebe von Liv Strömquist und Girlsplaining von Katja Klengel lesen. Obwohl beide Autorinnen ganz unterschiedliche Ansätze haben, ist ihr Hauptanliegen das gleiche: Die immer noch viel zu armselig stattfindende Aufklärung und dass wir, verdammt noch mal, endlich lernen, das Wort VUL-VA auszusprechen. Denn es ist schon ein arges Übel, wie viel finstere Unwissenheit über die weibliche Sexualität besteht. Schlimm genug, dass das weibliche Geschlechtsorgan meist nur halb dargestellt wird – entweder der äußere Teil, der fälschlich als Vagina bezeichnet wird, oder der innere, typischerweise im Biologiebuch. Insgesamt ist das »da unten« bei einer Frau mit so vielen Tabus besetzt, dass alleine schon die Benennung schwererfällt, als den Namen Lord Voldemorts auszusprechen. Ist es reiner Zufall, dass beides mit V beginnt?
Unaussprechlich wie Voldemort: die Vulva.
Was hier so leicht und heiter daherkommt, ist nur ein Aspekt. Natürlich muss es uns Frauen möglich sein, uns unverkrampft und schlagfertig mit unserem Geschlecht auseinanderzusetzen. Doch gerade in ihrer geschichtlichen Aufarbeitung zeigt Strömquist, wie die patriarchale Gesellschaft den weiblichen Körper instrumentalisiert hat. Als Journalistin arbeitet sie hier durchaus genau, auch wenn sie die manchmal erschreckenden Fakten humorvoll verpackt. Sie schreckt nicht davor zurück, den Frauen ihren Teil zuzuordnen. So haben zum Beispiel Frauen ihre Keuschheit zu nutzen gewusst, um ihren Wert auf dem Heiratsmarkt zu steigern. Jene, die sich nicht daran hielten, wurden stigmatisiert. Wirklich Freude hat sie aber daran, mit bissigem Witz Männer bloßzustellen. Wie soll man auch anders über Männer schreiben, die im Jahr 1965 die Gebeine einer Frau, die im 17. Jahrhundert lebte, ausgraben, um etwas über ihr Geschlecht in Erfahrung zu bringen?! Weitere Themen sind der weibliche Orgasmus und die Periode. Es ist spannend, wie viele Fakten es gibt, von denen auch ich bisher nichts wusste oder die ich so noch nicht betrachtet habe. Und das ist nun wirklich nicht mein erstes Buch zu diesem Themenkomplex. Schade finde ich, dass sie die Bereiche Schwangerschaft, Geburt und Muttersein auslässt, aber vielleicht ist das ja Material für einen weiteren Band.
Einer der Männer, die den weiblichen Körper instrumentalisiert haben: John Harvey Kellogg.
Im zweiten Band Der Ursprung der Liebe setzt sich Strömquist mit der heterosexuellen Paarbeziehung auseinander. Als Aufhänger hierzu dienen ihr Figuren aus dem öffentlichen Leben wie Prinz Charles und Lady Diana oder fiktive Figuren wie männliche Sitcom-Hauptfiguren. Deren Witz besteht meist darin, dass sie nur alleine Bier trinken wollen, während ihre Frauen versuchen Gespräche mit ihnen zu führen und unglücklich sind. Auf dieser Basis fragt sie sich: Warum ist das so? Und warum suchen Frauen und Männer trotzdem lebenslange monogame Beziehungen, wenn eigentlich niemand damit zufrieden ist? Mithilfe von Analysen anderer Wissenschaftler*innen versucht Strömquist darzustellen, dass unsere Vorstellung von Beziehung gesellschaftlichen Ursprungs ist, analog zum Genderkonstrukt. Ähnlich wie in der Genderdebatte müssen auch hier viele Fragen offenbleiben, ein gelungener Denkanstoß ist der Comic allemal. Der Zeichenstil Strömquist ist sehr einfach und cartoonesk. Sie durchsetzt ihre Zeichnungen mit viel Text und Fotografien, was den Dokumentationscharakter des Comics unterstreicht. Gleichzeitig gelingt es ihr, in den simplen Darstellungen jede Menge Witz zu transportieren. Die vergleichsweise schwere Materie, mit der sie sich befasst, wird so zu einer angenehmen und bereichernden Lektüre.
Strömquists Ursprung der Liebe setzt auf cartooneske Zeichnungen, durchsetzt von Textblöcken (oben),
Klengels Girlsplaining auf popkulturelle Anspielungen (unten).
Nebst dem Ärger darüber, dass niemand in unserer Gesellschaft in der Lage zu sein scheint, die richtigen Worte für die weiblichen Geschlechtsteile zu finden, teilen sich Strömquist und Katja Klengel eine weitere Gemeinsamkeit: ihre Abscheu gegen die Fernsehserie Sex and the City und die darin dargestellten Rollenbilder. Ursprünglich erschien Girlsplaining als Onlinetagebuch, ist nun aber bei Reprodukt gedruckt zu haben. Klengels Zeichenstil ist von Realismus geprägt, da auch ihre Themen sehr alltagsgebunden sind und stark autobiografische Züge haben. Die Zeichnungen sind in einer Art Sepia-Look in Altrosa koloriert, was mich an die Farbpalette einer Vulva erinnert. In in sich abgeschlossenen Kapiteln befasst sie sich mit ganz ähnlichen Themen, wie es Strömquist tut. Der Unterschied liegt darin, dass Klengel sich auf persönlicher, individueller Ebene bewegt und keine geschichtlichen Zusammenhänge darstellt. Interessant ist dabei, wie sich der Tenor gleicht. Individuelle Erfahrungen lassen sich leicht auf die gesellschaftlichen Darstellungen Strömquists übertragen und umgekehrt. Gleich ist auch die humoristische Herangehensweise beider Autorinnen. Klengel nutzt hierzu Anspielungen aus der temporären Popkultur, was dem Comic Authentizität verleiht. Auch an Selbstironie mangelt es ihr nicht. Gerade diese Offenheit und Herzlichkeit, mit der sie den Inhalten begegnet, machen den Comic so liebenswert. Wenn sie am Schluss ihrem 15-jährigen Ich Mut zuspricht, tut sie das nicht nur für sich selbst, sondern stellvertretend für die meisten ehemaligen wie jetzigen 15-Jährigen. Sie entlässt die Leserin mit der Hoffnung, dass wir doch etwas ändern können – wenn wir darüber reden und Dinge endlich beim Namen nennen.
[Mechthild Wiesner]
Abbildungen © 2018 avant-verlag, Reprodukt
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Oder bei den Verlagen: avant-verlag, Reprodukt