»Hrm.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Coda Band 1
Story: Simon Spurrier
Zeichnungen: Matias Bergara
Cross Cult
Hardcover | 128 Seiten | Farbe | 25,00 €
ISBN: 978-3-96658-512-5
Genre: Fantasy
Für alle, die das mögen: Das letzte Einhorn (1982), Willow (1988), Der Herr der Ringe (1978) in der Bakshi-Version
Auf den ersten Blick: Überwältigung! Simon Spurrier wirft uns mitten hinein in seine Story, und wir wissen vor lauter Farben und neuen Eindrücken gar nicht, wo uns der Kopf steht. Was zu einem Gutteil an Matias Bergara liegt, der uns ansatzlos Zeichnungen wie diese vor den Latz knallt:
Wo wir uns befinden, wem wir hier zusehen und vor allem, wie diese Welt funktioniert, erfahren wir nur häppchenweise. Von Bergara als kunterbunte Augenschmäuse serviert. Der 1984 geborene Uruguayer, hierzulande für seine Arbeiten an Hellblazer und Sons of Anarchy (beide bei Panini) bekannt, zaubert Landschaften und Städte aufs Papier, die so aussehen, als hätte Alejandro Jodorowsky auf einem LSD-Trip Herr der Ringe und Das letzte Einhorn mit Mad Max gekreuzt:
Zwischen Drachenskeletten, Wüstenlandschaften, Bergketten und Pilzwäldern begegnen wir einem ehemaligen, inzwischen verstummten Barden:
Nach langen Reden steht ihm nicht der Sinn.
Er grummelt lieber vor sich hin.
Und sammelt Gegenstände ein,
Um seine Frau von Urken zu befrein.
Die auch im Englischen so heißen,
Sich aber nur in deutschen Landen
So wunderschön auf Schurken reim'n.
Unser namenloser Protagonist bewegt sich durch eine Welt nach dem Quench. Vor dem Quench war diese Welt voller Magie, seit dem Quench (wohl ein Ereignis apokalyptischen Ausmaßes) schwindet sie immer weiter. Ein grüner Trunk, der davon noch übrig ist, nennt sich »Akker«, wie sich überhaupt alles vertraut anhört und doch stets einen Tick anders heißt.
Neben den Urken – die sich später übrigens als gar nicht so schurkisch herausstellen, wie sie klingen – wird diese Welt von einer machtgeilen Bürgermeisterin, ihrer gigantischen Kanone und ihren trotteligen Paladinen, einer Meerjungfrau an der Spitze einer Trockenkarawane, einem zerstreuten Zauberer und seiner rebellischen Tochter, einem nervenden Gör, einem allerletzten Ylben und einem Riesen, der eine ganze Stadt auf Rädern hinter sich herzieht, bewohnt. Der verstummte Barde gerät zwischen die Fronten und bekommt den Namen »Hum« verpasst, weil die Bürgermeisterin sein gerummeltes »Hrm« missversteht. Kommt er in die Klemme, dann boxt ihn sein beängstigendes und dauerfluchendes Fünfhorn raus, was erzählerisch dem narrativen Holzhammer gleichkommt, visuell aber zu beeindrucken vermag:
Die Diskrepanz zwischen der Story und den Zeichnungen ist denn auch das größte Manko eines Comics, der in erster Linie auf mehr hoffen lässt. Der 1981 geborene Brite Spurrier hat sich seine ersten Sporen mit verschiedenen Serien beim Comicmagazin 2000 AD verdient, bevor er sich vom Acker und ab ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten machte. Viele seiner Arbeiten für die großen US-Verlage sind bei uns bei Panini erschienen, eine kleinere Arbeit wie Disenchanted beim Dantes Verlag. Und Spurrier ist durchaus ein talentierter Erzähler, keine Frage! Auch in Coda beherrscht er den Umgang mit verschiedenen Erzählebenen, mit überraschenden Wendungen und Cliffhangern, die zum Weiterlesen motivieren. Was wie in so vielen zeitgenössischen Geschichten aber auch seiner Handlung abgeht, ist ein ordentlicher Aufbau der Figuren und ihrer Ziele. Hum will seine Frau retten, schon klar. Das ist das Ziel seiner (Antihelden-)Reise. Doch anstatt mit diesem festen Ziel vor Augen aufzubrechen, Hindernisse zu überwinden, zu scheitern, daran zu wachsen, es erneut zu versuchen und am Ende (womöglich) zu obsiegen, rennt der Protagonist von A nach B nach C, zurück nach B, von dort nach D, um am Ende wieder bei B zu landen. Dieses Hin und Her sieht zwar phänomenal aus:
Es bringt aber weder die Geschichte noch den Helden wirklich voran. Vielmehr wirkt der erste Sammelband, der die ersten vier Hefte vereint, wie der Versuch, alle Figuren und Handlungsstränge, die später noch eine entscheidende Rolle spielen werden, schon einmal vor unseren Augen auszubreiten. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das gelingt Spurrier besser als vielen anderen Szenaristen, was allerdings nicht unbedingt für ihn, sondern für eine allgemeine handwerkliche Schwäche der Branche spricht. Denn all das könnte man (noch) besser erzählen. Und noch sind die Figuren allesamt recht leere Hüllen, die es mit Leben zu füllen gilt, um mit ihnen mitfiebern zu können.
In den USA sind insgesamt zwölf Hefte erschienen, die Cross Cult in drei schönen Hardcoverausgaben herausbringen wird. Bleibt zu hoffen, dass Spurrier diesem Fünfhorn von einem Comic in den noch kommenden Bänden ordentlich die Sporen gibt. Und wir nicht nur mit atemberaubenden Bildern wie diesem vorliebnehmen müssen:
[Falk Straub]
Abbildungen © 2021 Cross Cult / Simon Spurrier, Matias Bergara
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Oder beim Verlag: Cross Cult