Frisch Gelesen Folge 336: Der Ring des Nibelungen

 

»Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden, / Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Richard Wagners Der Ring des Nibelungen

Story: Patrick Mason
Umsetzung, Zeichnungen: P. Craig Russell

Cross Cult
Hardcover | 448 Seiten | Farbe | 49,99 € 
ISBN: 978-3-96658-943-7

Genre: Abenteuer, Fantasy, Graphic Novel

Für alle, die das mögen: Oper, Herr der Ringe, Sagen und Mythen



Auch wenn das Eingangszitat es nahelegt, das hier wird keine Rezension von Tolkiens Herrn der Ringe. Es wird hier auch keine Rezension von Wagners Werken geben, sondern es geht um einen Comic, der vor fast zwanzig Jahren versucht hat, eine Oper in die Neunte Kunst zu transferieren.


Sollten sich Tolkien-Enthusiasten an verschiedene Szenen und Protagonisten erinnert fühlen (so z. B. die Erschaffung des Rings, dessen Schmied zum Herrscher der Welt wird, Alberich der hässliche Zwerg, der unverkennbare Ähnlichkeit mit Smeagol hat und die Gier nach dem Ring, der nach Alberichs Fluch nur Mord und Verderben bringt), so kann man konstatieren, dass J.R.R. Tolkien selbst schrieb, dass der Herr der Ringe nicht von Richard Wagners Opernzyklus Der Ring des Nibelungen inspiriert worden sei. Tolkien selbst hatte Wagner als Einfluss auf sein Werk ausgeschlossen und betonte, dass die Rolle der Musik in seinen Geschichten nicht der von Wagner entspreche. Die Unterschiede zwischen den beiden Werken seien auch inhaltlich und stilistisch enorm, weshalb sie getrennt voneinander betrachtet werden sollten.


Das ist übrigens die Antwort von ChatGPT auf die Frage, ob Der Herr der Ringe von Richard Wagner beeinflusst sei (ChatGPT ist als KI natürlich in der Lage, auf sämtliche veröffentlichte Inhalte zuzugreifen, noch allerdings kann es keine persönliche Meinung aussprechen – aber auch das ist dann wohl nur noch eine Frage der Zeit). Scheinbar ist aber der Vergleich gar nicht so weit hergeholt, warum sonst hätte es dazu einer Erklärung bedurft.

Beschränken wir uns in dieser Rezension aber auf die Umsetzung von Wagners Ring des Nibelungen in einem völlig anderen Medium.


Wer mit Wagner konfrontiert wird, kennt die Bayreuther Festspiele und sieht vielleicht im Fernsehen Prominente, die sich freuen, Teil eines sich immer wiederholenden, immer wieder abstrakten und ewig umstrittenen Spektakels zu werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass Wagner und sein Werk aufgrund seiner vermeintlichen antisemitischen Überzeugungen und der Verwendung seiner Musik als Propagandainstrument auch auf jede Menge Kritik und Ablehnung stößt. Da darf die Frage durchaus erlaubt sein, warum ein renommierter Künstler wie P. Craig Russell sich ausgerechnet so ein Opus für einen fast 450 Seiten langen Comic auswählt.

Eben jener Russell, der unter anderem für die Umsetzung unterschiedlicher Geschichten von Neil Gaiman verantwortlich zeichnet (The Dream Hunters, The Kindly Ones, The Graveyard Book, Coraline und American Gods, um nur einige zu nennen) und seine Spuren bei Marvel (Killraven) und Hellboy hinterlassen und unzählige Preise gewonnen hat, unter anderem den Eisner Award für Fairy Tales of Oscar Wilde und mehrere Kirby Awards für Night Music. In der Serie Night Music waren übrigens neben Bearbeitungen von literarischen Stoffen auch schon die von Opernstoffen wie Richard Strauss' Salome oder Mozarts Zauberflöte enthalten. Somit hat Russell mit der Umsetzung der Nibelungen nicht wirklich Neuland betreten.


Jeder hat sich vielleicht schon einmal mehr oder weniger bewusst mit der Geschichte auseinandergesetzt, der Ring aus dem Rheingold erschaffen, Götter, Siegfried, der Drachentöter, Brünnhilde, die enttäuschte Liebhaberin etc. und scheinbar hat sich Russell eng an die ursprüngliche Fassung des aus vier Teilen bestehenden Opernzyklus (»Das Rheingold«, »Die Walküre«, »Siegfried« und »Götterdämmerung«) gehalten. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle auch nicht weiter auf den Inhalt eingegangen werden. Wer sich bisher gar nicht mit der Thematik auseinandergesetzt hat, dem sei schon aus diesem Grund diese Graphic Novel ans Herz gelegt und der sollte sich auch von dem bisweilen merkwürdig anmutenden Sprachstil nicht abschrecken lassen. Anfangs tut man sich vielleicht ein wenig schwer, mit zunehmender Lektüre tritt dann aber ein Gewöhnungseffekt ein und erinnert so ein wenig an die Anfänge von Marvels The Mighty Thor und auch an Tolkiens Silmarillion. Peter Huth hat in seiner Rezension vom 12. März in der Welt zu Russells »Sprachwelt« ganz interessant geschrieben: »Die orientiert sich eng an der englischen Übersetzungen [sic!]. In der deutschen Ausgabe wird Wagners Sprache so durch einen vierfachen Fleischwolf gedreht: Vom Original in die englische Obertitelversion, in die adaptierte Comic-Sprache mit ihren typischen Formen und dann alles wieder zurück ins Deutsche. Das ist interessant. Und kein Stück peinlich.«


Russells kunstvoller Zeichenstil, den man wohl einer klassizistischen Moderne zurechnen kann, passt wie die Faust aufs Auge zu der epischen Geschichte und unterscheidet sich wohltuend von dem bisweilen actiongeladenen und effekthascherischen Einheitsbrei der Superheldencomics.

Als Fazit kann man festhalten, dass Oper auch ohne Musik ganz hervorragend funktionieren kann, aber das hat ja auch Fritz Lang schon 1924 in seinem zweiteiligen Stummfilm Die Nibelungen bewiesen, der als einer der bedeutendsten deutschen Stummfilme und als Meisterwerk des frühen Kinos angesehen wird. Auch für mich, der aus unterschiedlichen Gründen – letztlich dem Musikgeschmack – kein großer Fan von Richard Wagner ist, ist Russells Interpretation des Rings des Nibelungen ein echter Gewinn, der nicht nur meine Lücken in der Geschichte dieses unzweifelhaften Epos geschlossen hat – auch wenn es nur eine von unzähligen Interpretationen bleiben wird.

[Stephan Schunck]

Abbildungen © 2023 Cross Cult / P. Craig Russell


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