Frisch Gelesen Folge 365: The Many Deaths of Laila Starr

»Sie hielt es dann für das Beste, zu gehen. Und genau so, wie sie bei ihrer Ankunft mit den Worten gerungen hatte, suchte sie welche für den Abschied.«


FRISCH GELESEN: Archiv


The Many Deaths of Laila Starr

Story: Ram V
Zeichnungen: Filipe Andrade

Cross Cult
Hardcover | 128 Seiten | Farbe | 25,00 Euro
ISBN: 978-3-98666-138-0

Genre: Magischer Realismus

Für alle, die das mögen: Daytripper (Panini), Interiorae (avant-verlag), Karmen (Cross Cult)



Liebe oder Tod – alles dazwischen lässt sich vernachlässigen. Dachten sich auch der indische Autor Ram V und der portugiesische Zeichner Filipe Andrade, als sie sich an The Many Deaths of Laila Starr setzten. Herauskam eine Geschichte versunken im magischen Realismus, träumerisch und leichtfüßig.

Am Anfang steht eine Kündigung: Die Menschheit ist kurz davor, die Unsterblichkeit zu entdecken. Blöd für den, der für das Ableben auf der Erde zuständig ist. Entsprechend darf der Avatar des Todes das Reich der übernatürlichen Wesen verlassen und es noch einmal auf der Erde in Mumbai als Laila Starr krachen lassen. Als Abfindung sozusagen. Wäre da nicht das kleine Zeitfenster, um die Sache mit der Unsterblichkeit vielleicht doch noch auszubremsen.

Also heftet Laila Starr sich direkt ab seiner Geburt an Darius Shah, jenen Entdecker der baldigen Unsterblichkeit. Auf über 100 Seiten geht es nun assoziativ und poetisch zu, Geister, sprechende Krähen und einsame Tempel begegnen Starr in dieser Geschichte, die an jenen Stellen eher wie eine Parabel wirkt. Am Ende jeder Episode lässt Starr ihr eigenes Leben bei einem Unfall und wird Jahre später wiedergeboren. Auf diese Weise fliegen ein paar Tage des Lebens von Darius Shah an uns vorbei. Was einen wichtigen Aspekt dieses Comics ausmacht.

 

Denn Ram V und Filipe Andrade überfrachten ihr Thema nicht – das natürlich nicht der Tod, sondern das Leben ist. Wie kostbar die besonderen Momente sind, wie schnell sie wieder vorbei sind, all dies zeigt The Many Deaths of Laila Starr auf. Doch dieser Comic trägt dies ganz anders vor als viele vergleichbare Werke.

Es braucht keinen moralischen Überbau, keine Instanz, die das Leben wertet. Wie auch? Der Tod selbst muss ja seine Lektion lernen. Ram V schöpft diese Kraft direkt aus der Geschichte selbst, die keine große Dramatik auffährt und keinen Pathos braucht. Weil sie einfach eine starke Geschichte ist.

Filipe Andrade findet für all dies fantastische Farben. The Many Deaths of Laila Starr strahlt selbst in dunklen Momenten noch Lebensfreude und Wärme aus, das Zusammenspiel von Blau und Rot während einer Party gehört zu den eindringlichsten Comicseiten dieser Tage. Überhaupt hat er einen soliden Rhythmus für diese Geschichte und die Dialoge gefunden.

 

Doch bei all der Leichtigkeit: Fehlt nicht was? Der Schmutz und der Schmerz des Todes? Die Nachtseite? Das, was Daytripper, dieser Meilenstein des Comics der brasilianischen Zwillingsbrüder Fábio Moon und Gabriel Bá, stets mitschwingen ließ, ohne es explizit auszusprechen? Bei all der Phantastik macht The Many Deaths of Laila Starr eben ein weiteres Trugbild auf, verbildlicht eine Hoffnung. Und bei aller Eigenheit kann der Comic dem Thema doch nicht wirklich etwas Überraschendes hinzufügen. Muss er vielleicht auch nicht.

Gestorben wird immer. Und das bleibt nach beendeter Lektüre so. Der Wunschtraum der Unsterblichkeit ist trotzdem zu schön, um nicht vielleicht doch wahr zu sein. Da kann man sich gerne dranhängen und hoffen. Auf manchen Seiten bleibt nur das Gefühl, dass dieses wunderschöne Luftschloss nur einen Todeshauch vom Ende, vom wirklichen Ende, entfernt ist.

[Björn Bischoff]

Abbildungen © 2023 Cross Cult / Ram V, Filipe Andrade


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