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Frisch Gelesen Folge 148: Jein

 

»Dass die das immer mit dem türkischen Background schreiben müssen«.
»Das ist gut! Das ist deine Wurzel!«
»Hat aber nichts mit meiner Kunst zu tun.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Jein

Story: Büke Schwarz
Zeichnungen: Büke Schwarz

Jaja Verlag
Softcover | 232 Seiten | s/w, Kapitelintros in Farbe | 24,00 €
ISBN: 978-3-946642-82-4

Genre: Politik, Gesellschaft, Kunst, Drama

Für alle, die das mögen: Nennt mich Nathan (Splitter), Strannik (Rotopol)


 

Mit Jein blickt Büke Schwarz zurück ins Jahr 2017 und begleitet ihre Protagonistin Elâ Wolf durch einen aufregenden Zeitabschnitt. Die lebt in Berlin, ist Malerin und überglücklich: Sie ist eine von vier Preisträgern einer bekannten Berliner Kunst-Stiftung und wird an einer Gruppen-Ausstellung mitwirken. Doch in die Euphorie mischt sich auch Zweifel. Der Gedanke, gemeinsam mit anderen auszustellen, gefällt ihr nicht. »Künstler können so nerven!« Nachvollziehbar, denn wer teilt schon gerne Ruhm? Doch das ist nur ein impulsiver Gefühlsausbruch und das erste Treffen ist dann doch nicht so schlimm. Im Gegenteil, die Kreativen beschnuppern sich erfolgreich und beschließen in einer schnell darauffolgenden Onlinekonferenz den Ausstellungstitel. »Jein« soll die Werkschau heißen, damit die unterschiedlichen Haltungen und Richtungen der einzelnen widerspiegeln und zum Konzept erklären. Auf den folgenden Seiten zeigt Schwarz, wie Ausstellung und Exponate entstehen, hält die Gedankengänge der einzelnen Künstler fest und gewährt damit einen Blick in die Kunstszene. Eine glaubwürdige Schilderung, da Büke Schwarz selbst Bildende Kunst mit Schwerpunkt Malerei und Grafik studierte.


Kunstvolle Seitenarchitektur: Büke Schwarz zeigt, wie ein Gemälde entsteht.

Darüber hinaus gibt sie einen Fingerzeig, dass sich das Leben nicht in eindeutig definierte Positionen abgrenzen lässt, es bei Entscheidungen oft kein klares »gut« oder »schlecht« gibt, sondern irgendwas dazwischen. Genauso wie die Gemütszustände ihrer Heldin, die ebenfalls nicht nur mit Nullen und Einsen dargestellt werden können, und bei Büke Schwarz dementsprechend in Grautönen gehalten sind. Einerseits ist Elâ erfolgreich in ihrem künstlerischen Schaffen und überaus von sich überzeugt, durchlebt aber auch Momente, in denen sie gleichzeitig an sich zweifelt. Von anderen Schwächen mal ganz abgesehen. Das macht die Figur sehr überzeugend und lebendig. In gewisser Weise lässt sich das Geschilderte auch interpretieren als: Hey, das ist okay, so ist der Lauf der Welt.


Kein Schwarz oder Weiß: Elâs Stimmung lässt sich nicht in Nullen und Einsen darstellen.

Schwarz erzählt sehr ruhig und mit Zeichnungen, die an Zeitschriftenillustrationen erinnern, und so fällt es beinahe beiläufig auf, dass es an vielen Stellen um handfeste gesellschaftliche und politische Probleme geht. Elâ ist Deutsche, ihre Eltern stammen aus der Türkei. So weit, so gut. Doch das Thema erwischt sie während der Ausstellungsvorbereitungen kalt, weil zeitgleich in der Türkei über eine gravierende Verfassungsänderung abgestimmt wird, die Präsident Erdoğan erheblich mehr Macht einräumt. Plötzlich wird sie verwundert gefragt, wieso ihr Nachname nicht türkisch sei. Die Erklärung: Elâs Eltern kommen zwar aus der Türkei, aber ihr Stiefvater (mit Namen Wolf) ist ein Deutscher. Die Neugier ist aber noch nicht befriedigt.


Klarer Standpunkt: der Blick auf den türkischen Präsidenten Erdoğan.

Wie ist ihr Standpunkt zum türkischen Referendum? Sie ist dagegen. Als Künstlerin könne man kein Fan von jemanden sein, für den Freiheit ein Fremdwort ist, sagt sie in einem Fernsehinterview. Sie bekommt Angst, von türkischstämmigen Mitbürgern angefeindet zu werden, die bei der Abstimmung mit »Ja« gestimmt haben. Zweimal glaubt sie, verfolgt zu werden. Beim zweiten Mal ist förmlich zu spüren, wie sich Elâs Panik hochschaukelt. Die Panels, die beinahe ohne Text auskommen, versprühen Hast. Ist das real oder nur Einbildung? Schwarz lässt das offen, was die Sache noch mulmiger macht. Als ihr leiblicher Vater unerwartet zu Besuch kommt, es gut meint und sie einem Istanbuler Galeristen vorstellt, wird es nicht besser. »Halte dich an die Regeln, dann wirst du viel Erfolg haben«, meint der Galerist. Und der Vater ergänzt: »Hör auf Hasan. Er weiß, was gut ist«. Ein angenehmes Gespräch klingt anders, und da ist es wieder, das unbehagliche Gefühl.

Ist es gut oder schlecht, sich an Regeln zu halten? Elâ sieht sich als Kunstschaffende in einer moralischen Pflicht, während ihr Ausstellungskollege Robert dagegenhält, dass Kunst nichts mit Moral oder Demokratie zu tun habe und eben einfach nur Kunst sei. Büke Schwarz sagt dazu: »Kunst kann und darf alles, muss aber nicht. Meiner Meinung nach ist Kunst immer politisch, auch wenn es nicht unbedingt von den Künstler*innen so gewollt ist«. Diese Frage sollte übrigens jeder Leser für sich beantworten, aber bitte nicht nur mit einem plakativen »Kunst darf alles«. Darf sie zum Beispiel wirklich menschenverachtend oder antidemokratisch sein?


Einleitende Farbtupfer: Auch die Kapitelintros erinnern an Zeitschriftenillustrationen.

Der Leser staunt einerseits nicht schlecht, wie Elâ ins Schleudern kommt, weil sie sich augenscheinlich keine Gedanken darüber gemacht hatte, inwieweit sie ihre türkischen Wurzeln beeinflussen. Andererseits ist das verständlich, denn sie ist ja in Deutschland geboren und somit Deutsche. Elâs politische Meinung zu den Vorgängen in der Türkei ist klar, aber die Frage nach ihren Wurzeln kann sie nicht so einfach beantworten. In diesem Zusammenhang kommt bei der Lektüre eine weitere Frage auf: Gibt es ein richtiges oder falsches Auswandern? Sollte ein Einwanderer nach einer gewissen Zeit ein »echter« Deutscher sein, oder ist es in Ordnung und legitim, seine Wurzeln zu pflegen, wenn man es möchte?

Büke Schwarz hat eine schöne Graphic Novel geschaffen und erzählt darin erstaunlich viele größere und kleinere Geschichten. Sie gibt viele Denkanstöße und erinnert den Leser daran, dass die Wirklichkeit, wie ihre Grafiken auch, aus vielen Grautönen besteht.

[Walter Truck]

Abbildungen © 2020 Jaja Verlag


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