Frisch Gelesen Folge 361: Das Verschwinden des Josef Mengele


»Mich kriegen sie nicht.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Das Verschwinden des Josef Mengele

Story: Matz (nach Olivier Guez)
Zeichnungen: Jörg Mailliet

Knesebeck
Hardcover | 192 Seiten | Farbe | 25,00 €
ISBN: 978-3-95728-756-4

Genre: Biografie

Für alle, die das mögen: Historisches, Biografisches, Thriller



1985, ich kann mich noch an die Presseberichte erinnern, wurde der Fund von Josef Mengeles Grab gemeldet. Für mich war er einer der vielen Namen aus dem Krieg, die noch durch die Zeitungen geisterten und die Unfassbares getan hatten. Was ich erst sehr viel später mitbekommen habe, war, wie es die Täter von einst geschafft haben, über so viele Jahre unentdeckt zu bleiben. Der Franzose Olivier Guez hat aus dieser ebenso packenden wie erschreckenden Geschichte einen Bestseller geschrieben: Das Verschwinden des Josef Mengele. Die jetzt im Knesebeck Verlag erschienene Adaption des Stoffes als Comic stammt von seinen beiden Landsmännern Matz, d. i. Alexis Nolent, und Jörg Mailliet.

 

Matz entwickelt aus dem Roman von Guez einen fesselnden Plot. Ihm gelingt es trotz Kürzungen und Straffungen, die Charaktere des Romans authentisch darzustellen – beispielsweise Josef Mengele. Seine Entwicklung vom verblendeten Nationalsozialisten, der nur darauf wartet, dass die Regierung in der Bundesrepublik Deutschland gestürzt und durch Faschisten ersetzt wird, über den geschockten Alt-Nazi, der sich wundert, dass es in Deutschland nicht zur Revolution kommt, bis hin zum ängstlichen Verschwörungstheoretiker, der hinter jedem Busch und Baum einen Verräter sieht. Auch die Rolle der Familie Mengele in dem ganzen Kontext der Flucht stellt Matz spannend und zugleich informativ dar. Genau das ist vermutlich auch die große Meisterschaft von Roman und Comic, die schier unglaubliche Flucht Josef Mengeles, gedeckt von Alt-Nazis in der Bundesrepublik und einem über Kontinente greifenden Netz an Helfern, in all ihren Facetten darzustellen.

Der Comic liest sich wie ein Thriller und ist doch eher ein Sachbuch, das auf die Schulpläne gehört. Klar, dass die Panels unter diesen Umständen manchmal etwas textlastig sind, denn mitunter sind die Zusammenhänge zu komplex, um sie stark vereinfachen zu können. Matz verlangt in diesem Comic von seinen Lesern treue Gefolgschaft, und der Leser wird entlohnt für seine Mühen.

Dazu passen auch die Illustrationen von Jörg Mailliet. Der Franzose hat sich hierzulande bereits einen Namen gemacht mit dem Band Tagebuch 14/18 – Vier Geschichten aus Deutschland und Frankreich (Tintentrinker Verlag, 2014), in dem er die wahren Biografien von zwei deutschen und zwei französischen Soldaten wiedergibt. Die Darstellung historischer Ereignisse ist ihm also nicht ganz fremd. Zumindest bei seinem Erstlingswerk in Deutschland muss es ihm ganz gut gelungen sein, denn der Band wurde in die Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung aufgenommen.

Dieser Ritterschlag fehlt Das Verschwinden des Josef Mengele noch, aber zumindest lässt sich festhalten, dass der Zeichner seiner Linie treu bleibt. Im Grunde genommen sind es realistische Zeichnungen, die etwas unscharf wirken. Nicht jedes Detail ist ausgeleuchtet, nicht jede Mimik erkennbar. Sehr zum Vorteil der Geschichte, denn sich einer Person wie Josef Mengele zeichnerisch zu nähern, muss eine echte Herausforderung für jeden Künstler sein. Wenn er sie zu ungenau darstellt, wird es dem Betrachter nicht möglich sein, sie zu erkennen und die Darstellung gleitet ins Ungewisse ab, was den Leser unberührt lässt. Denn damit verliert er den Bezug zu dem Monster, das Mengele war. Stellt er sie zu genau und detailliert dar, gleiten seine Gesichtszüge ins Comichafte und Mengele verliert seinen Schrecken. Erst durch Mailliets Artwork wir der spannende Mittelweg gewählt.

»Romanautoren sollten ihre Werke vor Adaptionen bewahren, heißt es. Wie viele schlechte Filme, Theaterstücke oder Graphic Novels basieren auf guten Büchern?«, fragt Guez im Vorwort zum Comic, um dann gleich festzustellen, dass der vorliegende Band »große Klasse, der Hammer« sei. Vielleicht etwas platt, aber es trifft es im Kern. Ein Band, der hoffentlich nicht nur bei den Freunden der Neunten Kunst seine Leser finden wird.

[Bernd Hinrichs]

Abbildungen © 2023 Knesebeck / Matz, Olivier Guez, Jörg Mailliet


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Oder beim Verlag: Knesebeck