»Mich kriegen sie nicht.«
»Kino ist kein zweites Leben, es ist mein eigentliches.«
(Fritz Lang)
»Die Männer sprachen über Kunst, Philosophie, Politik und Whiskey. Die Frauen sprachen über die Dinge, über die Frauen der besseren Gesellschaft sprechen. Aber Du nicht.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Mary Shelley – Die Comic-Biografie der Frankenstein-Schöpferin
Story: Alessandro di Virgilio
Zeichnungen: Manuela Santoni
Knesebeck
Hardcover | 131 Seiten | s/w | 20,00 €
ISBN: 978-3-95728-490-7
Genre: Biografie
Für alle, die das mögen: künstlerische Graphic Novels, biografische Comics, Romantik
Eigentlich halte ich die Neunte Kunst für völlig ungeeignet, um das Leben einer historischen Persönlichkeit wiederzugeben. Das Medium stößt meiner Meinung nach hier definitiv an seine Grenzen, denn Biografien sind einfach zu komplex, um sie lesbar in Bildern mit etwas Text zu packen. Ja, sicher, es gibt da Ausnahmen – Reinhard Kleist ist so eine Ausnahme. Aber seine biografischen Geschichten konzentrieren sich in der Regel auf einen herausragenden Aspekt eines Lebenswerkes.
Das ich dennoch zum Comic von Alessandro di Virgilio und Manuela Santoni gegriffen habe, liegt daran, dass mich die dunkle Seite der Romantik seit jeher besonders faszinierte – und Mary Shelley war eine ihrer schillerndsten Vertreterinnen. Etwas zurückhaltend wurde ich beim ersten Ansehen des Covers, trägt doch die Graphic Novel auch noch den vielversprechenden (oder auch nicht) Untertitel »Die Comic-Biografie der Frankenstein-Schöpferin«. Und eines ist nach zweimaligem Lesen klar: Diesen Anspruch kann der Band nicht halten.
Die Biografie deckt einige der wichtigsten Stationen aus dem Leben Mary Shelleys ab.
Di Virgilio schenkt uns Schlaglichter aus dem Leben der Gothic-Ikone. Leser, die sich erstmalig mit dem Leben von Shelley beschäftigen, denen Literaturkreise, Lord Byron oder das gesellschaftliche Leben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fremd sind, werden sich verloren fühlen in dem Band. Dafür ist er zu wenig erklärend. Aber das kann eine Graphic Novel nach meinem Empfinden auch gar nicht leisten. Was sie aber leisten kann, ist Stimmung und Empfindungen wiedergeben. Das gelingt di Virgilio sehr schön.
Der aus Neapel stammende Comicautor entwirft ein Gesellschaftsbild, das für die Erziehung und Charakterbildung Shelleys entscheidend war. Im gesamten 19. Jahrhundert waren die Damen schmückendes Beiwerk. Eigenständiges Handeln ihrerseits war nicht erwünscht. Kleinste Anstrengungen, und sei es nur eine Plauderei zum Nachmittagstee, hatten zur Folge, dass die Damen, zumindest in der gehobenen Gesellschaft, sich ausruhen mussten. Shelly bewegten sich genau in diesen Kreisen. Das sich daran in den nächsten Jahrzehnten nichts änderte, kann man übrigens sehr genial in Bram Stokers Dracula ersehen. Der Roman – immerhin 79 Jahre nach Frankenstein erschienen – entwirft mit den beiden Protagonistinnen Mina Murray und Lucy Westenra Spiegelbilder eben jenes Frauenverständnisses. Dabei bedient sich di Virgilio einer besonderen Erzählperspektive: Er lässt Frankensteins Monster zu Mary Shelley selbst sprechen. Das schafft Bindung an die Figur und an die Autorin. Andererseits reduziert es die große Autorin auf ein Werk.
Der Autor Alessandro di Virgilio lässt dabei Frankensteins Monster direkt zu Shelley sprechen ...
Denn was aus meiner Sicht in der Graphic Novel zu kurz kommt, sind im wesentlichen zwei Dinge: Erstens ist es das besondere Verhältnis, das sie zu Lord Byron und seinen literarischen Zirkeln hat, und zweitens wird das – wie eingangs befürchtet – hochkomplexe Leben einer Frau viel zu sehr zusammengeschnitten. Sicherlich erwähnt di Virgilio die Zeit von Shelley, damals noch Mary Godwin, mit dem verheirateten Dichter Percy Bysshe Shelley, mit dem sie eine Liebesbeziehung hatte. Die Zeit, die sie mit ihm und dem schon damals berühmten romantischen Dichter Lord Byron und seinem Leibarzt John Polidori verbrachte, wird leider viel zu kurz dargestellt. Denn hier entstand ihr bekanntestes Werk Frankenstein oder Der moderne Prometheus, ein Buch, das Shelleys Ruhm wesentlich bis weit ins 20. Jahrhundert begründete. Und von dieser Engstirnigkeit bei der Rezeption ihres Werkes, die bis in die 1970er Jahre vorherrschte, kann sich auch di Virgilio nicht lösen. Das ist schade, denn so wird Shelleys Schaffen, ihr Können und ihre Kunst viel zu eindimensional dargestellt.
Wer sich aber hauptsächlich auf schöne Bilder und stimmungsvolle Panelfolgen freut, der wird an der Graphic Novel Spaß haben. Das liegt vor allem an der Arbeit von Manuela Santoni. Die 1988 geborene Zeichnerin hat einen robusten, fast schon holzstichartigen Stil. Sie schafft die nötige Atmosphäre, auch mit dem sehr spärlich verwendeten Rot, das in wenigen Panels Zorn, Wut, Verlangen oder Zeit besonders herausstreicht. Ihr harter Strich vermittelt von Anfang an: Leute, hier wird euch etwas geschildert, dass schon über 200 Jahre her ist.
... und Zeichnerin Manuela Santoni setzt mit spärlich verwendetem Rot Akzente.
Unterm Strich ist Mary Shelley – Die Comic-Biografie der Frankenstein-Schöpferin mehr ein Augenschmaus als eine fesselnde Biografie der Romantikerin Shelley. Ich gebe fünf von zehn Nachtmeerfahrten.
[Bernd Hinrichs]
Abbildungen © 2021 Knesebeck / Alessandro di Virgilio, Manuela Santoni
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Oder beim Verlag: Knesebeck
»Lieber mit einem nüchternen Kannibalen das Bett teilen als mit einem trunkenen Christen.«
»Im ›Basic English‹ ist es unmöglich, eine Aussage ohne Sinn zu formulieren, ohne dass erkennbar wird, dass der Sinn fehlt. Dies erklärt, warum so viele Lehrer, Journalisten, Politiker und Literaturkritiker das ›Basic English‹ ablehnen.«