Frisch Gelesen Folge 235: GoGo Monster

»Wie dem auch sei … Nicht mehr lange und sein Interesse für die andere Welt wird verfliegen, Frau Nakao. Er wird wohl bald schon vergessen haben, dass er sie überhaupt sehen konnte.«


FRISCH GELESEN: Archiv 


GoGo Monster

Story: Taiyo Matsumoto
Zeichnungen: Taiyo Matsumoto

Reprodukt
Hardcover | 458 Seiten | s/w | 29,00 €
ISBN 978-3-95640-253-1

Genre: Surrealistisches Coming-of-Age-Drama

Für alle, die das mögen: Tekkon Kinkreet, Dead Dead Demon's De De De De Destruction, Rote Blüten



Wer sich GoGo Monster anschafft, wird es selten lesen. Und das ist keine besonders gewagte Vorhersage. Denn wie bei so vielen tiefgehenden wie verstörenden Meisterwerken der Popkultur (siehe Schöpfer wie Scott Walker oder Yorgos Lanthimos) lassen sich die mehr als 450 Seiten dieses Manga nur schwer in ihrer ganzen Wucht aushalten. Fast jede Szene, jedes Panel brennt sich in die Seele ein. Dafür sollte das Nervenkostüm während der Lektüre möglichst knitterfrei sei. Aber was war vom 53-jährigen Taiyo Matsumoto sonst zu erwarten?


Taiyo Matsumoto erzählt erneut eine schwermütige Geschichte ...


Der Japaner schuf bereits mit Tekkon Kinkreet und Sunny schwermütige Manga, deren Melancholie sich vornehmlich durch die Atmosphäre ausdrückte. Im Original erschien GoGo Monster bereits vor mehr als 20 Jahren beim japanischen Verlag Shōgakukan. Die englischsprachige Ausgabe kam knapp zehn Jahre später bei VIZ Media heraus und ist mittlerweile vergriffen. Was an der Qualität dieses Manga liegt, aber sicherlich auch an der Aufmachung. Denn Papier und Umschlag gehören bereits zur Geschichte. Und die gibt sich alle Mühe, ihre Leserinnen und Leser auszusperren.


... die sich alle Mühe gibt, ihre Leserinnen und Leser auszusperren.


Der Schüler Yuki Tachibana kann Monster sehen. Das Grauen befindet sich in einer Etage seiner Grundschule, die gesperrt wurde. Und die Monster scheinen das Chaos in die Schule und die Umgebung der Schüler zu bringen. Dass Yuki durch diese Ansichten zum Außenseiter an seiner Schule wird, weil weder Lehrer noch andere Schüler:innen seiner Fantasie folgen können, ergibt sich da von selbst. Doch die Welten verschmelzen, die Erzählperspektive springt und schnell bekommt das, was wir sonst Realität nennen, erste Risse.


Erste Risse in der Realität.


Es ist die Frage, wie weit Leserinnen und Leser diesen Bruch mitgehen. Denn bisweilen fehlt bei GoGo Monster einfach die Orientierung, das, was eine klassische Geschichte ausmacht. Doch gerade dieses Gefühl des freien Falls während des Lesens macht GoGo Monster zu so einem Ereignis. Besonders da sich Taiyo Matsumoto keinen zeichnerischen Konventionen des Manga unterwirft. Die Gesichter sind nicht überzeichnet, sondern stellenweise realistisch unangenehm in ihrem Ausdruck. Daneben spielt er über das Layout perfekt mit der Erzählzeit, entzieht der Geschichte ihre Dynamik, um für einen klaustrophobischen Effekt zu sorgen. Manchmal bleibt nur noch die Frage: Wie komme ich hier selbst wieder aus dieser Geschichte raus?


Doch gehen die Leserinnen und Leser diesen Bruch mit?


Denn GoGo Monster fühlt sich wie ein Labyrinth an, eine verschachtelte Erzählung, die um eine Mitte kreist, die Matsumoto aber nie preisgibt. Krähen sprechen, die Finsternis triumphiert und Kinder verstecken ihren Kopf unter einem Pappkarton. So pflanzt Matsumoto seine Geschichte in den Köpfen der Leserinnen und Leser fort. Selbst wer nur die ersten fünfzig Seiten dieses Manga liest, wird nicht mehr losgelassen, sondern heimgesucht von dieser zauberhaft widerspenstigen Geschichte und ihren Charakteren, die manchmal wie Nebenfiguren der Atmosphäre erscheinen. Matsumotos leicht spröder Strich tut sein Übriges, um GoGo Monster zu einem traumwandlerischen Erlebnis zu machen. Und so wie die ganze Geschichte ist, endet sie auch: Am Ende bleibt nur noch die Stille. Sie wird sich nach diesem Manga nie mehr so anhören wie vorher.

[Björn Bischoff]

Abbildungen © 2021 Reprodukt / Taiyo Matsumoto


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