»Sie müssen weder reden noch spielen, sondern lediglich Venus' Schatten verkörpern.«
»Kann ich ablehnen?«
»Nein.«
»Anwalt anrufen?«
»Nein.«
»Mich erniedrigt fühlen?«
»Ja.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Olympia in Love – Eine Komödie in 50 Gemälden
Story: Catherine Meurisse
Zeichnungen: Catherine Meurisse
Reprodukt
Hardcover | 72 Seiten | Farbe | 18,00 €
ISBN: 978-3-95640-162-6
Genre: Komödie, Graphic Novel, Funny
Für alle, die das mögen: Kunst-, Literatur- und Filmgeschichte, Feminismus
Ein turbulentes Jahr geht zu Ende und hat vor allem eins gezeigt: Alte Männer sollten nicht zu lange an ihren Ämtern kleben, egal ob sie im Weißen Haus, in der CSU oder auf der Tribüne des FC Bayern München sitzen. Weibliche Alternativen und Perspektiven sind nötiger denn je. Catherine Meurisses unaufgeregter Blick kommt da gerade gelegen. Hierzulande ist ihr Name in erster Linie mit dem Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo verbunden, dem Meurisse nur durch Zufall entging, was sie wiederum in ihrem Comic Die Leichtigkeit (Carlsen) verarbeitete. Bereits ein Jahr zuvor nahm die 1980 geborene Zeichnerin mit unbändiger Fabulierlust die Kunst-, Literatur- und Filmgeschichte auseinander und auf die Schippe. Das passt nicht nur wunderbar in unsere Zeit voll grapschender Autokraten und übegriffiger Hollywoodproduzenten, sondern wirkt in der Rückschau geradezu visionär. Olympia in Love ist in Frankreich unter dem Titel Moderne Olympia bereits im Februar 2014, also mehr als dreieinhalb Jahre vor der #MeToo-Debatte, erschienen.
Inspirierendes Glasdach: die große Halle im Musée d'Orsay.
Meurisses Comic ist eine Auftragsarbeit und was für eine! Als das Musée d‘Orsay bei der Zeichnerin anfragte, eine Bildergeschichte über das Pariser Museum zu gestalten, musste diese nicht lange überlegen. Sie kannte die 1986 im ehemaligen Gare d'Orsay eröffnete Kunstinstitution aus unzähligen Besuchen, arbeitete dort mit 19 Jahren einen Sommer lang als Aufsicht. Das große Glasdach der alten Bahnhofshalle und die Silhouetten darunter weckten Assoziationen zur Architektur New Yorks und zu einem Filmplakat. »So entschied ich mich, eine Art West Side Story im Musée d‘Orsay zu erzählen: Die Jets sollten die etablierten, akademischen Maler und die Sharks die Impressionisten sein«, erinnert sich Meurisse in einem Interview an den Entstehungsprozess. Olympia in Love ist allerdings weit mehr als nur »eine Art musikalische Komödie«, als die Meurisse ihren Comic gern verkauft. Schließlich hat schon Leonard Bernsteins, Stephen Sondheims und Arthurs Laurents weltberühmtes Musical eine noch berühmtere Vorlage: William Shakespeares Romeo und Julia. Ein Umstand, dessen sich Meurisse nicht nur bewusst ist, sondern den sie bewusst nutzt, um akrobatisch mit Intertextualität und Metaebenen zu jonglieren. Vor allem aber sind ihre 72 gleichermaßen kurzweiligen wie tiefgründigen Seiten weit mehr, als die meisten Comickollegen aus ihren Auftragsarbeiten für (französische) Museen gemacht haben.
Shakespeare auf der Leinwand, Olympia im Publikum.
Während selbst so großartigen Comickünstlern wie Jirô Taniguchi in Die Wächter des Louvre (Carlsen) und Manuele Fior in seinen d'Orsay-Variationen (avant-verlag) nichts Besseres einfällt, als Museumsbesucher oder -mitarbeiter beim Betrachten der Gemälde in eine Traumwelt hinübergleiten zu lassen, die uns Anekdoten über die Geschichte des Museums und der darin ausgestellten Kunst vermittelt, unterzieht Meurisse ihren Handlungsort einer gewitzten Transformation. Das Museum wird zum Filmstudio, die Maler zu Regisseuren, ihre Porträtierten zu Schauspielern und die Gemälde zu Filmsets. Die vermittelnde Instanz eines Besuchers fällt somit flach und Meurisse geht in medias res.
Aufblende: ein Kinosaal. Romeo und Julia flimmert schwarz-weiß über die Leinwand. Schniefend und in Farbe sitzt Olympia davor. Sie träumt von einer Karriere als Hauptdarstellerin, hat es bislang aber noch nicht über den Status der Statistin hinausgebracht. Bis auf eine rosafarbene Schleife im Haar, ein schwarzes Band um den Hals und einen goldenen Armreif trägt sie nichts. Denn wie ihr Name eingefleischten Kunstkennern verrät, handelt es sich bei Meurisses Protagonistin um das Motiv von Édouard Manets gleichnamigem Gemälde aus dem Jahr 1863, das seinerzeit einen Skandal auslöste.
Stets leicht bekleidet: Olympia, ihre Zofe und Édouard Manets Pfeifer bei den Proben.
Olympia mag zwar nur leicht bekleidet sein, leicht zu haben ist sie nicht. Während ihr großes Vorbild, die divenhafte Venus, aber auch unbedeutendere Konkurrentinnen allenthalben die Beine breit machen, um an Rollen zu kommen, will Olympia mit ihrem Talent überzeugen und holt sich allerorten eine Abfuhr. Ein geistreicher Seitenhieb nicht nur auf die Doppelmoral der Pariser Gesellschaft (die nichts gegen nackte antike Göttinnen, lediglich gegen Manets allzu (halb-)weltliche Nackte hatte), sondern auch auf unsere eigene, die große Kunst, ob in der Malerei oder im Film, allzu gern bewundert, ohne das Verhältnis der (meist) männlichen Künstler zu ihren weiblichen Musen kritisch zu hinterfragen. Am Set von Der Untergang Roms findet nicht statt, Thomas Coutures Gemälde Die Dekadenz der Römer (1847), lernt Olympia schließlich ihren Romeo, den Statisten Romain, kennen und lieben. Doch ach je, er ist ein Offizieller, Olympia eine Refüsierte. Erst befördert die eifersüchtige Venus Romain als männlichen Hauptdarsteller an ihre Seite, dann degradiert sie Olympia zu ihrem Double, als die einst verschmähten Impressionisten in Mode kommen und statt im Studio plötzlich in der Venus verhassten Natur gedreht wird.
Bei Toulouse-Lautrec wird getanzt.
Das klingt superkompliziert, ist aber selbst für Leser verständlich, die mit Kunst nichts am Hut haben. Denn Meurisse Erzählung ist so leichtfüßig wie ihr Strich. Ihre Dialoge sind pointiert, ihre Einfälle köstlich – egal, ob Manets Pfeifer (1866), der sich aus seinem eigenen Gemälde in Olympias Gemächer verirrt hat, als Runing Gag den von ihrer Kammerzofe dargebotenen Blumenstrauß über den Schädel gezogen bekommt, ob Olympia ihren Frust im Moulin Rouge hinunterspült, in dem Henri de Toulouse-Lautrec bedient, während seine Motive Cancan tanzen, oder ob William Bouguereaus Oreaden (1902) statt gen Himmel zu fliegen aus einem Flugzeug stürzen, um in der richtigen Formation auf der Leinwand zu landen. Meurisse Einfallsreichtum kennt keine Grenzen.
Die Oreaden stürzen aus dem Flugzeug.
Olympia in Love ist ein wahnwitzigwilder, höchst amüsanter Ritt durch 50 Gemälde der Kunstgeschichte. Zwischen den Panels stellt Meurisse kluge Fragen, etwa die nach dem Verhältnis vom Maler zu seinem Modell oder jene nach kanonisierter und aussortierter Kunst und dem Wandel und den (patriarchalen) Machtgefügen, denen ein solcher Kanon unterworfen ist. Die wohl größte Leistung ist aber die Figur der Olympia selbst. Eine weibliche Hauptfigur, die sich, obwohl größtenteils unbekleidet, so selbstbewusst, dank all ihrer kleinen Fehler erfrischend und doch stets würdevoll ihren Weg bahnt, sucht Ihresgleichen. Für Meurisse scheint deren Erschaffung wie alles an ihrem Comic ein Leichtes.
Bei Meurisse wird Kunstgeschichte zur West Side Story.
[Falk Straub]
Abbildungen © 2018 Reprodukt
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