»Mortimer, Sie wissen genauso gut wie ich, dass der von den Gelben ausgelöste Kalte Krieg jetzt seinen Höhepunkt erreicht hat.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Die Blake-und-Mortimer-Bibliothek Band 1: »Der Kampf um die Welt«
Story: Edgar P. Jacobs
Zeichnungen: Edgar P. Jacobs
Carlsen Verlag
Hardcover | 184 Seiten | Farbe | 30,00 €
ISBN: 978-3-551-02874-7
Genre: Abenteuer, Spionage
Für alle, die das mögen: Frankobelgische Klassiker im Stil der Ligne Claire
Wenn ich an meine ersten Erfahrungen mit dem Medium Comic denke, habe ich vor allem Tim und Struppi vor Augen, bis mich irgendwann ein Klassenkamerad auf dem Schulhof fragte: »Kennst Du eigentlich auch die Abenteuer von Blake und Mortimer?« Nee, kannte ich nicht! Fortan waren es zwei Serien, die ich sammelte. Als dann im Herbst 1986 der Carlsen Verlag ankündigte, im Zuge einer neuen Reihe »Carlsen Classics« die dreibändige, bereits damals 40 Jahre alte Geschichte »Kampf um die Welt« erstmals auf Deutsch zu veröffentlichen, war ich mehr als nur gespannt. Ich weiß noch genau, dass ich die Geschichte seinerzeit holprig zu lesen fand. Und das lag nicht nur an den erzählenden Texten von Jacobs, wo er beschreibt, was im Panel sowieso zu sehen ist. Es hatte etwas damit zu tun, dass die Geschichte mir fremd blieb. Bei »Kampf um die Welt« ging es nicht um dubiose Verbrecherorganisationen oder um geheimnisvolle archäologische Artefakte, sondern um eine konkrete Bedrohung, um Kriegsangst. Mir war es damals egal, dass die Geschichte vom September 1946 datierte, Teil der ersten Nummer des Magazins Tintin war und mit der Kriegsangst lediglich die gesellschaftliche Stimmung aufgriff. Mir gefielen die Bände nicht.
Einstiegsseite zu dem über 150-seitigen Abenteuer Kampf um die Welt.
Und heute? Fast 33 Jahre nach der deutschen Erstveröffentlichung? Mittlerweile ist die Geschichte um den Kampf gegen die »gelbe Flut« in mehrfachen Ausführungen erschienen. Nach der dreibändigen »Carlsen Classics«-Ausgabe folgte noch eine unveränderte einbändige Ausgabe 2004, von der es auch eine limitierte Sonderausgabe bei Salleck Publications gab. Clou bei dieser Ausgabe: Sie enthielt als Beiwerk ein Sonderheft, das die Urversion der ersten 18 Seiten, wie sie im Tintin-Heft erschienen sind, umfasst. Dann kam es noch einmal zu einer Veröffentlichung in der einbändigen Blake-und-Mortimer-Gesamtausgabe 2017 und jetzt ein gutes Jahr später als erster Band in der Blake-und-Mortimer-Bibliothek. Muss das wirklich sein, innerhalb kürzester Zeit? Definitiv, wie ein Vergleich der vorliegenden Ausgaben zeigt.
Zunächst zur einbändigen Blake-und-Mortimer-Gesamtausgabe von 2017. Da fällt zunächst einmal auf, dass das Albumformat bei der Blake-und-Mortimer-Bibliothek beibehalten worden ist. Und das ist auch gut so. Denn gerade bei Künstlern, die dermaßen textlastig sind wie eben Jacobs, kann eine Verkleinerung der Seiten – und sei sie auch nur minimal – schnell zu Unleserlichkeit führen. Des Weiteren wurde an der Haptik gearbeitet. Im Gegensatz zur 752-seitigen Gesamtausgabe wurde für die Bibliothek wieder ein dickeres raues Papier benutzt. Die Seiten scheinen nicht durch und die Panels sind nicht in ihrer Farbe abgesoffen, sind nicht zu dunkel. Im Gegenteil, das Druckbild gefällt mir gut.
Das erste Abenteuer von Francis Blake und Philipp Mortimer
spiegelt die europäische Angst vor einer asiatischen Großmacht wider.
Ein Vorteil, den die neue Ausgabe gegen alle bisherigen Veröffentlichungen hat, ist das Zusatzmaterial. Gleich in zwei Themenblöcken kann sich der Leser der Entstehungsgeschichte und der Nachwirkung des Bands nähern. Ein achtseitiges Vorwort von Volker Hamann führt in das Werk und das Leben von Jacobs ein, während Lutz Göllner in seinem Nachwort den rassistischen Vorwürfen zum Werk nachgeht. Vor allem der abschließende Text von Göllner hebt einige Aspekte hervor, die für das Verständnis des Bandes und seine politische Einordnung wichtig sind. Göllner verweist darauf, dass Jacobs Chronist seiner Zeit gewesen sei und kein Rassist.
In diesem Zusammenhang ist positiv zu erwähnen, dass der Verlag die Übersetzung der Ausgaben von 1986 und 2004 leicht überarbeitet hat. So wurden Stellen, die im Zuge der politischen Korrektheit nicht wie im französischen Original wiedergegeben wurden, angepasst. Da werden die gegnerischen Flugzeuge nun direkt als »gelbe Jäger« bezeichnet und nicht nur diffus als »Jäger«. Das kann in der neuen Ausgabe so auch problemlos geschehen, denn dafür hat uns Göllner mit den erläuternden Gedanken im Nachwort versorgt.
Das neue feine Lettering lässt einen selbst textlastige Seiten klar und problemlos aufnehmen.
Ein weiter Pluspunkt der jüngsten Ausgabe gegenüber allen vorherigen ist das neue Lettering. Denn der Strich ist feiner geworden, was die Lesbarkeit der Texte – wie gesagt, bei Jacobs eine ganz große Herausforderung – wesentlich erhöht. Und obendrauf als Zugabe bringt der erste Band der Blake-und-Mortimer-Bibliothek noch alle 22 Titelbilder zum Abdruck. In den anderen Ausgaben waren es höchstens, inklusive der jeweiligen Titelbilder, 16. So bietet die bibliophile Ausgabe viele schöne Punkte für den Sammler, die eine Neuanschaffung rechtfertigen würden. Denn mal im Ernst, abgesehen von der Blake-und-Mortimer-Gesamtausgabe von 2017 liegen die beiden anderen nur als Softcover vor. Und ein Klassiker sollte auch entsprechend verpackt sein, oder, wie Göllner zusammenfasst: »Ja, doch, Der Kampf um die Welt macht auch 70 Jahre nach seiner Entstehung und trotz diverser Schwächen einfach viel Spaß«.
[Bernd Hinrichs]
Abbildungen © 2018 Carlsen Verlag
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