»Poor Spidey. He was almost never born.« (Stan Lee)
FRISCH GELESEN: Archiv
Marvel Comics Library: Spider-Man Volume 1: »1962–1964«
Herausgeber: Steve Korté
Autoren Artikel: Ralph Macchio, David Mandel
Text: Stan Lee
Zeichnungen: Steve Ditko
TASCHEN Verlag
Hardcover | 698 Seiten | XXL-Format | Farbe | 150,00 €
ISBN: 978-3-8365-8233-9
(Es existiert eine Collector’s Edition von 1.000 nummerierten Exemplaren, in Kunstleder gebunden, mit eingefasstem ChromaLuxe-Aluminiumprint zum Preis vom 500 €. Das Buch gibt es in englischer Sprache.)
Genre: Superhelden
Für alle, die das mögen: Marvel Comics, Kaffeetischbücher, Spider-Man
Taschen und Marvel. Das ist eine geradezu himmlische Verbindung. Und falls dies dem einen oder anderen vielleicht etwas arg übertrieben erscheint, so ist diese Kombination aus Verlag und Content zumindest eine schöne und fruchtbare.
Andererseits, Stan Lee war ein Meister des Exaltierens. Man hätte glauben können, er hätte das Wort erfunden. Und Taschen stellt extreme Bücher her: übertrieben großes Format, extrem schwer, unglaublich akribisch recherchiertes Bildmaterial. Das fertige Produkt kommt in einem eigens bedruckten Kartonkoffer, hat die Abmessungen 28 x 39,5 Zentimeter und wirkt beeindruckend. Aber so richtig.
Ganz schlimm ist dieser Effekt, wenn Bibliophile auf ein Buch vom Taschen Verlag treffen, das sich mit einem Thema beschäftigt, das sie interessant finden. Nehmen wir die Gattung des gemeinen »Marvel Zombie«. Den Begriff gibt es im US-amerikanischen Fan-Slang sicher schon seit den 1970er Jahren, wenn nicht früher. Ein »Marvel Zombie« ist jemand, der übertrieben loyal gegenüber Marvel Comics ist. Das kann so weit gehen, dass er oder sie nichts anderes liest. Dieser Person kann man noch so glaubhaft andere tolle Comics empfehlen. Zwecklos.
Zeigt man einem Marvel Zombie zum ersten Mal ein Marvel-Buch von Taschen, dürfte er ziemlich sicher so geflasht sein, als stünde er vor Mount Rushmore. Oder wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Generell könnte man behaupten, dass Bücher von Taschen etwas extrem Faszinierendes haben, dem man sich als Fan von Kaffeetischbüchern nicht wirklich entziehen kann.
Dass die Verbindung von Taschen und Marvel so gut funktioniert, überrascht nicht. Schließlich war Verlagsgründer Benedikt Taschen schon immer ein Comicfan. Als 19-Jähriger hat er 1980 einen Comicladen in Köln geführt. Bereits als zwölfjähriger Teenager soll er, so wird kolportiert, mit US-Comics gedealt haben. Das prägt.
Anfang der 1980er Jahre verlegte er Comicalben aus Frankreich, u.a. die damals schrecklich angesagte »Nouvelle Ligne Claire«: Bob Fish von Yves Chaland, Ray Banana von Ted Benoît oder Phil Perfect von Serge Clerc.
Seitdem gab es im Laufe der Jahre Bücher wie die kompletten Robert-Crumb-Sketchbooks, absolute Zeitungscomicklassiker wie Krazy Kat von George Herriman oder Little Nemo von Winsor McCay.
Aber auch einige Sekundärwerke mit Comicbezug fanden den Weg ins Portfolio des Taschen Verlags: Jubiläumsbücher anlässlich der 75. Geburtstage von Marvel und DC oder Die Stan Lee Story. Zuletzt gab es ein aufwendiges Buch über die Geschichte von EC Comics (siehe Frisch Gelesen Folge 178 und das CRON-Exklusivinterview mit Grant Geissman).
Nun ist der erste Band einer neuen Reihe erschienen, die Marvel Comics Library heißt. Das sind Bücher im XXL-Format von rund 30 x 40 Zentimetern. Der Startband hat fast 700 Seiten und wiegt beinahe fünf Kilogramm.
Diese Marvel Comics Library ist eine exklusive, langfristige Zusammenarbeit zwischen Taschen und Marvel. In loser Folge will man Silver-Age-Klassiker wie Spider-Man in extragroßem Format akribisch reproduzieren. Folgen sollen die Avengers und Captain America. Jeder Band enthält ein Essay eines Comichistorikers sowie Hunderte von Fotos und Fundstücken, darunter seltene Originalseiten.
So bietet der Auftakt einen Artikel von Ralph Macchio, der in den 1990er Jahren bei Marvel als Chefredakteur alle Spider-Man-Serien betreute. Den Kern des Buchs bilden die ersten 21 Abenteuer von Spider-Man aus den Jahren 1962 bis 1964: Amazing Fantasy #15, Amazing Spider-Man #1-19 und Amazing Spider-Man Annual #1.
Es werden nicht nur die Comics geboten, sondern auch die Umschläge mit Werbeanzeigen von damals, die Leserbriefseiten oder Pin-ups und Ähnliches. Die Comics sind auf matterem Papier gedruckt, um das Feeling der alten Comichefte zu simulieren. Teil des Bonusmaterials sind auch bibliografische Angaben und Inhaltszusammenfassungen jedes einzelnen Originalhefts.
Über die eigentlichen Spidey-Comics von Stan Lee und Steve Ditko braucht man aus heutiger Sicht nicht mehr viele Worte verlieren. Ich persönlich hatte als jugendlicher Leser mit Ditko anfangs so meine Probleme.
Als ich in den 1970er Jahren Die Spinne entdeckte, wie Spider-Man in den Heften des Williams Verlags damals hieß, war für mich John Romita der Spider-Man-Zeichner schlechthin. Der Wechsel von seinem Vorgänger war gerade vollzogen und Gwen Stacy war dabei, Mary Jane Watson in Liebesdingen abzulösen. Das war das deutsche Heft 40 und Romita hatte die Serie als Zeichner gerade übernommen. Die Story mit dem grünen Kobold und der aufgedeckten Geheimidentität von Peter Parker war spektakulär.
Als ich mir später ältere Hefte beim Verlag nachbestellte (damals konnte man den Kaufpreis in Briefmarken einschicken, was für Schüler ohne eigenes Bankkonto ganz praktisch war), bekam ich Ausgaben mit seltsamen, krude gezeichneten Comics von Steve Ditko. Ich konnte es kaum fassen. Damals fand ich Steve Ditko einfach nur schlecht, seine Figuren ungelenk und die Panels zu klein und nicht im Geringsten beeindruckend.
Im Lauf der Jahre hat sich das sehr schnell geändert und ich realisierte, dass Stan Lee, ähnlich wie mit Jack Kirby bei Fantastic Four, mit Steve Ditko das perfekte Spider-Man-Duo bildete, um in den 1960er Jahren einen Comichelden wie Spider-Man und sein schmächtiges Alter Ego Peter Parker grafisch darzustellen. Damals war die Spinne ein Teenager, der auf die Schule ging und keinen muskelbepackten Körper brauchte. Wenn Peter Parker gezeigt wurde, ging es auf den Schulhof und um alltägliche Probleme. Und nicht ins Weltall, um Galaxien zu retten.
Heute habe ich die ersten Geschichten von Steve Ditko in x-facher Ausführung als Teil meiner Sammlung. In Heftform in Comickisten und als Tradepaperbacks oder Hardcover in den Regalen stehen.
Dieser Band ist nun die Krönung meiner Comicbibliothek klassischer Marvel Comics. Für dieses Buch wurden die makellosesten Exemplare der Originalhefte sorgfältig abfotografiert. Das Ergebnis ist einfach erstaunlich. Oder eben »amazing«.
Der Kaufpreis von 150 Euro ist eine ordentliche Investition, aber wenn man das mit dem Sammlerpreis vergleicht, den man für die Originale in diesem Zustand zahlen müsste, so sind das eher Peanuts. Auch Marvel-Comics-Fans, die schon alles haben, werden hier schwach.
[Matthias Hofmann]
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Abbildungen © 2021 Marvel
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