Mit Malcolm Max verlegt Splitter nicht nur das erste Comicalbum von Zeichner Ingo Römling, sondern auch die Comicversion eines alten Serienheroen aus der Feder von Peter Mennigen, der die Figur als Hörspielheld erfunden hat. Mit »Body Snatchers« startet die Serie quasi neu, entführt den Leser in ein düsteres London Ende des 19. Jahrhunderts und stellt gewohnte Lesekonventionen dezent in Frage.
Malcolm Max
Stimmungsvoller Grusel nach alter Schule
VON ALEXANDER LACHWITZ
Die Metropole an der Themse wird heimgesucht von obskuren Ritualmorden, verschwindenden Leichen, grausigen Massakern und die Polizei ist mal wieder ratlos. Doch da der bekannte Bewohner der Baker Street 221b damit beschäftigt ist, kleinen Kindern analytisches Denken beizubringen, muss ein anderer Problemlöser her. Dieser wird auch prompt von einer Geheimgesellschaft entsandt und soll Licht in den dichten britischen Nebel bringen.
Malcolm Max, so der prophetische Name des titelgebenden Protagonisten, macht sich also zusammen mit seiner Halbvampirbegleiterin Charisma Myskina prompt an die Arbeit und schon bald wird klar, dass der Fall ein paar übernatürliche Züge an sich trägt. Wie gut, dass Mister Max gerade in diesen Dingen ein gutes Händchen besitzt, von den Vorteilen einer Halbvampirin als Partnerin mal ganz abgesehen.
Bis hierhin haben vermutlich bei den meisten schon die Klischee-Alarmglocken gebimmelt. Schon die Figurennamen könnten quasi Programm sein und den Rest kennt man doch aus zig diversen mehr oder weniger schlichten Werken der Trivialliteratur oder diversen alten Leinwandschinken. Und doch muss jetzt ein ganz großes Aber daherkommen.
So sehr Peter Mennigen seine Figuren auf gut 60 Seiten durch klischeelastige Ideen und Szenarien führt, so sehr spürt man in fast jedem Wort und Punkt sein Feingefühl und die langjährige Erfahrung, die er besitzt. Die Dialoge und die dazugehörigen Bilder von Ingo Römling strotzen vor verspielter Direktheit. So sieht man als Leser natürlich, dass zwischen den beiden Protagonisten mehr stattfindet als nur kooperatives Arbeiten. Doch die Art wie diese altbekannte Masche aus charmant-erfahrenem Lebemann und naiv-energischer Lady ausgespielt wird, lässt jedes Klischee vergessen. Malcolm und Charisma besitzen mehr als genug eigenen Charakter um nicht als Abziehbilder wahrgenommen zu werden. Besonders Charisma bekommt als kluge und manchmal reizbarer Dame im Zeitalter tiefsten Chauvinismus einige hervorragende Szenen auf die Brust geschrieben, die nie zum Selbstzweck verkommen; was man sich bei sonst oft als stark betitelten Frauenfiguren viel mehr wünscht.
Überhaupt glänzt Malcolm Max mit einem angenehmen Verzicht auf effektheischende Darstellungen. Gewiss, die Haupthandlung um die Morde und verschwundene Leichen wird auf Dauer absehbar und gänzlich wasserdicht ist diese ebenfalls nicht, aber allemal besser als das, was einem sonst serviert wird. Neben der Nähe zum Klischee fallen auch die doch recht großen Textmengen auf Dauer ins Auge und mögen dem ein oder anderen Leser störend wirken.
Mennigen arbeitet hier bewusst etwas gegen die heutzutage üblichen Lesegewohnheiten an. Statt reduzierter Worte und reiner Bildsprache, wird versucht Wort und Bild, sowohl in der jeweiligen Bedeutung, aber auch in ihrer Lesart und Tempo symbiotisch zusammenzuführen. Am ehesten kann man dies wohl mit alten Stummfilmen vergleichen. Auch dort wurde das im Bild Dargestellte oft nochmals auf einer Texttafel wiederholt, oder gar detaillierter ausgeführt.
Diesen Anachronismus praktiziert der Autor hier mit sichtlichem Genuss und mit Erfolg. Vereinzelt spürt man noch kleine Unreinheiten im Fluss, aber diese hängen wohl auch von der jeweils persönlichen Empfindung ab. Hat man sich einmal darauf eingelassen und schaltet im Lesetempo einen Gang zurück, entsteht aus Wort und Bild zusammen ein deutlich stärkeres Flair, das keines der beiden Medien alleine bewerkstelligt hätte. Es ist kein Stil, welcher der breiten Masse zusagen muss, aber eine durchdachte Variante des Zusammenspiels von Wort und Bild, vor der man Respekt haben sollte.
Bei letzteren hat Ingo Römling im Übrigen wunderbare Arbeit geleistet. Nicht nur hat er einen Stil verwendet, der die Mischung aus Grusel, Zeitgeschehen und einem Touch Screwball Comedy trägt, sondern man merkt auch seine langen Jahre als Illustrator. Viele seiner Panels könnte man allein für sich stehend betrachten, sei es als Werbeplakate oder reine Charakterillustrationen. Gerade die oft sehr reduzierte Dynamik, betont von einer eher gedeckten Farbpalette, passt sehr gut zum ausführlichen und leicht schwülstigen Schreibstil. Man kann der digitalen Kolorierung keine Mängel ankreiden. Selbst weite Flächen wurden mit dezenten Strukturen und Verläufen gefüllt, so dass von der sonst manchmal üblichen digitalen Kälte, nichts zu spüren ist. Ingo Römling besitzt ein gutes Händchen für die richtige Balance zwischen Detailfülle und dezent akzentuierten Flächen.
Als inhaltlichen Bonus muss zuletzt auch noch ein gutes Wort zur gesellschaftlichen Darstellung und dem Interesse am Frauenbild gesagt werden. Zwar ist die Wortwahl der Personen für die Epoche etwas zu hochgestochen, passt aber so zum schwülstig angehauchten Schreibstil, der dem erwähnten Grusel-Sujet gut zu Gesicht steht. Davon abgesehen gibt es verschiedenste Verweise auf damalige und heutige Gesellschaftsstrukturen. Als Paradebeispiel kann man die Integration der Frauenrechtlerin Emmeline Prankhurst gestaltet wurde. Zwar hat diese Figur selbst nur wenige Auftritte, prägt aber diverse Erzählstränge und setzt auch die Halbvampirdame Charisma in ein noch interessanteres Licht und befreit sie von der üblichen Begleiterrolle mit großen Kulleraugen.
Malcolm Max ist ein eine nahezu formvollendete Comicerzählung und bildet in der Kombination von Römlings und Mennigens Arbeit eine große Hommage an die Zeiten des Kinos, als schnelle Action und dynamische Schnitte noch nicht bekannt oder technisch möglich waren, dafür aber das stimmungsvolle Erzählen bis zum letzten Kerzendocht ausgekostet wurde. Malcolm Max setzt die erzählerische wie grafische Qualität sehr weit oben an und punktet mit der Lust am stilistischen Experiment, welches das Setting aus dem üblichen Einerlei herausragen lässt. Selbstredend kommt auch dieser, etwas dickere Band, in der von Splitter gewohnten Qualität daher.
Für Genießer gibt es zudem einen ausgesprochen umfangreichen Blick hinter die Kulissen, der die Wartezeit auf den zweiten Band durchaus versüßen kann. Laut Autor ist für die Malcolm Max Reihe derzeit kein Ende vorgesehen, so dass sich hier womöglich ein neuer veritabler Serienheld in die Comicregale begibt. Momentan wird er sich dabei vor allem an sich selbst messen müssen. Die Erwartungen an den Folgeband sind nach der Lektüre des vorliegenden ersten Kapitels alles andere als niedrig.
Abbildungen © Splitter / P. Mennigen / I. Römling
Die nackten Faken
Malcolm Max Band 1: »Body Snatchers«
Text: Peter Mennigen, Zeichnungen: Ingo Römling
Splitter Verlag, Hardcover, Farbe, 72 Seiten, 32 x 23 cm, 15,80 €, ISBN 978-3-86869-546-5
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